Isso! Ein neuer WERNER-Comicband ist für dieses Jahr offiziell angekündigt.
Eine kostenlose Leseprobe wird am 12. Mai (dem „Gratis-Comic-Tag“) in deutschen Comicläden verteilt.
Wenn ich das recht sehe, ist der letzte Band („Volle Latte!“) vor 16 Jahren erschienen, Zeichner Brösel schien die Lust an Comics verloren zu haben und fiel nur noch durch Werbezeichnungen für eine Tankstellenkette auf. Nun, man darf gespannt sein.
Ich selber war seinerzeit ein wenig dem Werner-Rausch verfallen, denn dieser Typ verfolgte eine sympathisch-anarchische Lebenseinstellung (auch wenn es mir zu sehr um „Bölkstoff“ und Motoren ging). Unbestritten sind Brösels erfrischende Neologismen und norddeutsche Sprachschöpfungen, die jeden Freund des „Erikativs“ (die Bildung von Lautworten per imperativischer Verbgrundform, wie sie Dr. Erikas Fuchs im Entenhausener Kosmos kreierte) begeistern.
Öttel! Schigger! Farz!
Letztes Jahr habe ich mich neugierhalber noch einmal in WERNER-Lektüre versenkt (die ersten, noch originellen Bände!) und doch deutliche Defizite bemerkt: Die Handlungsbögen der Geschichten sind ausgewalzt, redundant und wenig zielführend. Brösel ist kein Storyteller, aber wo er mich immer noch kriegt, das sind einige seiner Cartoons, Miniaturen und One-Pagers. Herrlich albern, jenseitig blöd oder einfach nur radikal ehrlich – auf coole Weise. Den Artikel hindurch poste ich meine Lieblinge.
Mein Eindruck: WERNER war ein Zeitgeist-Spuk, der in den Neunzigern schon auf ewig verblichen ist. Ich bezweifle sehr, ob Brösel nochmal was reißen kann. Wahrscheinlich müsste er dazu politisch werden, was WERNER aber dezidiert nie war.
Doch ehe Sie hier demnächst vielleicht eine Korrektur lesen, möchte ich eine andere Stimme zu Wort kommen lassen:
Der deutsche Comicforscher Dr. Bernd Dolle-Weinkauff hat bereits 1989 das Phänomen WERNER bestens erfasst und beschrieben. Da ich dem absolut nichts hinzuzufügen habe, zitiere ich im Folgenden (mit freundlicher Genehmigung) die entsprechende Passage (leicht eingekürzt) aus Dolle-Weinkauffs Standardwerk von 1990: „Comics – Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945.“
WERNER oder Röhrender Schwachsinn mit Gerstensaft
Mit großem Vergnügen provoziert der norddeutsche Motorradfreak Werner seine Zeitgenossen. Polizisten und Popper, der TÜV und die Straßenverkehrsordnung sind die bevorzugten Ziele der skurrilen Anschläge Werners und seiner Kumpane.
Auch die Frauen – WERNER-Jargon: „Hühner“ – kriegen ihr Teil ab, gleich, ob als Politesse in Uniform oder Rockerbräute oder „Emanzen“. Eine unerschöpfliche Stoffquelle für Klamauk liefert im Übrigen die Arbeitswelt, d.h. eine Karikatur des Kleinhandwerksbetriebs mit seinen schrulligen Chefs, phlegmatischen Gesellen und munteren Lehrbuben.
Was für Garfield italienische Nudelspezialitäten und die Passion für kleine Gemeinheiten darstellen, ist für den von Rötger Feldmann (geb. 1950) kreierten Irrwisch mit Gurkennase, vorstehenden Zähnen und Segelohren sein „Flensburger Pils“ und die Lust an pubertären Pöbeleien. Ebenso häufig handelt es sich indessen bei den in längeren oder kürzeren Gag-Episoden dargebotenen Geschichten um Cliquenrituale der Bier-Zecher und Motorradfans, die nicht bestimmte Institutionen herausfordern, sondern den „Schwachsinn“ als alternatives Lebensgefühl inszenieren.
Ob als eine der unzähligen Kneipenkomödien mit und ohne Pointe, als Lottertour durch Berlin und an die Riviera oder als ernsthaft-irrer Wettstreit zwischen Feuerstuhl Marke „Horex“ und frisiertem Porsche, der schließlich im September 1988 in Anwesenheit von 250.000 Fans auf dem Flugplatz Hartenholm bei Kiel realiter ausgetragen wurde („Das Rennen – der größte Knaller seit Ben Hur“) – stets geht es um die Pflege des Un-Sinns, um die notgedrungen chaotische individuelle und Gruppenprofilierung gegenüber einer als stur und spießig erfahrenen Umwelt. Nicht Revolte ist das Ziel, sondern ausgeflipptes Amüsement.
Nicht zu übersehen sind in diesem Kontext die Referenzen zwischen dem außergewöhnlichen Erfolg der bis 1989 in mehr als vier Millionen Exemplaren verbreiteten WERNER-Bücher bei einem jugendlichen Publikum und dem Werdegang und dem Naturell des Autors. Bei dem passionierten Motorradbastler und „Flaschbier“-Liebhaber Feldmann handelt es sich um einen proletarischen Aussteiger, der nach seiner Ausbildung zum Lithographen den Geschmack am Arbeitsleben verloren hatte. Mehrere Jahre schlug er sich mit Freunden unter der Devise „Arbeitslos und Spaß dabei!“ durch, eine Zeit, die er rückblickend als wichtig und durchaus nicht ohne sinnvolle Beschäftigung ansieht:
„Zu tun hatten wir immer was: Holz sammeln, Muscheln suchen, Fische fangen, Netze flicken, Salz machen und die Hütte instand halten […] Ein weiterer kostbarer Tag ging monatlich für die Auftritte beim Arbeitsamt flöten. Da hieß es früh aufstehen. Aber selbst diese Tage gestalteten wir uns so angenehm wie möglich, zum Beispiel auf einer Bank sitzend Leute beobachten. Es war lustig anzusehen, wie sie sich zum Arbeitsplatz quälten […] Von der Arbeitslosenknete kaufte man sich Proviant für die nächsten 14 Tage. Zurück auf die Insel, um sich von der Hektik zu erholen. Danach merkten wir jedesmal wieder, wie angenehm das Leben doch sein konnte: nur Dinge zu tun, die man wollte. Kein Scheff, kein Bündel, kein Wecker, der morgens rasselte. Mit der Sonne und den Gezeiten auf Du und Du.“ (Feldmann 1986)
Dass die „Szene“ ihn, der diese Erfahrungen in Strichmännchen-Cartoons festzuhalten begann, als ihren Porträtisten entdeckte, kann nicht verwundern. Brösel begann, für PARDON und später TITANIC zu zeichnen. Als 1981 der Band „WERNER – Oder was?“ in einer Auflage von 10.000 erschien, bildete dies gewissermaßen den Grundstein für den Semmel Verlag, der aufgrund der wachsenden Erfolge mit WERNER in kurzer Zeit ein ansehnliches Programm mit bis dahin vernachlässigten deutschen Nachwuchszeichnern etablieren konnte (darunter Bernd Pfarr und Volker Reiche). Dass WERNER auf diese Weise ein effektives Arbeitsbeschaffungsprogramm betrieb, nimmt sich beinahe wie eine verrückte Brösel-Story aus.
Verantwortlich für die Karriere WERNERS ist zu einem guten Teil die verbale Komponente dieser Strips. Der von Feldmann gebotene Waterkant-Nonsens bezieht seine Eigenart aus einer Verbindung von sprachlichen Verballhornungen („Null Scheckung“), Plattdeutschfragmenten und Jugendjargon (Tauchergruß im Hallenbad: „Alles Chlor?“). Aus Werners flachen Witzen entstanden Kneipenrituale und freakige Neologismen wie „Schüssel“ (= Motorrad) oder „Bölkstoff“ (=Bier). Wenn die Order „Bescheid“ ergeht, wissen Wirte die als verbindliche Bestellung anzusehen.
Der mangelnde Hintersinn der WERNER-Comics kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Brösel sich auf trockenen Humor versteht und einen ausgeprägten Sinn für hanebüchen-witzige Situationen besitzt. Darin ist eine vitale Vulgarität zu erkennen, die den Autor mit einer offensichtlich nach Millionen zählenden Leserschaft eint.
ZEIT-Journalist Matthias Horx sieht gar einen „Kulturkrieg“ am Werk: „Bier gegen Haschisch (und trockene Weißweine), Kalauerei gegen Klugscheißerei, Dialekt gegen Hochdeutsch, Bastler-Handarbeit gegen die Laberei der Selbsterfahrungsgruppen […] Brösel ist auch der späte Aufstand der Provinz gegen die neunmalklugen Frankfurter Humoriker und Berliner Szenezeichner.“
Ob eine solche Frontstellung überhaupt existent ist, ob die Verweigerung intellektualistischen Feinsinns unter der Rubrik Anti-Intellektualismus verbucht werden sollte, mag dahingestellt sein …
Tatsache ist, dass Brösels Comics ein „Milljöh“ verkörpern, das bis dahin in der Literatur nicht repräsentiert war und dass WERNERS chaotische Karriere für die Comics in Westdeutschland ein beträchtliches Stück mehr Eigenständigkeit erbracht hat.