Etliche Menschen und Medien haben mir seit Jahren in den Ohren gelegen, wie absolut großartig diese Amazon-Serie (gestartet 2017) sei. Im Locktember hab ich dann zu meiner Frau gesagt: „Schatz, verlängere dein Prime-Abo, wir schauen Mrs. Maisel.“
Tatsächlich haben wir uns die drei verfügbaren Staffeln auch mit Genuss reingezogen – aber ich möchte mehrere Kritikpunkte anbringen: Glaubwürdigkeit, Authentizität und Atmosphäre.
Sollten Sie noch nicht vom THE MARVELOUS MRS. MAISEL-Hype ergriffen sein, schauen Sie sich schnell den 3-Minuten-Trailer an.
Miriam (Midge) Maisel ist verheiratet mit Joel Maisel, hat zwei Kinder und lebt luxuriös im Stadthaus ihrer Eltern. Joel tritt aus Spaß (und um seiner Frau zu imponieren) als Stand-up-Comedian auf der Offenen Bühne des „Gaslight“ auf, eines Kellerclubs in Downtown Manhattan. Doch Joel spielt Nummern bekannter Komiker nach, was Midge gar nicht weiß.
Als das rauskommt (und Joel sie mit seiner Sekretärin Penny betrügt), platzt Mrs. Maisel der Kragen: Sie setzt Joel vor die Türe und stürmt wütend selber die Bühne und landet einen Spontanerfolg, der ihr die Möglichkeit einer Comedy-Karriere eröffnet.
Fachlich falsch
Erster Kritikpunkt: Glaubwürdig ist fast nichts an THE MARVELOUS MRS. MAISEL. So geht Stand-up-Comedy nicht. So funktioniert das nicht und so entwickelt sich das nicht. Nein, nein, nein, nein, nein.
Ich habe selber über zehn Jahre auf Kleinkunstbühnen gestanden, eine Zeitlang die Kölner „Offene Bühne“ mitbetreut und arbeite seit 20 Jahren mit Kabarettistinnen und Comedians als Regisseur und Dramaturg.
So wie in dieser Serie geht Stand-up-Comedy nicht. So funktioniert das nicht und so entwickelt sich das nicht. Nochmals: nein, nein, nein, nein, nein.
Es ist eine romantische Vorstellung von Laien, dass man Komik improvisieren könnte. So wie Midge (im Trailer zu sehen) ihren ersten Auftritt wutgeladen absolviert und mit ihrer Ehe abrechnet.
Jedes Comedy-Set ist eine penibel geskriptete, haarfein kalkulierte Abfolge von „set-ups“ und „punches“. Aufbauphrasen und Pointen. Vor allem muss eine Nummer reproduzierbar sein. Heißt, der Vorführende muss in der Lage sein, seine Gags exakt wort- und stimmungsgleich zu wiederholen! Das widerspricht jeder Form von Improvisation.
Im Gegenteil ist Comedy ein stures Abrufen einstudierter Routinen.
Sie sagen jetzt vielleicht: „Moment, ich habe so viel Comedy im Fernsehen gesehen – das wirkt immer total spontan.“
Genau darin besteht ein Großteil der Arbeit von Komiker*innen. Die sind schauspielerisch so gut, dass nicht ohne Grund viele von ihnen gefragte Filmdarsteller*innen sind.
Also, Mrs. Maisel: komplettter Bullshit. Wir hüpfen nicht einfach mal auf die Bühne und sind schlagfertig und souverän. Gehen Sie mal auf eine Kleinkunstbühne, das ist eher eine Atmosphäre zum Erstarren und Verstummen, wenn ihnen der Scheinwerfer in die Augen knallt und Dutzende Menschen im Saal sie erwartungsvoll anglotzen. In so einer Situation möchte man alles andere als improvisieren!
In der ersten Staffel von THE MARVELOUS MRS. MAISEL geschieht das jedoch mehrfach. Die offenbar völlig angst- und schamfreie Midge Maisel spaziert ultralässig auf die Bretter und kloppt einen Lacher nach dem anderen raus, aus dem Handgelenkt geschüttelt. Da schüttelt sich das Fachpublikum aber mit!
Folge 7 der ersten Staffel zeigt in den drei Eröffnungsminuten, wie es richtig wäre! Hier sehen wir Midge ihre goldenen zehn Minuten proben und ihren Gags Feinschliff verleihen. Das tatsächlich ist das Arbeitszeug der Comedienne. Der Schluss dieser Episode allerdings wirft das alles wieder über den Haufen: Ihr Auftritt vor Agentenaugen ist wieder so eine geniale Improvisation!
Midge verwirft ihr erprobtes Set und entscheidet sich für ein Bashing der erfolgreichen Kollegin Sophie Lennon, die sie am Tag zuvor kennengelernt hat. Das ist dermaßen unglaubwürdig, dass wir eigentlich schlussfolgern müssen, dass Mrs. Maisel wenn nicht soziopathisch, dann doch einen gehörigen Sparren weg hat.
Wir erinnern uns: Midge sollte ihre zehn Minuten abliefern und danach in anderen Clubs gebucht werden, beschmutzt aber lieber das eigene Nest?!
Dafür wird sie erst mal (zu Recht!) von der Szene abgestraft; Staffel 2 wird uns die Konsequenzen dieses Verhaltens aufzeigen.
Interessant ist jedoch, was die Komikerin Sophie Lennon (die fabelhafte Jane Lynch, erinnert sich jemand an die abgeklärte Psychotherapeutin aus „Two and a Half Men“?) in dieser Serie darstellt. Sophie ist erfolgreiche Comedienne, weil sie in eine Figur schlüpft! Sie schnallt sich einen Fatsuit um, gibt sich prollig und spielt eine robuste Hausfrau aus Queens.
Privat ist Mrs. Lennon eine superreiche, höchst arrogante und vornehme Dame – was Jane Lynch göttlich ausspielt.
Fakt ist nämlich, dass Frauen sich oft in Rollen flüchten (mussten), wenn sie sympathisch bleiben wollten (die Putzfrau, die Landfrau, die Chansonette). Selbstbewusste, starke, witzige Frauen auf der Bühne werden von großen Teilen des männlichen Publikums (und der Männerwelt überhaupt) als Bedrohung und „nicht komisch“ erachtet.
Das Vorurteil waltet heute noch, auch wenn sich der Wind dreht: Seit zehn bis fünfzehn Jahren erleben wir auch in Deutschland verstärkt authentische Frauen (ohne Verkleidung) auf der Bühne: Anka Zink, Carolin Kebekus, Gerburg Jahnke, Hazel Brugger, Lisa Eckhard, Maren Kroymann, Nessie Tausendschön, Sahrah Bosetti, Tahnee, Anny Hartmann, Tina Teubner, Vera Deckers …
Das hast du nicht gesagt
Damit kommen wir zum zweiten Kritikpunkt: THE MARVELOUS MRS. MAISEL wirkt oft aus der Zeit gefallen und im Sprachgebrauch anachronistisch. Hat man in den späten 1950er-Jahren schon so lebhaft und derb geflucht?!
„Fuck“ am laufenden Band? Ich habe das Gefühl (und meine Frau übrigens auch), dass hier Verbal-Kosmetik betrieben wird, um die Serie dem modernen Publikum schmackhaft zu machen.
Eine Stelle ist uns aufgefallen, die garantiert völlig daneben ist. Midge und ihre Managerin Susie betreten einen Plattenladen, in dem zwei Comedy-Liebhaber Tonträger von Auftritten verkaufen und auch herstellen. Die beiden Käuze sind völlig in ihrer Welt gefangen, und als sich Midge darüber wundert, kommentiert Susie trocken: „Nerd alert.“
Bitte? „Nerd alert“?!
So sehr das auf die beiden Typen zutrifft, es ist ein schlimmer Anachronismus.
Hat man außerdem so tüchtig gekifft? Der real existierende Komiker Lenny Bruce spielt mit, der war kein Kind von Traurigkeit und ein Vorreiter des gewagten Stand-ups (1961 verhaftet wegen Äußerung des Begriffs „Cocksucker“).
Aber ist es vorstellbar, dass eine Frau (unsere Mrs. Maisel) zeitgleich in dieselbe Kerbe schlägt und kein Blatt vor den Mund nimmt?
Meine Frau übrigens moniert, dass die beiden Kinder von Midge und Joel fast nicht vorkommen, in der Tat eigenartig. Die Kleinen sind fast immer bei den Großeltern oder werden irgendwie fremdbetreut, oft hat auch Joel den Jungen Ethan bei sich. Ist das alles realistisch, gab es solche Patchwork-Familien schon vor 60 Jahren?!
Ich habe den Verdacht, in dieser Serie wird arg geschichtsgeklittert!
Oder sagen wir lieber: Diese Serie ist nostalgische Fantasy.
Fluchtpunkt 1958
Mein dritter Kritikpunkt hat mehr mit einer persönlichen Abneigung zu tun: THE MARVELOUS MRS. MAISEL ist auch eine Ausstattungs-Orgie – hier werden die Fünfzigerjahre wieder zum Leben erweckt!
Leider in freundlicher, heller Optik und in kritikloser Bejubelung der Zustände. Alles ist töfte und lustig in dieser Welt: Die Staatsgewalt wirkt clownesk, Künstler saufen und rauchen noch und die Weiber geben sich noch Mühe, den Männern zu gefallen.
Siehe die grotesken Szenen, wenn sich Midge und Freundin Imogene bei der Gymnastik abrackern, andauernd ihre Körper vermessen oder Midge frühmorgens aufsteht, sich schminkt und dann wieder ins Bett zurückkehrt (damit Joel beim Erwachen eine bereits aufgehübschte Ehefrau vorfindet).
Ich bin mir nicht sicher, ob alle Zuschauer*innen das als Satire einordnen können. Mir scheint, die Serie stellt sich selber ein antifeministisches Bein. Es ist alles so schick und fröhlich und mühelos und für uns Kerle toll anzuschauen.
„Es war halt noch Vieles in Ordnung damals!“ – Ich fühle mich erinnert an die deutsche TV-Serie „Das Königlich-Bayerische Amtsgericht“, schauen Sie doch mal in die ersten 50 Sekunden:
https://www.youtube.com/watch?v=UYoz-QYnHQ4
Schwarze und nichtweiße Figuren treten bei THE MARVELOUS MRS. MAISEL nur in Entertainment-Funktion als Musiker, als Sängerinnen und Tänzerinnen in Erscheinung. Was mir für das Zeitkolorit schlüssig erscheint, frappierender bzw. gravierender war da die Abwesenheit von People of Color bei den GILMORE GIRLS.
Was haben jetzt die GILMORE GIRLS (2000 – 2007) damit zu schaffen? Amy Sherman-Palladino ist der Motor, der Kopf, die Autorin und Produzentin beider Serien!
Weiß man das, erkennt man auch in THE MARVELOUS MRS. MAISEL dieselben Humoraffinitäten, ähnliches Tempo und Inszenierung – bis hinunter auf die Figurenebene.
Die verschrobenen Eltern, vor allem die dominante Mutter, sind ein Versatzstück beider Serien – wie auch die Berufsfreundschaft der jeweiligen Hauptfiguren zu einer patenten, resoluten Mitarbeiterin (Susie bzw. Sookie).
Susie Myerson (Alex Borstein), die sich zu Midges Managerin erklärt, ist für mich die heimliche Hauptfigur und künstlerischer Kern der Serie. Die knuffige, sarkastische Susie habe ich direkt ins Herz geschlossen; Borsteins Rolle als verzweifelte Agentin ist sogar herrlich authentisch (solche Leute gibt es wirklich in der Kleinkunstbranche).
Ich tue mich schwer mit dem „leading couple“: Midge und Joel kommen mir konstruiert vor, auch werde ich mit den Darstellern (Rachel Brosnahan und Michael Zegen) nicht warm.
Der struppige Joel macht immerhin Entwicklungen durch, während Comedienne Migde dauernd unter Strom zu stehen scheint. Die Frau ist manisch und hat keine Bremse.
Zur Entschädigung sind alle Figuren am Rande wunderbar: das befreundete Paar Archie und Imogene, Joels Eltern Moishe und Shirley, Sänger Shy Baldwin und Komiker Lenny Bruce, die „Girls“ von der Kosmetiktheke und als Topper: Mrs. Maisels Eltern.
Tony Shalhoub und Marin Hinkle als Abe und Rose Weissmann sind ein kongeniales Gespann und zelebrieren das Klischee von der überdrehten jüdischen Familie mit ansteckender Inbrunst. Ich liebe die beiden. That’s comedy!
And now for something completely positive
Zum Schluss: Bei aller Kritik liegt mein Spaß an THE MARVELOUS MRS. MAISEL an der Screwball-Stimmung der Serie, die so nur Amy Sherman-Palladino hinbekommt. Das Herumgewusel der Charaktere, ihre lakonischen Wortgefechte, die wie beiläufig platzierten Pointen im Hintergrund. Das ist der Geist der klassischen Screwball-Komödie, der zwar etwas Altmodisches anhaftet, die aber intellektuell höchst befriedigend ist.
Das dürfte sein, worauf alle Kritiker fliegen. Das ist auch, weshalb ich diese Serie empfehlen kann. Allerdings konnte ich meinen Mund nicht halten und musste auf ein paar Dinge hinweisen …
Und jetzt rauf auf die Bühne mit Ihnen!
(Und, kurz erschrocken?)