Tillmann liest: MONSTRESS

Diese Serie ist momentan der „heiße Scheiß“. Alle schwärmen von MONSTRESS. Und da es das Paperback der ersten sechs Hefte zum  „Mitnahmepreis“ von 9 Euro gibt, hab ich dann auch mal zugegriffen. Und tatsächlich: MONSTRESS ist prall, üppig, gewaltig und gewalttätig.

Selten hat mich ein Comic so beschäftigt und rätseln lassen: Was ist das alles? Was soll das alles? Wer sind diese Charaktere? Was tun sie sich an? Diese Serie macht echt Alarm und kommt so düster wie finster daher. Ich hab bislang noch kein Tageslicht gesehen. Doch, halt, die ersten paar Seiten. Danach tauchen wir ab in Mondnächte, Kerkerverliese, Gruselwälder und Zauberfestungen. Auf gefühlt jeder dritten Seite wird geschlachtet, gestochen, verbrannt und verstümmelt.

Hauptfigur ist die 17-jährige Maika Halfwolf, auch sie vom Start weg verstümmelt und traumatisiert, ihr fehlt der linke Arm. Aus diesem sprießt aber bald ein kaum kontrollierbarer Dämon, der mit Maika in einer Symbiose leben muss.
Ausgestattet mit einem mystischen Artefakt und einer Kraft, die die Welt einzureißen droht, begibt sich Maika auf die Suche nach Antworten. Dabei wird sie von allen möglichen Fraktionen gejagt (und wir Leser begegnen immer neuen, fantastischen Wesen mit konkurrierenden Motiven).

Ich bin mir nach sechs Heften noch nicht allzu sicher, worum es in MONSTRESS geht. Denn Autorin Marjorie Liu wirft uns in eine märchenhafte Fantasywelt, die wir uns Stück für Stück erschließen müssen. Am Ende jeden Kapitels gibt eine externe Erzählerfigur historische Abrisse, die durchaus hilfreich sind: Neben den Menschen besiedeln unsterbliche Ancients diese Welt, beide zeugen (selten genug) die Arcanics wie Maika, magisch begabte Bastarde, verfolgt vom menschlichen Order der Cumaea.
Es herrscht Kriegszustand, es hat schreckliche Schlachten gegeben, in deren grausamster eine Art magischer „Wunderwaffe“ auftauchte. Darin ist Maika verwickelt, deren Mutter eine mächtige Magierin war, ehe sie grauenvoll zu Tode kam. Hinter allem lauern noch die Alten Götter, die in Maika gefahren zu sein scheinen … Und dann sind da noch die Katzen!

Hätte es die Katzen gebraucht?

 

Ja, recht gelesen. MONSTRESS ist auch von Katzen bevölkert!
Sprechende, weise Kriegerkatzen, von denen eine (namens Master Ren) Maika und dem Fuchsmädchen Kippa auf ihrer Flucht/Suche zur Seite steht. Das mag teils ‚comic relief‘ sein, teils putzige Verbeugung vor alter Mythologie sein, teils womöglich auch Ankerpunkt für seltsame Drolerien.

Nächster Punkt: MONSTRESS sieht schockierend schön aus!
Das Artwork der jungen Tokioterin Sana Takeda haut Sie aus den Latschen. Ein Computerkunstwerk angelehnt an Art déco und Steampunk, dennoch mit feinstem Strich und markant-kreativem Crosshatching ausgeführt. Sowas hamse noch nich gesehen!

Die Layouts sind von Seite zu Seite verschieden, so wie es dem Plot grad gut zu Gesicht steht. Und damit kommen wir zum Manga-Look von MONSTRESS. Große Augen, schlanke Mädchen mit Ponyfrisuren, Tentakelmonster, elegante Tiere – alles an Bord! Aber eben nicht Schwarzweiß, nicht zu wild, nicht von rechts nach links, sondern traumhaft koloriert und mit westlichen Sehgewohnheiten ins Bild gerückt.

Der grundierende, harmlos wirkende Manga-Stil erzielt maximale Fallhöhe zur deftigen Handlung: Wir erleben Menschenexperimente im Folterkerker, Massaker in der Cumaea-Stadt, Gemetzel im Wald, ein „Bosskampf“ mit Arcanics – und Heft 5 eröffnet gar mit einer dreiseitigen Kinder-im-KZ-Szene.

Verstörend, welche Versatzstücke aus der Weltgeschichte in dieser Fantasy hochkommen!
MONSTRESS ist wohlgemerkt kein Schlachtengemälde, auch wenn das grad so klingt, die Gewalt ist nur die Folie für dahinterliegende Geschichten.
So die Jugendfreundschaft zwischen Maika und Tuya, in der sich zum Schluss des ersten Sammelbandes ein Verrat abzeichnet. Hauptfigur Maika ringt wortwörtlich mit ihren inneren Dämonen und ist einem verlorenen Teil ihrer Herkunft auf der Spur.

Als männlicher, US-gepräger Comicleser bin ich irritiert von MONSTRESS, aber das nehme ich sportlich. Diese Serie ist derart eigenwillig, dass ich mich gerne davon verwirren lasse.

MONSTRESS ist ein völlig disparates Ding, das seine Leser weiter staunen lassen wird, sowohl grafisch wie auch erzähltechnisch. Hier vermählt sich endgültig der US-Comic mit dem Manga. Ich tue mich nicht leicht damit, aber gut möglich, dass wir in fünf Jahren zurückschauen und diesen Comic als ein „WATCHMEN der 2010er-Jahre“ begreifen werden.

MONSTRESS ist hochkomplex, wiederlesenswert, unberechenbar, verstiegen und merk-würdig in jeder Bedeutung. Es ist unmöglich, dieses Werk zu ignorieren. Ein „Frauencomic“, der das Potenzial hat, ein ganz großer Wurf zu werden.

Der zweite (englische) Sammelband ist auf dem Weg in die Läden, ich bin dabei.