Der Hype vorab war schwer zu überbieten: Die Egmont Comic Collection importiert die Sensation aus Frankreich, die Disney-Hommagen von Cosey und anderen. Der erste Band ist frisch auf Deutsch erschienen: MICKEY’S CRAZIEST ADVENTURES von Lewis Trondheim (Skript) und Nicolas Keramidas (Artwork). Das dünne Album von konventionellen 48 Seiten kostet aberwitzige 29 Euro, dafür immerhin in Hardcover und Schmuckausgabe.
Liebhaberstück eben, aber was nutzen mir nostalgische Neuinterpretationen, wenn sie Schrott sind?! Ich halte diesen Band für heiße Luft und Augenwischerei. Spoiler: Die Witze in diesem Band sind so alt wie die Comicfiguren selber. Harhar.
(Oder soll das die Finesse daran sein?)
ALFONZ brachte einen Hintergrundbericht, der die Mühen dieses außergewöhnlichen Projekts demonstrierte und druckte drei Seiten vorab als Teaser (in der aktuellen Ausgabe). Drei Seiten, die mich befremdet haben. Ich bin echt mal wieder schockiert und erschüttert, was als Qualität verkauft wird.
Trondheim ist ja ein verdienstvoller Künstler, aber seine Plots für die Ein-Seiten-Gags in MICKEY’S CRAZIEST ADVENTURES sind müde und abgedroschen. Und Keramidas‘ Artwork besticht durch klare Linienführung und schicke Texturen – aber der Mann kann nicht grafisch erzählen!
Zumindest sehe ich da Defizite, denn ich bin auf allen drei Beispielseiten aus ALFONZ in meinem Lesefluss gestrauchelt und war irritiert, weil Keramidas nicht deutlich rüberbringt, was gerade visuell passiert. Der Mann kann keinen Funny illustrieren!
Ich exemplifizier Ihnen das an diesen drei Seiten, auf geht’s:
Donald und Micky fliehen durch einen dschungelartigen Garten. Zwei riesenhafte Insekten bedrohen sie zunächst, dann geraten sie in die Fänge derselben (Bild 6).
Bild 7 ist unklar: Ist das ein Gasangriff? Warum qualmt es hier plötzlich?
Das Betrachten der folgenden Kleinbilder 8-10 macht deutlich, dass Donald und Micky offenbar aus einem Traum erwachen (auch das muss man sich mit viel Welterfahrung erst mal erschließen können). Beim Zurückschwenken auf Bild 7 bemerken wir, dass die beiden Insekten dort sehr klein dargestellt sind. Mit dem merkwürdigen Raucheffekt haben sich die Verhältnisse also wieder normalisiert, ahaaaa (Mäuse und Enten sind größer als Insekten).
Jetzt verstehen wir den Ablauf und können uns das Ganze ohne Irritation anschauen. Dennoch bleibt mir schleierhaft, wie schleierhaft Keramidas das Erwachen inszeniert …
Goofy und Micky segeln durch die Luft und fallen in einen Bach. Schon die Abfolge von Bild 1 zu Bild 2 ist problematisch. Jeder andere Zeichner, der mir einfällt, würde schon im ersten Bild eine Landschaft etablieren, damit wir im zweiten Bild den Landepunkt verorten können. Egal. Alsdann tauchen beide ins eigentlich zu flache Wasser und gestikulieren dort unter Wasser miteinander. Das tun sie sechs lange Bilder lang. Hier hätte Keramidas ohne Sorgen ein oder zwei Bilder streichen und sie für eine besser ausgearbeitete Schilderung des Unfalls vom Anfang benutzen können. Die Bilder 5 und 6 sind absolut redundant (eines davon hätte auch das Abtauchen Goofys zeigen können/müssen).
Der Schluss funktioniert, ist aber darin seltsam, dass er das vorletzte Bild schon im Zustand des Aufgetauchtseins zeigt. Eleganter und sinnfälliger wäre es gewesen, Micky prustend beim Auftauchen aus dem Wasser seine Frage ausspucken zu lassen!
Donald und Micky beim Angeln: Sie sitzen in einer wortwörtlichen Nussschale, und nur Donald fängt etwas, was ihm jedoch wieder entgleitet (hier aufbereitet in einer klassischen größerer-Fisch-frisst-kleineren-Fisch-Situation). Dass Micky von allem nichts mitbekommt, ist erlebnisweltlich zwar unwahrscheinlich (zumal Keramidas zu viel Gewässer-Geplätscher hineinzeichnet), kann man aber im Sinne des Slapstickhumors dieser Seite verschmerzen (der Gag an sich ist so ausgelutscht, dass er auch nur von der Zeichnung lebt).
Aber: Ich musste auch hier wieder zum Verständnis zurücklesen! Achten Sie auf Bilder 5 und 6 (den grünen Fisch). Der meiner Meinung nach völlig unsinnige Zoom in Bild 6 schafft es, diese simple Reihung zu torpedieren. Es gibt keinen Grund für diesen Zoom (in den folgenden Bildern brauchen wir ja auch keinen mehr). Keramidas ändert Donalds Gesichtsausdruck in freudige Erregung ob seines Fangs und nutzt das Panel als zeitliche Pause zum erneuten Erschrecken in Bild 7.
Jetzt können Sie natürlich sagen: Aber wir brauchen beim ersten Mal ein Verzögerungsmoment, um das Muster für die weiteren Fänge zu etablieren. Richtig! Nur ist der Zoom dafür das falsche Stilmittel. Verständlicher wäre es gewesen, die Kamera auf gleichem Abstand zu halten, aber in der linken unteren Bildhälfte den roten Fisch schon mit seiner Schnauze anzudeuten.
Da wir in Bild 7 vom Zoom in die alte Kameraentfernung zurückspringen, werden wir vom unangekündigten Erscheinen des roten Fischs überrumpelt und verwirrt. Erst die zwei nächsten Fische in Bildern 8 und 9 erklären uns das Muster anhand sturer Repetition.
Soweit unsere Bildbeispiele. Ich besitze das Buch nicht, will es auch (jetzt spätestens) nicht mehr besitzen, wollte aber zur Kontrolle weitere Seiten sichten. Obwohl ich den Comic am Wochenende im Hamburger „Comic Room“ liegen sah, hab ich ihn gestern in Köln nicht gefunden (gesucht im Pin-Up und in der Mayerschen). Immerhin fand ich weitere zehn Seiten im Netz. Es sind mir noch mehr der oben geschilderten kuriosen Klöpse aufgefallen. Allerdings nicht auf jeder Seite, das sei betont.
Mein Resümee: Keramidas begeht in seiner grafischen Umsetzung eklatante Fehler in der sequenziellen Erzählung. Hat der Mann überhaupt schon Comics gemacht?
Ich schaue nach: Er hat, sogar recht prominente (die ich aber alle nicht kenne). Die Fantasyreihe LUUNA bei Splitter sowie die französische Albenreihe ALICE AU PAYS DES SINGES.
Also: MICKEY’S CRAZIEST ADVENTURES. Die hab ich mir anders crazy vorgestellt.
Das soll er sein, der famose Hommagenzauber von Trondheim?!
My, oh, my. Das Buch würde ich meiner Tochter nicht in die Hand drücken.
(Die ist eh längst auf Netflix.)
Die Bildbeispiele sind Copyright-geschützt von Trondheim, Keramidas (Egmont Comic Collection). Ich nehme mir heraus, sie aus Gründen der Kritik abbilden zu dürfen.