Tillmann liest: EIN DIABOLISCHER SOMMER

Diese Graphic Novel (aufgelegt bei Carlsen) war ein Kritikerliebling des Jahres 2016. Dieser Comic ist so schön (allein die Farben!), dass auch ich nach einigem Widerstand nicht umhin konnte, mir den Band zuzulegen.

Thierry Smolderen (Skript) und Alexandre Clerisse (Artwork) schildern daran den Sommer 1967, der für den jungen Mann Antoine in besonderer Erinnerung bleiben wird. Er macht erste Erfahrungen in der Liebe, während zugleich sein Vater in mysteriöse Machenschaften verstrickt scheint. Denn es gibt einen Spionageverdacht und einen Amateurfilm von der Kennedy-Ermordung, hinter dem ein DIABOLIK-artiger Killer her ist (Gastauftritt aus den italienischen Fumetti).

Wir haben es hier mit dem  zweiten Wurf des Kreativgespanns Smolderen & Clerisse zu tun (ihr Band DAS IMPERIUM DES ATOMS machte 2014 Furore). Auch das habe ich gelesen, und für beide Werke trifft mein einhelliger Befund zu, er lautet: Naja!
So paradox es klingt, man möchte diese Bücher im Schrank haben, sie sind einfach zu schön (allein die Farben!), man möchte sie auch ein zweites Mal lesen – aber sie lassen mich unbefriedigt zurück.

Ich geb‘s ehrlich zu: Ich hab beide Comics nicht verstanden! Aber da ich kein Doofi bin, werfe ich hiermit Autor Smolderen die Überfrachtung seiner Skripte vor. In SOMMER und auch in IMPERIUM gibt es Zeitsprünge, verschiedene Zeitebenen, Meta-Verweise und popkulturelle Zitate, die leider wenig Spaß machen, sondern den Fortgang der Geschichte nur verkomplizieren.

SOMMER ist ein hochkomplexes Gespinst aus Coming-of-Age, First Love, Agentenabenteuer, Verschwörungsthema, Identitätssuche und nostalgischer Reise. IMPERIUM handelt von Science Fiction-Sehnsucht, Telepathie, Zeitreise, einem Business-Komplott … und … und … und den Rest habbich vergessen, Herrgott.

Beide Werke bleiben kryptisch und ungefähr (für mich jedenfalls), was seinen Reiz haben kann, aber hier nicht funktioniert (wiederholt: für mich). Gerne erfahre ich IHR Feedback, wenn SIE da draußen lächelnd durch diese Comics gesegelt sind und brillant unterhalten waren. Ich hab mich schwergetan. Was unendlich schade ist!

Hätte Smolderen da weniger gewollt, hätten die Bücher unter Umständen lockerer, witziger, organischer sein können. Weniger wäre hier mehr gewesen! Dass ich das mal schreiben darf … oder muss … ächz.

Und damit kommen wir zum Artwork von Clerisse, an welches ich auch Vorwürfe habe. Unbestritten ist es schön (allein die Farben!), nur werfe ich die Frage auf: Wie viel packender könnte das noch sein, würde Clerisse einen Tacken mehr in Richtung Realismus gehen?!
Sein Stil ist bilderbuchhaft, und ich ergänze mal boshaft: der aus der Kinder-Ecke.
Ich finde, diese karikaturesken Funnies passen nicht exakt auf den Inhalt der Sujets. Und das verleiht diesen Comics eine Schieflage, verursacht einen unterbewusst störenden Disput im Schädel – ein Scharren, Scheuern und Schubbern im visuellen Cortex.

Clerisse zeichnet nicht, er illustriert, er ist blumig, er ist drollig, er verliert sich in der restlichen Gestaltung – anstatt seine Charaktere schärfer zu umreißen. Das mag vage klingen, ich bitte Sie, die eingefügten Scans zu studieren, um zu erahnen, was ich meine.

Ein stylisher Look und ein intelligentes Skript (beides haben wir hier) reichen mir nur zur Genüge, wenn der Stil auch mit dem Thema übereinfällt und die Handlung nicht in rätselhaften Rauch aufgeht.
Also, Fazit: Superschöne Comics (allein die Farben!), aber ich werde nicht richtig warm damit.
Und hier als online-Bonus, unser Fazit in französischen Geräuschen.