Das ist so’n Comic, der sich schön langsam aufbaut, sich dramaturgisch geschickt zu steigern weiß, seine Figuren wunderbar im Griff hat – und dann plötzlich (wie das klassische Soufflé) in sich zusammenfällt.
Doch fangen wir vorne an. Autor Greg Rucka schildert uns eine nächtliche Hexenversammlung im Wald. Frauen und Männer stehen bei Kerzenlicht im Kreis und vollführen eines ihrer Gemeinschaftsrituale. Wohlgemerkt unblutig, denn diese Personen gehören der Wicca-Religion an und bestärken sich lediglich in ihrer Verbundenheit mit der Natur.
Es ist gerade so schön besinnlich – da geht das Telefon!
Eine der Hexen, Rowan Black, hat ihr Smartphone angelassen, und das aus gutem Grund. Sie ist Polizeidetektivin in Bereitschaft und muss das Ritual verlassen, weil in der Stadt eine Geiselnahme passiert ist und der Geiselnehmer ausdrücklich nach ihrer Anwesenheit verlangt!
Im Austausch gegen die Geiseln lässt sich Rowan auf die Begegnung mit dem Täter ein. Der ist auf einer Mission, um gezielt Rowan auszuschalten.
Wie Sie sehen, weiß der Mann um Rowans Geheimnis. Sie ist nicht nur Wicca, sondern tatsächlich eine jahrhundertealte (in immer neuen Körpern wiedergeborene) Hexe vom mächtigen Clan der Black.
Als der Geiselnehmer sie mit Benzin übergießen und lebendig verbrennen will, lenkt Rowan mit einem Zauber das Feuer auf ihren Angreifer und kann so überleben.
Das ist der rasante Auftakt von BLACK MAGICK, und ich bin begeistert, wie griffig uns Rucka die Hauptfigur präsentiert. Das gestörte Ritual im Wald ist eine tolle Idee, um Rowan als Hexe und Detektivin einzuführen. Die sich anschließende Geiselnahme zeigt nicht nur ihren „Arbeitsalltag“ und die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch, welche Bedrohung über ihr schwebt. Offenbar sind finstere Mächte auf sie aufmerksam geworden und möchten sie vernichten.
In nur zwei Szenen (Wald / Geiselnahme) ist die Figur definiert und steht uns plastisch vor Augen. Das ist eine Kunst der Charakterisierung, die viel zu selten Anwendung findet.
(Mein Paradebeispiel ist immer der Milos-Forman-Film „Amadeus“, der uns Mozart ebenfalls in nur zwei Szenen etabliert: erst als kichernden Schürzenjäger, dann als musikalisches Genie, das den Konkurrenten Salieri lächerlich macht.)
Rucka benutzt genau diesen „Doppelsprung“, um danach weitere Figuren um Rowan Black herum zu gruppieren: Ihre Jugend- und Busenfreundin Alex Gray, auch sie eine mächtige Hexe, die aber ein friedliches Leben als Lehrerin führt (die blonde Zeremonienmeisterin vom Anfang).
Ihr Detektivpartner Morgan, der sich Sorgen um Rowan macht:
Zwischen den beiden herrscht eine unausgesprochene erotische Spannung, die ihr Arbeitsverhältnis überschattet. Morgans Frau Anna erwartet ihr erstes Baby, was Morgan zudem verunsichert.
Als in der Stadt (Portsmouth übrigens) weitere Verbrechen geschehen, die jeweils im Zusammenhang mit der Person Rowan Black zu stehen scheinen, wächst Morgans Misstrauen gegenüber seiner Kollegin.
Auch Rowan ist beunruhigt von Kriminalfällen, die zu viele Seltsamkeiten aufweisen, um zufällig zu sein. Irgendjemand ist darauf aus, den Hexen von Portsmouth an den Kragen zu wollen. Hier beraten sich Rowan und Alex über die Geschehnisse.
Wer sich mit Horror auskennt, weiß, dass die linke Hand eines toten Verbrechers ein magisches Artefakt namens „The Hand of Glory“ ist. Damit kann man zum Beispiel unbemerkt in Häuser eindringen oder in nächster Umgebung die Zeit anhalten.
(Ich darf verraten, dass dieser Zauber zum Einsatz kommen wird, ich zeige ihn sogar später noch.) Freuen Sie sich schon?
Der Verdacht unserer beiden Hexen fällt auf die „Aira“, eine Nachfolgeorganisation der Inquisition. Tatsächlich tritt die Aira in Gestalt dreier Figuren auf: Stephan, Laurent und Anne-Marie. Die drei modernen Hexenjäger überwachen die Welt und werden auf Portsmouth aufmerksam.
Man schickt Stephan los, um Rowan zu überwachen. Der ist bald überzeugt, es mit einer gefährlichen Hexe zu tun zu haben und verbeißt sich in die Idee, Rowan unschädlich machen zu müssen.
Zugleich erfolgt ein magischer Angriff gegen Alex, die Rowan nur um Haaresbreite erretten kann. Nicht die Aira, sondern die Legionen der Hölle lassen grüßen!
Nun ist der magische Kessel am Dampfen und BLACK MAGICK hat in fünf Heften eine pralle Welt mit enormer Spannung zwischen den Charakteren etabliert. Es folgen noch elf Hefte, die die Handlungsschrauben weiter anziehen.
Zu meinem Jammer setzt Rucka am Schluss eine Brechstange an, die den Comic zerbröseln lässt. Doch dazu gleich.
Es ist wie verhext
BLACK MAGICK ist ein großartiger Horrorcomic zum Thema „Hexen“ und Autor Rucka hat sich offenbar eingehend mit der Religion der Wicca beschäftigt. Friedliebende Menschen, die jedoch im Falle der beiden inkarnierten Hexen Alex und Rowan keine Ruhe finden können – weil irgendwelche Idioten sie aus überkommenen Gründen für gefährlich halten.
Die Idioten sind natürlich die schwarzmagischen Kollegen aus der Hölle (ja, hier gibt es eine Hölle samt Dämonen-Hierarchie) sowie die Aira – wobei Rucka clever genug ist, hier für eine Brechung zu sorgen.
(Kleiner Spoiler: Laurent und Alex werden sich in eine „unmögliche Affäre“ stürzen, die Hexe und der Inquisitor!)
Ich verrate das nur, weil ich vertiefend belegen will, wie schön dieser Comic mit seinem Personal spielt.
Der Angriff der Hölle auf Alex wird zwar fürs Erste abgewehrt, dennoch hält Rowan Kontakt zur bleichen Dämonenfürstin. Die scheint etwas gegen unsere Hauptfigur in der Hand zu haben. Was, das müssten spätere Ausgaben uns erklären.
Ein weiterer spannender Plot-Point, ich mutmaße, es hat damit zu tun, dass Rowan „auf der Arbeit“ magische Kräfte einsetzt – und dass diese Nutzung übersinnlicher Fähigkeiten ihren Preis hat (bei dem die Dämonen ein Wörtchen mitzureden haben)!
Ein Beispiel: Rowan und Kollegin Colt stehen samt Gerichtsmediziner am Tatort eines neuen Verbrechens. Ein junger Mann liegt erstochen auf dem Gelände eines Güterbahnhofs. Als niemand hinschaut, belegt Rowan den Toten mit einem magischen Blick und nimmt Kontakt mit dessen Geist auf. Mit einem Augenrollen weist das Opfer auf einen Waggon im Bildhintergrund, den Rowan inspizieren und einen Tatverdächtigen darin finden wird.
BLACK MAGICK ist eine geniale Fusion von Krimi und Horror.
Im dritten Band bahnen sich Komplikationen und Konfrontationen an: Morgan lässt sich vom Polizeichef einen neuen Partner zuteilen, weil ihm Rowan unheimlich wird.
Rowan beginnt mit dieser neuen Kollegin eine lesbische Affäre.
Die interne Ermittlungseinheit der Polizei nimmt alle in die Zange.
Stephan gehorcht nicht länger den Befehlen der Aira-Zentrale, sondern ist wild entschlossen, die beiden Hexen umzubringen: Während Laurent auf die Suche nach seiner verschwundenen Chefin Anne-Marie geht, überwältigt er Alex.
Und Rowan? Steht hilflos daneben, weil sie unter dem Bann der Dämonenfürstin steht.
Und dann erleben wir auf den letzten zehn Seiten dieses dritten Bandes ein hastiges Finale, ein provisorisches Ende. Die dramatischen Ereignisse lösen sich vorerst wieder auf, die Handlungsbögen werden sozusagen „eingefroren“.
Das kommt unmotiviert und abrupt, ich ahne, dass dieser Schluss speziell fabriziert wurde, um die Serie halbwegs fertig wirken zu lassen.
Es bleibt aber eine Menge offen: Das Verhältnis Morgans zu Rowan, die Krise innerhalb der Aira, die höllische Verschwörung. Da waren garantiert noch Hefte geplant.
BLACK MAGICK könnte man wiederbeleben, doch seit Herbst 2020 ist kein weiteres Heft erschienen.
Auf der Strecke geblieben
Ich betrachte die Serie daher als „abgebrochen“ – und leider ist BLACK MAGICK kein Einzelfall. Ich erinnere mich schmerzlich an Jonathan Hickmans BLACK MONDAY MURDERS oder INJECTION von Warren Ellis.
Geniale Entwürfe, die einfach nicht auserzählt werden. Immerhin hat SAGA nach drei Jahren Pause seinen Lauf wieder aufgenommen (diese Reihe war zu erfolgreich, um nicht fortgeführt zu werden).
Es tut mir wirklich weh: Da läuft eine Serie, die ein moderner Klassiker werden könnte – und dann verpufft sie aus Gründen, die nicht transparent gemacht werden. Könnte sein, dass Rucka zu sehr für die Dreharbeiten seiner Realverfilmung von THE OLD GUARD eingespannt wurde. Dieser Comic ist übrigens auch großartig, aber ebenfalls (noch) nicht abgeschlossen!
Schade auch für Nicola Scott, die einen Riesenjob leistet. Die australische Zeichnerin hat eine Menge Supermenschenkram für DC geschrubbt, in BLACK MAGICK befleißigt sie sich eines Stils, der nah am Fotorealismus ist.
Das ist eine irrsinnige Arbeit (und im Comic eigentlich unnötig), aber ihre Entscheidung.
Ich zeige jetzt gemeinerweise eine Seite, die die Defizite von Foto- oder Hyperrealismus augenfällig macht.
Rowan hat einen Kriminellen erschossen. Der liegt nun da, wo er hingestürzt ist, mit dem Kopf an einen Wagen gelehnt. Zwei von Rowans Kollegen untersuchen ihn und unterhalten sich:
Ich finde, die Positur des Toten wirkt in seiner perspektivischen Verkürzung ungelenk, fast unfreiwillig komisch. Zudem wirkt der Mann wie friedlich schlafend, seine Wunden nur als blutiger Fleck auf der Brust angedeutet.
Auch die Raumtiefe und die Größenverhältnisse scheinen leicht verkehrt zu sein, vor allem in Bild 3: Proportion und Position der Fahrzeuge zueinander – und lenken Sie den Blick nochmal auf die Stiefel des Toten, die ebenfalls irgendwie falsch wirken.
So was handelt man sich mit Fotorealismus ein!
Bei einem abstrakteren Look wäre einem das niemals aufgefallen.
Womit ich Scotts Leistung nicht schmälern möchte. Sie gefällt mir ansonsten sehr gut. Regelrecht zaubern tut sie in dieser Sequenz im Krankenhaus: Rowans Arbeitspartner Morgan besucht seinen frisch geborenen Sohn am Wochenbett seiner Frau Anna. Die halbmanifeste Teufelin in Weiß hat ihn mit der erwähnten „Hand of Glory“ (in der Schachtel) gelähmt und sich das Baby gegriffen. Rowan platzt herein und versucht, die Situation zu entschärfen, scheitert aber fürs Erste.
Nicola Scott brilliert nicht nur mit ihren Zeichnungen, sondern auch mit ihrer Kameraarbeit und zarten Kolorierungen, die dem auf Grau- und Sepiatönen angelegten Comic einen magischen Mehrwert verschaffen (das eisige Feuer, die Augen der Protagonistinnen, das farbige Lettering).
Noch einmal stoßgeseufzt: Das hätte das Zeug zum Klassiker.
Hätte, hätte, Verwertungskette.
BLACK MAGICK ist auch in drei Bänden auf Deutsch bei Splitter erschienen. Wenn Sie damit leben können, dass dieser Comic „unvollendet“ ist (und wohl auch bleibt), werden Sie fantastisch unterhalten sein. Bereut hab ich’s nicht.
Ich gebe im Video noch einen Eindruck: