Rohes Fest mit DER SCHNÜFFLER

Weihnachtliche Gefühligkeit ist nicht ganz mein Ding und obwohl ich Ihnen natürlich alles nur erdenklich Gute im alten wie im neuen Jahr wünsche, präsentiere ich zum Fest ein paar Auszüge aus einer Comic-Wiederentdeckung der wüsteren Sorte.

Ich hatte vormals auf dieser Seite eine extensive Analyse zweier anderer Werke des Teams Carlos Trillo (Text) und Domingo Mandrafina (Zeichnungen) abgeliefert, nun fällt mir ein 32 Jahre alter antiquarischer Nachtrag in die Hände.

Der große Schwindel & Der Leguan

DER SCHNÜFFLER versammelt neun freche und dreckige Kurzgeschichten über ein herrlich lethargisches und gefühlskaltes Faktotum namens „Schnüffler“, dessen lebhafteste Äußerung ein trauriges „Uff!“ ist.
Dabei ist dieser moralfreie Mensch nicht mal ein Ermittler, sondern er wäre gerne einer!
Als Beleg zeige ich dazu zwei Seiten, den Auftakt der vierten Geschichte. Schöner ist das Klischee vom Privatdetektiv nie parodiert und entzaubert worden.

Ha!“, sagt er und betrachtet sich im Spiegel. Doch statt des verknautschten Gesichts mit der untersetzten Figur sieht den kernigen Humphrey Bogart in sich.
Prompt tagträumt er von den „dicksten Aufträgen“, offeriert von „Superfrauen“, die auch noch Unsummen hinblättern, um ihn zu engagieren.
Im Anschluss entblättern sich diese Teufelsweiber auch noch – weil der Schnüffler so unwiderstehlich ist!

Die Wahrheit schaut anders aus. Die Auftraggeberin ist nicht seine Traumfrau, sie kann auch nur einen kleinen Betrag bieten – und schon gar nicht präsentiert sie ihm ihren Körper!
Auf sein Zögern hin will sie schon gehen, da hält sie der Detektiv zurück.
Sein „Warten Sie!“ bedeutet, dass der Schnüffler auf jeden noch so miesen Job angewiesen ist; Mandrafina zoomt dazu auf sein beschämt nach unten blickendes Profil heran.

Die Welt als Wille und Ausblendung

 

Dieser Schnüffler ist ein trauriger Hund in einer traurigen Welt, in der er traurige Aufträge erledigt. Diese dystopische Zukunft wird zu Beginn clever auf einer Seite umrissen: Unser Mann bahnt sich seinen Weg durch eine Demonstration für die Rechte von Mutanten, denn diese Welt hat sich gespalten in eine zwei-Klassen-Gesellschaft. Dem Schnüffler ist das alles egal, er will bloß seinen Job hinter sich bringen!

Im ersten Fall kidnappt er eine Frau und führt diese ihrem Peiniger zu – ein Lustmolch, der sich als grotesker Tentakel-Mutant entpuppt. Das ist natürlich frauenfeindlich, aber auch böser schwarzer Humor aus dem letzten Jahrhundert. Uff!
(Und dieser Domingo Mandrafina zaubert einfach göttliche Schwarzweiß-Panels aufs Papier.)

Dadaistisch skurril wird es im nächsten Abenteuer, in welchem der Schnüffler tatsächlich protestierenden Arbeitern hilft! Die Arbeitsmutanten sind nämlich durch eine genetische Züchtung überflüssig gemacht und auf die Straße gesetzt worden.
Mandrafina inszeniert die neuen Arbeitskräfte auf maximal alberne Weise:

Ein Blumentopf, aus dem Hände ragen und klaglos die Fließbandarbeit erledigen! Der Schnüffler vergiftet kurzerhand sämtliche „Pflanzen“, nimmt sich jedoch ein Exemplar mit. Das stellt er unter seinen Schreibtisch, nimmt Platz und … den Rest überlasse ich Ihrer Fantasie!

Das ist ja schon Underground-Comic.   :- )
Aber so schön lakonisch und abgebrüht, dass ich es Ihnen nicht vorenthalten wollte.

In weiteren Geschichten geht es um kleine Morde, große Dramen, verpatzte Überwachungen. Der Schnüffler wird gerne hintergangen und ausgespielt – allein, es macht ihm nichts. Dieser Möchtegern-Bogart nimmt nichts persönlich.
Er schlurft einfach teilnahmslos davon, denn er weiß: In dieser kaputten Welt wartet schon der nächste Auftrag. Irgendwo fallen immer ein paar Kröten ab, um sie in Alkohol oder käufliche Frauen investieren zu können.

Seine sittlich verfallene Zukunftswelt nutzt Autor Carlos Trillo zur Installation abenteuerlicher Plots, die mich Hardboiled-Kritiker mit ihrer Hardboiled-Chuzpe erfreuen können. So Fall Nummer 6, in dem der Schnüffler einen bezahlten Mord begeht!
Auf Geheiß eines Hamburger-Fabrikanten bringt er den populären Mutanten-Aktivisten Mordo um (und hofft auf einen Folgeauftrag: die Leiche verschwinden lassen, damit sie nicht zum Relikt wird).

Doch der Hase läuft anders, der Fabrikant ist zufrieden, dass die Leiche öffentlich zur Schau gestellt wird, denn:

Der Fabrikant hat durch den Mord einen Volksauflauf inszeniert, um auf der Straße mehr Hamburger verkaufen zu können! Ist das nicht der Gipfel des Zynismus?

„Uff, diese Konsumgesellschaft!“

 

Lustig finde ich auch die Episode um die blonde Sexbombe, die als Mutant gilt, weil auf ihren Brüsten Miniaturhände wachsen und allen Gaffern obszöne Zeichen signalisieren.

Oder die Episode um den Mutanten mit den zwei Köpfen. Die beide ihren eigenen Willen haben, aber dieselbe Frau lieben. Damit sich dieses Schicksalspaar nicht auseinanderlebt (was den Tod eines der Köpfe bedeuten würde), greift der Schnüffler zu einer radikalen Maßnahme.

Hier sehen wir ihn grübeln, während er sich seiner Unterhose entledigt. Die wäscht er, trocknet sie auf dem Ofen (er hat offenbar nur diese eine) – und als die Hose getrocknet ist (und er sie wieder angezogen hat), hat er seine Lösung.

Oder die völlig wahnsinnige Episode mit den Körperteilsammlern. Eine Organisation reicher Menschen schickt räuberische Chirurgen los, um Mutanten zu verstümmeln. Deren schönste (menschlich) wirkende Körperteile, Hände beispielsweise, werden dann den Auftraggebern anoperiert, um diese anatomisch zu vervollkommnen. Der Schnüffler ist engagiert, bei einer Mutantendame Wache zu schieben.

(Das ist eigentlich ein alter Horrorcomic-Topos und nicht weit von „Frankenstein“ entfernt, doch was Mandrafina daraus grafisch macht, ist ein Zuckerstück, wie ich finde.)

Dem brutalen Auftakt mit dem Unhold und der Säge folgt eine komische Brechung, als der „behandelnde Arzt“ in voller Montur mit Köfferchen und einer albernen weißen Fahne durchs Fenster klettert:

Die Szene entwickelt sich im Folgenden auf schamloseste Weise, natürlich, denn der egoistische Kerl macht einen Deal: Er opfert die Frau und bekommt dafür ein extragroßes „gutes Stück“ für den Eigenbedarf anoperiert.
Die Prostituierte, die er daraufhin damit beglücken möchte, verlangt allerdings schlagfertig das doppelte Honorar für eine solche Nummer.

Das ist krank, das ist blöd, es lässt mich grinsen. Rohes Fest miteinander!