Ich hatte mir vorgenommen, keine Spin-offs aus dem BLACK-HAMMER-Universum zu lesen. Zu viel, zu verrückt, nicht der Stammzeichner Dean Ormston – außerdem wehre ich mich so gut ich kann, in irgendwelche Superheldengrütze reingezogen zu werden. Entschuldigung für die letzte Bemerkung.
BLACK-HAMMER hat mir gefallen (s. Analyse HIER), weil der Stoff dem Genre tüchtig entgegengearbeitet hat, wunderbare Hommagen an vergangene Jahrzehnte präsentierte und in einem Look daherkam (Dean Ormston!), der Distanz zum Standard-Artwork solcher Erzählungen hielt.
Keine Spin-offs, bitte, da fällt mein Blick auf ein schickes Tradepaperback: BARBALIEN – RED PLANET. Ich denk noch: Oh Gott, der nächste Ableger, aber hey, Artwork von Gabriel Walta, der ist doch großartig!
Zugleich trifft die Stimme des Comichändlers auf mein linkes Trommelfell und gibt verlockenden Input: Das spiele in den Achtzigern in New York, handele von AIDS und sei eine Parabel auf Ausgrenzung und Widerstand.
(Natürlich ist es nicht New York, sondern „Spiral City“, die New-York-Chiffre, also doch New York.)
Gekauft und gelesen: ein kompakter, kompetenter und aufrüttelnder Comic.
Wer die BLACK-HAMMER-Figuren nicht kennt: Barbalien ist ein Marsianer, den es auf die Erde verschlagen hat. Er kann formwandeln und nimmt die Gestalt des Polizisten Mark Markz an.
(Fußnote für Comichistoriker: Die Figur lehnt sich an J’onn J’onzz an, den Martian Manhunter von DC Comics.)
Unser Barbalien jedoch ist homosexuell (so auch in den BLACK-HAMMER-Geschichten) und hat Stress auf der Arbeit: Die taffen Kolleginnen und Kollegen der Polizeitruppe verdächtigen ihn, schwul zu sein und halten Abstand zu ihm.
Denn wir schreiben das Jahr 1986, die AIDS-Epidemie hält die Welt in Atem und in Spiral City geht die Paranoia vor Ansteckung um. Die Polizei greift hart durch gegen Aktivisten und Protestler, die sich gegen die Ausgrenzung wehren und Unterstützung durch den Staat einfordern.
Auf zwei brillant gestalteten Doppelseiten lernen wir den Anführer der Proteste, Miguel, kennen und erleben seine Begegnung mit Mark Markz alias Barbalien. Miguel spricht zur Menge und hisst eine Regenbogenflagge, stürzt dann hinunter in die Tiefe, doch Mark wandelt sich zu Barbalien und fängt den jungen Mann auf.
Barbalien, der als Schwuler eigentlich mitdemonstrieren müsste, kommt ins Grübeln. Einerseits ist da die Loyalität zur repressiven Police Force, die er überdenken muss. Andererseits ist er der städtische Superheld, der Kinder aus brennenden Häusern rettet und sich kein Privatleben erlaubt.
Wofür aber lohnt es sich wirklich zu kämpfen – und was macht Barbaliens sexuelle Identität aus?
Mark Markz wandelt sich in „Luke“, einen schwulen Mann, der in dieser neuen Maske Kontakt zu Miguel aufnimmt. Die beiden beginnen eine Affäre und Barbalien lernt die Subkultur und die Nöte der Community kennen.
Auch trifft er auf die Ärztin Dr. Day, die in einer AIDS-Klink Trost spendet, sowie die Dragqueen Knight Klüb.
Gemeinsam versuchen sie, die Dinge zum Besseren zu wenden, doch die allgemeine Stimmung ist gegen sie – und Barbalien wird zudem noch verfolgt von einem marsianischen Kopfgeldjäger.
Unterschnitten ist diese Handlung nämlich mit Parallelmontagen vom Mars: Die dort herrschende homophobe Gesellschaft verurteilt den Verräter Barbalien, setzt den grimmigen Boa Boaz auf ihn an, bringt ihn zum Mars zurück und macht ihm den Prozess!
BARBALIEN – RED PLANET handelt vom Hass, der nichtnormativen Menschen entgegenschlägt. Ein leider aktuelles Thema.
Der Mars wirkt dabei wie eine mittelalterliche oder fundamentalistische Gesellschaft, wo noch Stammesdenken waltet und Abweichler mit brutaler physischer Gewalt sanktioniert werden.
Die Erde geht in ihren Sanktionierungen schon subtiler vor. Die im Comic dargestellten Schwulen dürfen zwar protestieren und demonstrieren, werden aber dennoch diffamiert, schikaniert und ausgegrenzt.
So spannt dieser Comic ein breites „Verfolgungs-Szenario“ auf. Auf der einen Seite der marsianische Krieger Boa Boaz (der über Leichen geht), auf der anderen Seite die Polizei, die ihre Methoden der Drangsalierung anwendet.
Sicherlich ist BARBALIEN – RED PLANET (trotz der oben gezeigten Doppelseite) keine Heldenschlacht, sondern ein Sozialdrama. Dennoch erlebt Mark Markz seine persönliche Heldenreise, wie man im Nachhinein interpretieren kann.
Und Schauwerte hat dieser Comic auch zu bieten, wenn auch meist solche der feineren und leiseren Art. Ich zeige die Szene, in der sich Barbalien formwandelt zu „Luke“, dem noch ahnungs- und arglosen Mann (Bild 4 bis 6 auf der linken Seite), dann in die schäbige Gasse schleicht, eine Türe öffnet und mittendrin steht in …
Eine Diskothek mit Drag Queens, ha! Das hab ich in einem Cop-Thriller auch noch nicht gesehen. Man erwartet eine Drogenhöhle, ein Spielkasino, eine Spelunke … von wegen! Die Disco find ich toll!
Hier beweist sich die Kunst von Gabriel Walta, der unaufdringlich, aber effektvoll zu inszenieren weiß. Seine Kamera führt uns in diesen Keller, wo plötzlich das Leben pulsiert und Luke das erhoffte Wiedersehen mit Miguel erlebt (in zwei Einschubpanels rechts unten).
Das weitere Schicksal von Miguel darf ich hier nicht verraten, doch es korreliert natürlich mit dem unserer Hauptfigur: Ist einem an Gerechtigkeit gelegen, kann man nicht im Schweigen verharren.
In einem kurzen, aber bewegenden Nachwort macht Autor Tate Brombal (Link zu dessen Blog HIER) deutlich, dass AIDS alles andere als vorüber ist. Die armen, sprachlosen und unterprivilegierten Menschen der Welt leiden nach wie vor an diesem Virus.
Und bei „Virus“ ist der Gedankensprung zu anderen Virenerkrankungen und ihren „Kollateralschäden“ nicht weit …
Insofern ist BARBALIEN – RED PLANET doppelt aufrüttelnd und darf gelten für viele Formen der Diskriminierung. Ach, lesen Sie es doch einfach selbst!
Ein Comic, der Haltung beweist – und vor allem seine Figuren Haltung beweisen lässt.
Das Duell Markz gegen Boaz ist nur ein Actionhäppchen in einer Geschichte, die uns fragt, wie wir leben wollen. Barbalien gerät stellvertretend zwischen die Fronten (seines Gewissens und seiner Gesellschaft).
Das Ende kommt wuchtig und dramatisch (und einen Hauch pathetisch), dennoch mit voller Berechtigung.
Ich war sehr bewegt und bin stolz auf mein Medium: Fantastisch, was Comics heute leisten können!
[Anmerkung 1: Die BLACK-HAMMER-Comics erscheinen auf Deutsch bei Splitter. Eine Übersetzung von BARBALIEN – RED PLANET ist jedoch erst für Neujahr 2022 projektiert, s. Verlagshinweis.]
[Anmerkung 2: Noch ein Tipp für Fans des Zeichners Gabriel Walta: Unbedingt empfehlenswert ist sein Run von THE VISION, geschrieben von Tom King, in zwei Paperbacks auf Deutsch bei Panini zu bekommen oder als englischsprachige „Complete Collection“.]
Fantastisch auch, wie schnell ich durch das Werk blättern kann: