Wieso stelle ich hier einen Comic vor, der in vielerlei Hinsicht über die Stränge schlägt, der blutig, brutal und balla-balla ist? Erstens weil ich prinzipiell ein Herz für wilde Comics habe, zweitens weil Autor und Zeichner James Harren mich immer wieder mit seinen Ideen überrascht.
Auch nimmt sich dieser krawallige Stoff um Monsterprügeleien in einer dystopischen Zukunft nicht sonderlich ernst. Es geht nämlich um Kaijus, die die Erde überfallen und nur aufgehalten werden können durch die Sekte der Ultramegas – Menschen, die durch außerirdische Bestimmung zu ebenbürtigen Gegner dieser Biester mutieren können.
In ULTRA MEGA schwingt natürlich die gesamte Kaiju-Folklore von „Godzilla“ bis zu „Pacific Rim“ mit, dazu Anklänge an das Superhelden-Genre.
Autor Harren hingegen hält sich nicht groß mit Origin Storys oder Psychologie der Figuren auf, sondern inszeniert von Seite 4 an krasse Kämpfe, in denen möglichst viel Gedärme fliegen (ich sag es ehrlich).
Schauen wir erst mal, wie ULTRA MEGA auf den beiden Startseiten eröffnet:
Das Tempo ist rasant: In fünf Bildern (Seite 1) wird ein Kaiju-Virus etabliert, in weiteren sieben Bildern die Gegenwehr: Eine „Watcher“-Figur erwählt einen Mann von der Erde zum Kämpfer, der wundert sich bloß.
Und damit versetzt uns Harren in die Perspektive dieser Monsterbekämpfer, mit denen wir im Folgenden zu leiden haben werden!
Diese Einführung gefällt mir außerordentlich gut, weil sie a) frech auf unsere Vorkenntnis solcher Prämissen à la GREEN LANTERN vertraut und b) noch frecher den Helden als murmelndes Männchen vorstellt, dem nur ein zeigefingergroßes Schmalbild zugestanden wird.
ULTRA MEGA ist von der Lesart her anspruchsvoll und nicht immer leicht zu dechiffrieren. Wer gerade wo durch die Gegend geprügelt wird, wer gerade wie mutiert, das bedarf ein wenig Reflexion und Mitdenken.
Aber schauen wir in einige Passagen hinein. Zunächst einmal Ultra Mega in Aktion: Unser physisch gewachsener Held hat ein blaues Kostüm angezaubert bekommen und vertrimmt ein gewaltiges Globuli, dem eine Schlange aus dem Maul schießt.
Zeichner Harren delektiert sich an Reißzähnen, Soundwörtern, Speedlines, städtischer Verwüstung und farblich ausgestellten Effekten. Die Zeile „What queen would that be?“ bezieht sich auf die vorausgegangene Drohung des Monsters, noch Bosse über sich zu haben.
Jason, unser Held, hat nämlich eine gescheiterte Ehe (mit einer Frau namens Lilith!) hinter sich. Das Kind dieser Beziehung wird sich zu einem Kaiju entwickeln. Jason jedoch nahm reißaus anstatt den Kampf gegen den Nachwuchs aufzunehmen. Was sich nun rächen wird.
Harren illustriert Lilith in einer Art Röntgenansicht, die uns klarmacht, dass ihre Leibesfrucht kein gewöhnlicher Fötus ist. Das narrative Tempo ist übrigens meisterlich:
Flashback an den heimischen Herd und schockartige Erkenntnis (Bild 1); gegenwärtige Reue, dramatisch im Regen inszeniert (Bild 2 und wieder ein schmaler Rahmen, der den Helden kleinmacht); der Blick der Medusa (Bild 3) und reflexhafte Flucht aus dem Fenster und Entkommen in der Dunkelheit (Bild 4 und 5) – sowie Erklärung für uns, dass Jason hoffte, sein Verschwinden könnte die biestige Transformation des Ungeborenen verhindern.
Es folgt ein 17 Seiten langes Monstergemetzel, das in einem heftigen Finale endet: Das Blut der geschlagenen Helden überflutet die Stadt und ersäuft die halbe Bevölkerung!
Das klingt unglaubhaft und grässlich noch dazu, ist aber genial geklotzt!
ULTRA MEGA trägt seinen Titel nicht ohne Grund. So heißt zwar die Heldenclique, aber was ihnen widerfährt, ist ebenfalls ultra-mega-krass.
Dann schwenkt der Comic (kurzzeitig) auf ruhigere Töne um und beschreibt uns den neuen Status Quo. Ein Hauch von „Die Klapperschlange“ und „Mad Max“ schleicht sich ein, denn nun befinden wir uns in einem Mutanten-Ghetto, abgeriegelt von der wohlhabenderen Gesellschaft.
Die UltraMegas müssen sich neu finden und formieren, während die Macht bei den Kaijus liegt – die nur darauf warten, stark genug zu werden, um die Mauer niederreißen zu können und sich die Erde endgültig untertan zu machen.
Ein neuer UltraMega träumt von zukünftigen Konfrontationen. Wieder imponiert mir Harrens effiziente Inszenierung mit klassischem Schnitt-Gegenschnitt in perspektivischer Verzerrung.
So simpel ist die Handlung
Finstere Gewalten dräuen der verbliebenen Menschheit, während andere Gewalten sich den ersteren entgegenstellen. Hauptsache, diese Folie bietet Anlass zu Alarm!
ULTRA MEGA aber erschöpft sich nicht darin, eine Splatter-Operette zu sein, sondern imponiert mir mit der Darstellung grotesker Monster sowie mit beiläufig inszenierten Settings wie einer Kampfarena, in der man eine Miniaturstadt aufgebaut und den Gladiatoren übergroße Kostüme angezogen hat – damit der Wettstreit so aussieht wie die legendären Fights der Vergangenheit, in der reale Stadtteile verwüstet wurden.
Ins Spiel kommt noch die tragische Figur des Gara, ein Mensch in Monsterkostüm, der sich bei den Machthabern lieb Kind macht und einen fürchterlichen Preis dafür bezahlt.
Hier sehen wir ihn (in bereits ramponiertem Zustand) eine Lebensmittel-Lieferung für seine Kaiju-Meister in Empfang nehmen. Damit wird er seinen UltraMega-Gegner aus der Deckung locken.
Wieder weise ich auf die Eleganz der Inszenierung hin. Eine Sirene, ein Bomber am Himmel, ein Feuerwerk, staunende Menschen, ein Abwurf riesiger Fässer, der Auftritt Garas, der in manischem Gelächter endet:
Dieser James Harren hat alles drauf, was mir an einem Comic Freude macht. Das richtige Maß an illustrativer Abstraktion, das Setzen dramaturgischer Schwerpunkte, die gekonnte Referenz auf Popkultur im Allgemeinen.
ULTRA MEGA macht – metaphorisch gesprochen – „keine Gefangenen“. Dieser Comic tobt sich aus und holt das Maximum aus seiner fantastischen Prämisse. Figuren werden durch die Hölle gejagt, verstümmelt, umgebracht, dann wiederbelebt … es gibt keinen handlungslogischen Konsens zwischen Schöpfer Harren und seinem Publikum!
ULTRA MEGA will auf die Kacke hauen, und das gelingt dieser neuen Serie ganz exzellent. James Harren pfeift dabei auf gewisse Standards und Konventionen und ist ganz getrieben von seiner grafischen Lust an der Entfesselung der nächsten Ungeheuerlichkeit. Der Kerl macht, wozu es ihn hinreißt!
Das hat seinen Preis und geht auf Kosten der Figurenführung, die wacklig daherkommt und keine Tiefe gewinnt. Wer diese Kämpfer und diese Monster wirklich sind, das bleibt sehr an der Oberfläche und ist zuweilen glatt austauschbar.
Aber kann man einem Comic böse sein, dessen erster Teil damit endet, dass (nach einer weiteren Monsterprügelei) der Kopf des enthaupteten Vaters vor den Füßen des jugendlichen Helden landet – und ihm Vorwürfe macht?
ULTRA MEGA muss man mögen wollen. Dieser Comic ist der Zombie-Egoshooter unter den alternativen Superheldenserien. Lassen Sie ihn um Himmels willen liegen, wenn Sie kein Tintenblut sehen können, wenn Sie zerrissene Körper nicht als ironische Verbeugung vor dem Splatter-Genre goutieren können, wenn Sie kein Herz für unbändigen Quatsch haben.
James Harren hat mich mit seinem rücksichtslosen Stoff bestens unterhalten, sowohl inhaltlich mit dieser Kaiju-Krawall-Collage als auch grafisch mit seiner wunderschön texturierten Vision von schrillen Typen und schleimigen Monstern.
Wenn Sie geballte Wildheit vor Ihren Augen vertragen können, spähen Sie in mein Blättervideo. Aber: Sie sind gewarnt, es ist ultra-mega-brutal.