So einen Superschurken hat man noch nicht gesehen, oder besser gesagt: eine Superschurkin.
Thea heißt sie und ist die Höflichkeit in Person. Empathisch, hilfsbereit und frohgemut.
Thea ist Heilerin, arbeitet mit der Kraft von Edelsteinen und vertreibt „dunkle Energien“. Denn diese umgeben uns überall im Alltag und blockieren unser Wohlbefinden und unsere geistige Gesundheit.
Mit der steht es bei Georg nämlich nicht zum Besten. Der Familienvater leidet unter Depressionen und kommt aus seinem Tief nicht heraus.


Seine Frau Sandra hat die imposante Thea auf Empfehlung ihrer Arbeitskolleginnen in der Stadtbibliothek eingeladen und ist bereit, sich auf ihre Heilkünste einzulassen.
Schaden kann es ja nicht, oder?
Schnell hat Thea erste Quellen dunkler Energien gefunden und mit Heilkristallen neutralisiert: der Computer in Georgs Arbeitszimmer zum Beispiel.
Damit die ganze Familie (auch Sohn Frank) langzeitig ihre Energien verbessern kann, geht man auf Shoppingtour im Esoterikladen, wo Thea dem befreundeten Shamanen hinter der Kasse Kundschaft zuführt.


Achten Sie im letzten Bild schon mal auf die subtile Zeichenkunst von Claus Daniel Herrmann. Thea ist zufrieden, Georg strahlt Hoffnung aus, Frank verstaut neugierig seinen Edelstein in der Hosentasche – nur Sandra zieht einen Flunsch, weil sie das Portemonnaie zücken musste.
Und während Georg in Theas alternativmedizinischem Gebaren tatsächlich Trost findet, vertieft Frank seine Freundschaft zum Volleyballkameraden Michael.
Der steht auf Tradingcards und Horrorfilme und bittet Frank, ihm Gruselbilder zu zeichnen.



Auch in der obigen Sequenz wird grafisch deutlich, dass Frank etwas für Michael empfindet. Er hofft, durch seine Arbeiten eine Beziehung zu ihm aufzubauen.
Franks Leidenschaft ist das Zeichnen, das hilft ihm auch durch die schwierige Zeit mit dem dysfunktionalen Vater Georg, der sich von der Familie zu isolieren droht.
Thea allerdings fährt Frank in die Parade, als sie herausbekommt, dass der junge Mann mit seinen Schauerbildern dunkle Energien weckt!
Zum Wohle aller befiehlt sie ihm, seine Zeichnerei zu unterlassen – und setzt sich im Familienrat damit durch, die fertigen Werke mit rosa Wasserfarben zu überpinseln.

Keine Energieverschwendung, bitte!
Frank ist schwer getroffen. Diese Zensur nimmt ihm die Lebensfreude und die Hoffnung auf eine Beziehung mit Michael.
Jetzt rutscht der Sohn in eine Depression und PINKE MONSTER wird zum Familiendrama, in dem sich Mutter Sandra bald für eine Seite entscheiden muss.
Gegen Ende nämlich kommt es zu einem schönen Showdown auf Theas Hauskonzert, wo sich die esoterische Sekte um ihre Anführerin schart.

Der Einsatz der Zusatzfarbe Rosa soll an dieser Stelle beleuchtet werden.
Claus Daniel Herrmann bringt sie erst mit der Figur der Thea ins Spiel und signalisiert damit die Aura des Esoterischen, die sich fortan durch den Comic verbreitet.
Parallel dazu taucht das Rosa im Subplot (das queere Thema) auf, wenn Frank sich aus dem bedrückenden Haushalt löst und sich mit Michael trifft.
Hier wird das Rosa zu Franks Aura und überschreibt die vormalige Bedeutung durch eine persönliche Selbstbestimmung (statt Fremdbestimmung durch die Sekte).


Wer ist hier ein Monster?
PINKE MONSTER kombiniert eine Coming-of-Age- und Coming-Out-Geschichte mit Sozialreportage und Sektenaufklärungsbericht.
Diese Mischung find ich ziemlich irre, hab ich so noch nie gesehen und sie funktioniert vorzüglich!
Claus Daniel Herrmann erzählt locker und mit leichter Hand eine simple Geschichte, die sich jedoch in origineller Weise auf mehreren Ebenen bewegt und clever ineinander verschränkt ist.
Seinem klaren und deftigen Strich stellt er eine effektvolle Kamera und kreatives Layout zur Seite. Obwohl dieser Stil so ökonomisch wie möglich wirkt, steckt eine Menge Zauber in diesen Kompositionen.
Schauen Sie auf diese Sequenz, in der Frank der Heilerin gegenüber gesteht, (noch) unerwiderte Gefühle für Michael zu empfinden.


Perfide, wie Thea dem jungen Mann einredet, auf Michael verzichten zu können. Denn Thea verfolgt nicht nur eine sektenfreundliche, sondern auch eine queerfeindliche Agenda!
In ihrer Welt ist Homoerotik eine weitere Quelle dunkler Energien.
Ich sag ja: So eine Superschurkin hab ich noch nicht gesehen!
:- )
Tolles Lese-Erlebnis: Dieser Comic bringt verbrauchte Energie sofort zurück!
PINKE MONSTER ist vor einem Vierteljahr bei Reprodukt erschienen (dort auch eine Leseprobe einsehbar).
Auf einem Künstlergespräch im CölnComicHaus hat Herrmann übrigens erzählt, dass der Verlag ihn mit einem professionellen Lektorat unterstützt hat – Applaus dafür, das ist nicht unbedingt die Regel bei der Produktion deutschsprachiger Comics.
Wer mehr sehen möchte: Auf Instagram blättere ich durch das Werk, bis Ihnen pink vor Augen wird.