Ferienfahrt mit Hindernissen: HONEYMOON 2

Frech, frech, frech – wie Bastien Vivès sich das Genre Abenteuercomics aneignet.

Glaubte ich noch, sein HONEYMOON-Album „Der Kuss der Sphinx“ von diesem Frühjahr sei ein launiger One-Shot, muss ich verblüfft erkennen, dass der Bursche expressartig einen zweiten Band vorgelegt hat.

Der Franzose tritt dreist in die Fußstapfen großer Vorbilder wie TIM UND STRUPPI, ANDY MORGAN oder LARGO WINCH und TANGO und macht sich einen Spaß draus!

Ich habe viel gelacht bei der Lektüre, denn Vivès greift sich schamlos Versatzstücke und Zitate (auch aus Filmen wie „Tomb Raider“, „Indiana Jones“ oder „Anaconda“) und bastelt sich seine Version eines Unterhaltungscomics.

Erneut gelingt es ihm unverschämt leicht und locker: In den ersten elf Panels der Geschichte etabliert er seine beiden Hauptfiguren, ihre aktuelle Befindlichkeit, den Grundton der Handlung, ein Gefühl der Gefahr und mehrere Plotpoints, die später noch Bedeutung erlangen.

© für alle Abbildungen: Bastien Vivès / Schreiber & Leser

So treffen wir Sophie und Quentin wieder, das Ehepaar, das immer ohne seine Kinder verreist. Ein ansteckender Magen-Darm-Virus wird erwähnt, ein Aufenthalt in Mittelamerika, die rauen Sitten dort, ein aufziehendes Unwetter sowie ein Bericht über einheimische Schlangen.

All das entrollt sich pronto zu einer wilden Erzählung um eine Schatzsuche im tropischen Regenwald.

Als erstes schlägt das Virus zu: Sophie geht zu Boden.
Und ich darf verraten: Der Reihe nach alle anderen Figuren in diesem Band, je nach dramaturgischer Notwendigkeit!

Das ist zwar billig und erwartbar, aber ich betrachte es als „running gag“, der das Album im Ganzen ironisiert – wie ich es auch lustig finde, dass das Klischee von „Montezumas Rache“ schon vor der Ankunft in der Fremde bedient wird.

Als nächstes erleben wir den Auftritt des Klischees von Macheten-Mann. Das war auf der ersten Seite angespielt worden, hier wird es Wirklichkeit.

Der bedrohliche Fremde ist jedoch der hilfsbereite Einheimische Joachim, der unserem Paar den Weg zu einer Herberge zeigt.

Im Tropensturm hat sich Quentin verfahren und sucht nun mit Sophie Unterschlupf in einer zwielichtigen Absteige, wo sie sich das Zimmer mit einem Polizisten und dessen Gefangener namens Maria teilen müssen.

Wenn ich jetzt sage, das erinnert mich an den Auftakt der „Rocky Horror Picture Show“, halten Sie mich für übergeschnappt.

Ich möchte aber klarmachen, dass Vivès uns unbewusst an ein Büfett typischer Tropen geführt hat, an dem wir uns dankbar sattessen können.
Das unheimliche Wirtshaus, bevölkert von verdächtigen Personen – die alle nicht sind, was sie scheinen.

Und als das Unwetter sich verstärkt und Erdrutsche auslöst, spült dieser Comic auch alle vermeintlichen Gewissheiten hinweg.
Denn Joachim taucht wieder auf, befreit Maria und gemeinsam nutzt man den Leihwagen der Touristen, um im Dschungel eine wertvolle Kiste zu bergen.

Vivès platziert eine Sprechblase über Sophies Auskunft zu Quentins Beruf. Der ist momentan an der Reihe, krank zu sein und wir dürfen uns fragen, ob er vielleicht ein Geheimagent ist.

Nur eine kleine Pointe am Rande, denn nun geht es über das nächste Klischee (wacklige Hängebrücke über tosendem Fluss) dorthin, wo die Kiste liegt.

Überraschung: Das Unwetter hat die Landschaft umgestaltet, außerdem warten bewaffnete Komplizen auf unsere Gruppe.

Jetzt müssen Sophie und Quentin nach dem Schatz schippen und damit rechnen, anschließend von den korrupten Polizeibeamten exekutiert zu werden.

Also verfallen sie auf den Plan, ihre Gegner krank zu machen (Quentin ist wieder auf den Beinen, aber Maria aktuell durch den Wind):

Diese knapp zwei Seiten haben mich gekillt.
Ein Abenteuercomic, dessen Helden die Flaschen ihrer Feinde anlecken?!
Kann ich mich kaum dran satt sehen.

Schauen Sie, wie schön Vivès das in Szene setzt: ein nächtliches Lagerfeuer, verstohlene Blicke, fließende Rotze.

Ich begreife HONEYMOON als Hommage und Satire zugleich.
Wir bekommen Abenteuer geliefert, aber Vivés folgt nicht unbedingt den Konventionen bzw. erlaubt sich Kunstgriffe, die das Genre in neuem Licht erscheinen lassen.

Ich sehe deutliche Parallelen zur Westernserie MARSHAL BASS, von der ich sage: Hier gibt es Dinge zu sehen, die so noch nicht im Genre gezeigt, kombiniert oder ausgespielt worden sind.

Sophie und Quentin können flüchten, geraten aber von der Tropensturmtraufe in die Riesenschlangenhöhle (Sie haben es doch geahnt, siehe Seite 1 des Comics!).

Wie im ersten Band mit den Haien klotzt uns Vivès einfach mal zwei Seiten voller Schlangen hin.

Das müssen wir, das sollen wir gar nicht ernst nehmen, denn HONEYMOON wartet in der nächsten Szene schon mit einer Guillotine auf!

Auch das war angeteasert und darf nun als Kritik an westlicher Beurteilung indigener Kulturen verstanden werden.

Das Finale gehört einem dramatischen Transport der Schatzkiste über die zerfallende Hängebrücke. Das war mir jetzt zu konventionell, weil hier keine Brechung passiert, aber will ich mich über 4 aus 45 Seiten beschweren?!

HONEYMOON 1 war cool, HONEYMOON 2 ist zum Schreien, weil deutlich komödiantischer.
Insgesamt ist das Comic, wie er sein soll: kompetent, kreativ und lustvoll.

Ich linke die Verlagsseite bei schreiber&leser und stifte noch einen Eindruck, indem ich hineinblättere.
Vorsicht: Ich habe den Comic vorher angeleckt!