Achtung: Frisch verlängert!
Noch bis 29. März 2020 zeigt das Max-Ernst-Museum seine „MOEBIUS“-Schau.
Ich konnte Anfang Januar mit Kurator Patrick Blümel noch eine Runde
durch die Ausstellung drehen und ein paar Fragen loswerden.
Wie kam es dazu, dass ein Kunstmuseum sich auf den
Comiczeichner Moebius einlässt?
Blümel: Die Idee zum Moebius-Projekt entstand kurz nachdem wir hier 2015 die Ausstellung The World of Tim Burton gezeigt hatten. Museumsdirektor Dr. Achim Sommer und ich haben gemerkt, dass so ein spartenübergreifendes Thema in unserem Haus sehr gut funktioniert. Auch Max Ernst bewegte sich zwischen den Stilen und lotete diese immer aufs Neue aus. Wir als Max Ernst Museum sehen es als eine unserer Aufgaben, diesem Anspruch des Künstlers auch in unserer Themenwahl gerecht zu werden.
In Deutschland wird die Comic-Kunst, die in Frankreich und den Beneluxländern wesentlich populärer ist, eher kritisch und distanziert gesehen, insbesondere in der Museumslandschaft. Diese Perspektive hat sich in den letzten Jahren langsam geändert und eine Position wie Moebius zeigt, dass dies wirklich an der Zeit ist.
Am Ende hatten wir bei Tim Burton fast 100.000 begeisterte Besucherinnen und Besucher. Ein interessanter Nebeneffekt war, dass die Ausstellung ein Publikum auf uns aufmerksam gemacht hat, das recht selten den Weg zu uns findet, vielleicht generell nicht so kunstmuseumsaffin ist.
Für uns war von Anfang an klar: Tim Burtons Zeichnungen und Gemälde sind zwar poppig und schräg, gehört aber in ein Kunstmuseum, ins Max Ernst Museum!
Er ist ein Künstler, der über sein Metier Film hinaus noch viel Einfluss hat, sozusagen eine Community um sich herum geschaffen hat. Und das ist der Anknüpfungspunkt zu Moebius.
Hat Sie das Überwindung gekostet? Zu sagen, unser Haus macht
jetzt mal in Popkultur, zeigt Burton und Moebius?
Blümel: Anfangs gab es Diskussionen im Team zum Status des Comics als Kunstform. Das hat ja auch mit Interessen zu tun. Ich als Film- und Comicfan habe da weniger Berührungsängste und denke: Natürlich müssen wir das machen.
Burton hat gezeigt, dass das perfekt funktioniert und wir das machen können, ohne am Image des Museums zu kratzen. Burton hat in gewisser Weise den Weg geebnet für Moebius, für Projekte, die über den Tellerrand hinausschauen.
Sie haben Moebius ja auch an Max Ernst anbinden können. Ich hab es gelesen,
kann es aber nicht mehr hersagen, weil ich nur an Comics denke …
Blümel: An erster Stelle widmen sich beide Künstler auf ihre sehr spezielle Art surrealen Bildwelten. Für mich persönlich gibt es aber eine viel überraschendere Parallele: Beide waren von der amerikanischen Wüste fasziniert. Max Ernst, der mit seiner Ehefrau Dorothea Tanning in Sedona, Arizona, gelebt hat und völlig fasziniert war von den Canyons und dem rot leuchtenden Gestein – und Moebius ebenso. Moebius hat diese Faszination allerdings bereits viel früher in seinem Leben entwickelt, als er als Teenager in Mexiko war. Doch beide haben dieses einschneidende Erlebnis bis an ihre Lebensenden mitgenommen und als Inspirationsquelle immer wieder angezapft.
Vorgezogene Frage: Sind denn weitere Popkulturthemen in Planung?
Blümel: Das ist momentan noch offen. Burton hatten wir 2015, 2019 dann Moebius … also das nächste Projekt in diese Richtung wird ein bisschen dauern, rein rechnerisch 2023. Wir müssen erst einmal sondieren, was man machen könnte, die Messlatte ist hoch.
Wird schwer, das zu toppen. Einen Comicmenschen dieses Ranges zu finden,
da bin ich spontan auch überfragt …
Blümel: Vielleicht suchen wir in einem anderen Metier. Eine surreale Position aus dem Modedesign war mal in der Diskussion. Burton ist Regisseur, wir hatten auch schon David Lynch. Zwei Filmemacher, die beide auch bildnerisch tätig sind. Bei Moebius haben wir einen Zeichner, der großen Einfluss auf den Film hat. Für uns sind diese spartenübergreifenden Themen sehr interessant.
Ich denke, eigentlich wäre jetzt die richtige Zeit, um Moebius-Filme zu machen, weil die Voraussetzungen da sind! In den Siebziger- und Achtzigerjahren ist es ja daran gescheitert, dass die finanzierbare Technik fehlte, um diese verrückten Ideen zu realisieren.
Dazu haben wir doch ein Exponat:
Hier läuft auf einem Bildschirm ein Trickfilm von Moebius.
Blümel: „Starwatcher“, ein geplanter Animationsfilm von 1991. Leider hat es nur für einen kurzen Pilotfilm, eine Art Trailer gereicht. Das wäre der erste, komplett computergenerierte Film geworden. Vorher gab es natürlich schon Filme wie „Tron“, an dem Moebius auch mitgearbeitet hat, aber da waren nur Teilaspekte per Computer animiert.
Der erste, komplett computergenerierte Film ist dann „Toy Story“ geworden, 1995. Vier Jahre später waren die technischen Voraussetzungen scheinbar besser und mit Pixar und Disney gab es sicherlich die notwendige finanzielle Basis.
Es kam zu früh. War Moebius seiner Zeit voraus?
Blümel: Sicherlich, mit diesem Projekt hätte er definitiv Filmgeschichte geschrieben. Es zeigt sehr gut, dass Moebius immer den Blick nach vorne gerichtet hat. Bei ihm hat alles diesen gewissen Retro-Touch, aber gleichzeitig ist da der Blick in die Zukunft, auch in technischer Hinsicht: Moebius gehört ja zur Generation der analogen Zeichner, aber hat es im fortgeschrittenen Alter nicht gescheut, ins digitale Zeichnen umzusteigen.
Das war mir gar nicht geläufig. Hat er?
Blümel: Er hat sowohl analog mit Tusche auf Papier als auch am Computer gezeichnet. Viele seine Arbeiten sind Hybride. Er hat Tuschezeichnungen eingescannt und am Computer weiterbearbeitet.
Wir zeigen in der Ausstellung Videoaufnahmen von seinem Tablet-Screen, wo er rein digital zeichnet. Eine tolle Möglichkeit, seiner charakteristischen Linie zu folgen, zu sehen, wie die Figuren entstehen. Er hat sie auch „tanzende Linie“ genannt.
Weiß man, was für ein Gerät das war, welche Hardware?
Blümel: Man hat u.a. mit Wacom-Tablets gearbeitet. Ist aktuell noch oft der Standard im Grafikdesign. Wir haben im Rahmen der Ausstellung mit einigen jungen Illustratoren gearbeitet, die die Animationen für die Großbilder gemacht haben. Natürlich sind die Geräte mittlerweile fortschrittlicher und komfortabler.
Das ist auch sehr beeindruckend. Das passiert per App auf einem Smartphone.
Ich bin kein Mensch, der Apps runterlädt, aber ich habe Leuten
über die Schulter geschaut.
Blümel: Ich mach die mal an.
[Blümel ruft die Animations-App auf und führt vor, wie Major Grubert aus dem Fenster steigt].
Ich sehe die Motive der Großbilder wie Momentaufnahmen einer Geschichte, die sich vor dem inneren Auge in Bewegung setzt. In den Animationen manifestiert sich dieses Kopfkino, der cineastische Ansatz von Moebius, der sich in fast allen Motiven wiederfindet.
Eine weitere Idee dahinter war, dass die Betrachtenden so Teil eines Comics werden. Das passiert beim Lesen ja sowieso, dass man in den Comic regelrecht eintaucht. Diesen Effekt wollten wir auch in der Gestaltung der Ausstellungsarchitektur erreichen.
Jetzt habe ich die Frage, was eine „Digigrafie“ ist. Viele Exponate hier, die keine
Original Art und keine Lithografie, also ein Kunstdruck, sind, sind als Digigrafie
gekennzeichnet. Das Wort ist mir hier zum ersten Mal begegnet.
Blümel: Digigrafie ist ein digitales Druckverfahren und damit ein Kunstdruck.
Ähnlich der Lithografie, die ein anderes, allerdings klassisch analoges Druckverfahren bezeichnet.
Der neue heiße Scheiß sozusagen.
Blümel: Es ist der gängige Weg, um digitale Daten in eine physische Form zu bringen. Moebius hat ja sowohl analog als auch digital gearbeitet. Für viele Fans ist es ein besonderes Erlebnis, Originale zu sehen. Da kann man die feinen Tuschelinien studieren, oder auch wie in Prä-Photoshop-Zeiten Retuschen durchgeführt wurden. Mal sieht man Korrekturen mit Tipp-Ex, und dann hat er einfach ein Papierstückchen aufgeklebt und neu darauf gezeichnet. Für „klassische“ Comicfans sind das sicherlich die Highlights.
Die Frage für uns als Ausstellungsmacher ist, was man mit den digitalen Arbeiten macht? Und das ist bei Moebius eine beachtliche Anzahl. Wie kann man die eigentlich ausstellen? Kann man die überhaupt als Originale bezeichnen, obwohl sie digital sind und nicht auf Papier vorliegen? Oder sind das auch Originale? Aber wie zeige ich die?
Das sind nur Bits und Bytes. Die muss ich materialisieren.
Blümel: Genau, printen, ausdrucken. Das ist im Prinzip wie bei der analogen und digitalen Fotografie. Früher hat man einen Gelatine-Abzug gemacht, heute druckt man aus. Das macht die digitale Fotografie ja nicht weniger zum Original.
Insgesamt standen wir vor der Frage, wie präsentieren wir das Werk eines Comiczeichners, der über 30.000 Zeichnungen in seinem Leben angefertigt hat?
Wir wollten es nicht starr chronologisch machen: Hier fängt er an und da hat er geendet. Wir haben uns stattdessen für eine thematische Hängung entschieden, die bestimmte Aspekte seines Werkes als Assoziation hervorhebt. Alles sollte frei fließen, atmen können, schweben, Kunstwerke sowie auch die Besucherinnen und Besucher.
Die Titel in den Themenbereichen sollen eine kleine Hilfestellung geben. Auch wenn Moebius recht bekannt ist, in der Comicszene hat er ja fast gottartigen Status, so kommen sicherlich auch viele Menschen in das Museum, die nicht so comicaffin sind und erst einmal nur motivisch angesprochen werden. Da wollten wir eine assoziative Orientierung geben. Darüber hinaus gibt es an den Wänden Zitate von Moebius zu einzelnen Themen und Werken. Wir haben uns gegen erklärende, kunsthistorische Texte entschieden und mehr die Metaebene im Werk von Moebius betonen wollen. So wird der Besuch zu einem Trip durch den Kopf des Zeichners.
Einleuchtend, dass man Thematiken anbietet wie „Der Traum vom Fliegen und Fallen“
oder „Natur und Metamorphose“ und „Der doppelte Mensch“.
Thema Jean Giraud versus Moebius: Der Comicjournalist Martin Frenzel lag mir
in den Ohren, er hätte mehr Giraud sehen wollen, weil Moebius
nicht von Giraud zu trennen sei. Ich bin da ganz anderer Meinung:
Wo Moebius drauf ist, ist Moebius drin. Für mich hätte es gar keinen Giraud gebraucht. Was gab es bei Ihnen für Diskussionen?
Blümel: Jean Giraud ist natürlich dieser „doppelte Mensch“, den wir in einem der Räume thematisieren: Gir und Moebius. In der Ausstellung wollten wir allerdings die surreale Seite dieses genialen Zeichners hervorheben und das ist für uns Moebius.
Selbstverständlich finden sich Berührungspunkte bei beiden Zeichnerpersönlichkeiten, wie etwa die Wüste. Verständlich auch, dass man deshalb Gir und Moebius nicht absolut trennen kann. So schizophren war Jean Giraud nicht, dass er parallel zwei unabhängige Persönlichkeiten entwickelt hat.
Wobei er selber interessanterweise von einer „kontrollierten Schizophrenie“ spricht und von unterschiedlichen Registern, die man in sich hat und die verschiedene Aspekte einer Persönlichkeit widerspiegeln. Ich würde behaupten, dass man die beiden Zeichner recht gut voneinander getrennt betrachten kann.
Bei „Gir“ ist es die „Blueberry“-Westernwelt, die sichtlich in der Realität verankert ist. Bei „Moebius“ geht es darum, in unbekannte Welten zu reisen, das Unmögliche möglich zu machen. Das zu erreichen, was man in unserer Realität nicht erreichen kann.
Moebius erschuf seine ikonischen Figuren Arzach, Major Grubert oder Stell und Atan, um das machen zu können, was ihm als Mensch Jean Giraud aber auch als Zeichner Gir größtenteils verwehrt blieb.
Moebius der Mensch setzt sich ja selber andauernd in Szene, wie hier am Zeichentisch: Aus einem zunächst kleinen roten Band erwächst ein gewaltiges Alien-Monster, das bedrohlich über dem Kopf seines Schöpfers schwebt …
Blümel: Das Motiv zeigt den Künstler im Schaffensprozess am Schreibtisch sitzend, aber es ist keine äußere Betrachtung der Szenerie, sondern vielmehr ein Einstieg in den Kopf des Zeichners. Das Alien ist das kreative Monster, das Moebius in jeder Zeichnung zu bewältigen versucht, indem er es auf Papier bannt. Es ist gleichsam faszinierend und erschreckend.
In der verschlungenen Figur verbirgt sich sogar das Gesicht des Künstlers, das der Bestie in den Rachen blickt. Der am Schreibtisch sitzende Jean Giraud scheint von diesem Kampf äußerlich wenig beeindruckt.
Das ist übrigens auch eine Digigrafie. Eine Arbeit, die ursprünglich mit Tusche auf Papier entstanden ist, die Moebius dann gescannt und am Computer weiterbearbeitet hat, zum Beispiel um die Kolorierung hinzuzufügen.
(Wir bummeln einen Raum weiter.) Was gibt es noch zu sagen?
Blümel: Für mich ist Moebius Einfluss auf den Film unheimlich wichtig. Ich bin selber großer Filmfan. Er ist ja leider kein Künstler, der als Schöpfer eines Films bzw. dessen visueller Sprache hervorgetreten ist – wie etwa HR Giger mit „Alien“ …
Der steht ja fast schon synonym mit „Alien“.
Blümel: Obwohl Moebius auch an „Alien“ mitgearbeitet hat. Er hat z.B. die Weltraumanzüge mit den runden Helmen entworfen. Wenn man sich die ansieht, erkennt man sofort seinen Stil. Den Pitch für das eigentliche Alien-Design hat er dann aber gegen Giger verloren.
Moebius hat des Weiteren auch die visuelle Sprache von „Blade Runner“ beeinflusst, und zwar mit seiner Geschichte „The Long Tomorrow“. Die ist zusammen mit Dan O’Bannon während der Produktion von „Dune“ entstanden. Ein Film-Projekt, das zwar gescheitert ist, aus dem wiederum aber eine jahrelange Zusammenarbeit mit dem chilenischen Regisseur Alejandro Jodorowsky hervorgegangen ist.
In dieser sehr frustrierenden Zeit, in der das Dune-Projekt immer wieder ins Stocken kam, haben O’Bannon und Moebius die futuristische Detektiv-Geschichte „The Long Tomorrow“ ersponnen. Betrachtet man das erste Blatt, assoziiert man direkt „Blade Runner“. Diese charakteristischen tiefen Häuserschluchten finden sich da ja auch in der Anfangssequenz des Films …
Und im INCAL haben wir auch diese Stadtlandschaften.
Blümel: Genau, der Fall von John Difool ganz am Anfang, der am Ende sozusagen die Moebius-Schleife wieder schließt, das ist natürlich hier präfiguriert.
Was ist denn mit Frauenfiguren bei Moebius? Ich erinnere ausschließlich
diese nymphenartigen Feenfrauen, barbusig, mit toll sitzenden Pagenkopf-Frisuren
… gab es da noch andere?
Blümel: Wir haben in der Ausstellung eine Arbeit mit dem Titel „Starwatcher“, eine androgyne Figur, die jedoch insbesondere weiblich wirkt. Eine der wenigen weiblichen Repräsentationen, die nicht in diesen Bereich der Feenwesen weist. Aber es stimmt schon, das kann man als Kritik an Moebius üben, dass die Repräsentation von Frauen bei ihm sehr einseitig ist.
Sie spielen auch keine Hauptrollen, oder?
Blümel: Frauen treten bei Moebius eher musenhaft in Nebenrollen auf. Oftmals sind sie dabei Projektionsfläche seiner Fantasien. Major Grubert hat etwa eine Assistentin oder auch Geliebte, wie sie wiederholt bezeichnet wird, Malvina, sie ist aber kein Hauptcharakter.
Interessant ist die Geschichte „Die Sternenwanderer“ um die Raumfahrer Stel und Atan: Einer der Charaktere durchläuft eine Geschlechtsumwandlung. Beide Figuren sind anfangs mehr oder weniger geschlechtslos, aber doch eher männlich konnotiert, Stel und Atan. Eine Figur verwandelt sich im Lauf der Hefte in eine Frau und ändert sogar ihren Namen von Atan in Atana. Das ist ein interessanter Aspekt, insbesondere vor der Folie der aktuellen Genderdiskussion.
In die Richtung der nymphenartigen Kindfrauen hat ja seinerzeit
auch Manara immer gearbeitet …
Blümel: Vielleicht hängt der vermehrte Einsatz dieser Typen bei Moebius auch mit einem gewissen Zeitpunkt seines Schaffens zusammen. Jean Giraud ist ja Anfang der 1980er Jahre einer UFO-Sekte beigetreten und hat dann ab 1983 auf Tahiti gelebt, was sich deutlich in seinen Geschichten widerspiegelt. Vermehrt dreht es sich um Religiosität, das Figurenarsenal erweitert sich um Delfine und spirituelle Wesen.
Die dunkle Seite von Moebius.
Blümel: Ja, das ist nicht unbedingt seine kreativste und stärkste Phase.
Böse Anmerkung zu diesem Exponat hier. Das ist ja hart am Kitsch.
Wenn man sich das in Airbrush vorstellt, einen Goldrahmen drum,
den Wasserfall illuminiert – kannst du auf jeder Kirmes kaufen.
So kann man sagen: Hmm, zum Glück ist es Moebius.
Blümel: Stammt tatsächlich aus seinem letzten Portfolio von 2010 und ist eine Hommage an Nils Holgersson, der Titel lautet „The Nils Son“. Die Bildreihe entstand kurz bevor er gestorben ist. Das Motiv ist aus einer Mappe für den Pariser Accessoires-Hersteller Hermès.
Ach, ein Werbeauftrag?
Blümel: Das Portfolio konnte man zusammen mit einem Parfüm erwerben. Diese Serie zeigt unterschiedliche Szenen vom Planeten Edena. Und Edena hat er unter dem Einfluss der Ios-Sekte geschaffen. Ich assoziiere mit den Bildern eine Art Urlaubsfotoalbum, als schaue man sich die Stationen an, die man auf diesem Planeten bereist hat. Oder eine Bilderstrecke aus einem fiktiven National Geographic Magazin.
Das Faszinierende an dieser Serie ist, dass das Thema des Fliegens auf so unterschiedliche Art und Weise dargestellt wird. Interessant finde ich ein Motiv, dass eine Gruppe von Walen zeigt, die ein futuristisches Gefährt unter Wasser begleitet: Unterwasser-Fliegen, wenn man es so bezeichnen will [weist auf ein Bild mit Walen, die geradlinig durchs Wasser ziehen].
Wie war denn der Besuch bei der Witwe? Gab es da eine Art
Vorauswahl seitens Moebius Production?
Blümel: Die Initialzündung für die Ausstellung, die rund zweieinhalb Jahre in der Planung war, ging von uns aus. Wir haben unsere Vorstellungen und Ideen an Moebius Production, dem Nachlass von Jean Giraud, herangetragen. Das heißt, wir haben uns Themen überlegt und damit den Grundton der Präsentation definiert, und auch schon Werke ausgewählt, die uns bekannt waren.
Dann hat Moebius Production, also Isabelle Giraud und ihre Schwester Claire Champeval, ergänzende Vorschläge gemacht, was man noch zeigen könnte – der Rest hat sich dann im persönlichen Austausch ergeben. Es war für mich eine sehr inspirierende Erfahrung.
Dann sind Sie nach Paris gefahren?
Wie darf man sich das vorstellen:
Gibt es da einen Lagerraum
für die physischen Werke?
Blümel: Die ausgestellten Zeichnungen und Gemälde werden alle im alten Atelier von Moebius, in Montrouge, einem Vorort von Paris, gelagert. Da hat er früher auch gearbeitet.
Wenn man sich Dokumentationen z.B. auf YouTube anschaut, kann man ihn da an seinem Schreibtisch sitzen sehen. Das Atelier ist mittlerweile Lagerraum, aber immer noch auch Wohnort.
Ich war mit meiner Kollegin Frederike Voßkamp, die kuratorisch an der Ausstellung mitgearbeitet hat, dort, um die Werke mit dem Transporteur abzuholen. Als wir in das alte Studio kamen, war es so, als könnte Jean Giraud jeden Moment die Treppe runterkommen.
Fast ein Museum also?
Blümel: Es ist wirklich wie eine Art Museum, an dem die Zeit stillsteht, der konservierte Kreativraum des Künstlers. Als würde man in den Kopf des Zeichners steigen. Vieles wirkte wie unberührt, hatte regelrecht noch den Spirit von Jean Giraud inne. Da lag zum Beispiel ein alter Strohhut. Also einer, den er getragen hat.
Wie läuft die Schau denn besuchermäßig? Ich habe das Gefühl, es ist immer was los,
es kommen auch Besucher aus dem Ausland.
Blümel: Wir sind äußerst zufrieden mit der Resonanz. Es ist wichtig für unser Museum, das von so vielen anderen, interessanten Museen in Bonn und Köln umgeben wird, attraktiv zu bleiben. Als monografisches Museum, das einem Künstler gewidmet ist, ist es schwierig das Publikum über einen längeren Zeitraum gleichermaßen zu binden. Theoretisch hat irgendwann jeder einmal Max Ernst gesehen.
Dann muss man schauen, was man machen kann, um Besucherinnen und Besucher weiterhin zu interessieren oder auch neues Publikum zu aktivieren. Tim Burton und nun Moebius spielen eine große Rolle dabei, das Museum in der Region sichtbarer zu machen, auch für neue Zielgruppen.
Letztens hatten wir zum Beispiel den YouTube-Channel „Orkenspalter TV“ zu Gast, die waren noch nie bei uns. Das ist insofern spannend, weil man mal über die klassische kunstaffine Szene hinauskommt. Das Team hatte Werner Fuchs, den Miterfinder des Rollenspiels „Das schwarze Auge“, dabei, was für mich sehr aufregend war (lacht).
Ich bin ja damit aufgewachsen, und dann steht so eine Legende hier in dieser Legendenausstellung.
Ich bemerke: Wir haben jetzt halb Zwölf am Mittwochmorgen – und hier sind mehr
als nur eine Handvoll Leute! Das ist für ein Museum keine Selbstverständlichkeit,
egal was für ein Museum.
Blümel: Selbst ich gehe immer wieder gerne hinein in die Ausstellung, bin selber immer wieder aufs Neue begeistert und sehe dann in den Gesichtern der Besucherinnen und Besucher, wie sich dort die selbe Begeisterung abspielt. Das motiviert ungemein, auch für das nächste Projekt.
Zum Schluss: Haben Sie ein Lieblingsstück, vor dem Sie posieren möchten?
Dann machen wir ein Foto. Hier sehe ich gerade in der Vitrine zwei Seiten
von „La Deviation“, das ist ja auch der Hammer.
Blümel: Das erste publizierte Moebius-Werk, das aber noch mit „Gir“ signiert ist, was Jean Giraud später immer gestört hat. Eigentlich hat Jean Giraud für diese Art Geschichten „Moebius“ erfunden, zu dem Zeitpunkt aber noch mit „Gir“ gezeichnet, weil dieses Pseudonym das bekanntere war.
Tja, damit muss er leben bzw. inzwischen leider nicht mehr.
Blümel: Ich lese gerade WATCHMEN wieder, und irgendwie erinnert mich diese riesige Figur in „La Deviation“ total an Dr. Manhattan, oder?
[Gemeint ist die riesenhafte, kahlköpfige, athletische Männerfigur im Vordergrund.]
Wer weiß? Alan Moore ist alles zuzutrauen!
Blümel: Zumal diese ganze alternative Comic-Szene in den USA ja entstanden ist auch unter dem Einfluss des europäischen Comics. Weg vom klassischen Superhelden und endlich mal was Kantigeres machen zu dürfen!
Amerikanische Superhelden sind ja grundsätzlich geschlechtslos, abgesehen vom Suffix –man oder -woman! In Frankreich hatte man da weniger Berührungsängste mit Genitalien. WATCHMEN wiederum ist ein tolles amerikanisches Beispiel für den Bruch mit dieser Tradition: Dr. Manhattan!
METAL HURLANT war damals Avantgarde. Es ist wichtig, so was weiterzutragen
in andere Länder und Kulturen. Der Einfluss ist nicht zu unterschätzen.
Blümel: Das mit dem Lieblingswerk ist schwierig. Wir hatten auf Instagram und Facebook schon die Aktion, dass jedes Teammitglied ein Lieblingswerk aus der Ausstellung vorstellt. Aber ich stelle mich heute mal hier hin: Eine Konzeptzeichnung für James Camerons Film „The Abyss“. Das ist eins dieser Unterwasser-Aliens. Wieder eine Filmmitwirkung, wieder leider kein kompletter Film von Moebius…
Ich weiß nicht, ob es das groß gebracht hätte.
Wahrscheinlich wären wir enttäuscht gewesen.
Blümel: Vielleicht ist es bei ihm besser, dass sich der Film im Kopf abspielt, weil so viel mehr Möglichkeiten gegeben sind. Moebius fängt in seinen Zeichnungen Träume ein, seine Träume. Die Offenheit vieler seiner Zeichnungen ermutigt uns aber dazu, die eigenen Träume weiterzuspinnen. Das ist die große Magie im Werk von Moebius.
Herr Blümel, vielen Dank für die aufschlussreichen Auskünfte!
„Moebius-Special“ am 1. Februar
Das Museum weist darauf hin, dass am Samstag, 1. Februar 2020 ein besonderer Aktionstag in der Ausstellung angesetzt ist.
Von 15 bis 23 Uhr (!) gibt es nicht nur ein Moebius-Cosplay, sondern auch einen Comic-Tauschtisch, Führungen durch die Ausstellung sowie ein eigenes Programm mit Zeichner*innen:
Vor Ort sind der Animator und Comiczeichner Tristan Wilder, die Illustratorin Gizem Winter, die Porträtisten Claus Daniel Herrmann und Paul Kolvenbach, die Illustratorenbrüder Carsten und Torsten Odenthal, – sowie als Comic-VIP die Zeichnerin Frauke Berger, die nach GRÜN ihr neues Werk DIE SCHÖNE UND DIE BIESTER präsentiert.
Genauer Ablauf im eingefügten PDF, klicken Sie auf den orangefarbigen Header, es öffnet sich ein separater PDF-Viewer.