Die sympathischste Figur in diesem Comic ist Pep, ein Mann, der gleich auf der ersten Seite seiner Frau den Schädel einschlägt. Mit einem Vorschlaghammer.
Das Opfer, Dora, ist eine Kratzbürste, die ihre Tochter Isabel vernachlässigt.
Isabel hingegen ist ein durchtriebenes Luder, das ihren Stiefvater Pep innig hasst.
Nette Leute also, mit mörderischen Tendenzen …
Rabenschwarz ist dieses kleinformatige Album, schon 2018 bei schreiber&leser erschienen ist. In der „Noir“-Reihe, da gehört es auch hin.
Das kuriose Titelbild mit den stoischen Straussen nimmt Bezug auf den nächsten, den zweiten Mord, der im Buch stattfindet. Könnten diese Tiere reden, sie würden sagen: „Glorg!“
Denn das ist das Geräusch, das Strausse machen.
So eröffnet nämlich der Comic, mit viel „Glorg!“ auf der nächtlichen Straussenweide – und einem „Protch!“, das das Auftreffen des Vorschlaghammers auf den Schädel von Dora markiert.
Ich erspare Ihnen die blutigen nächsten Seiten, denn Pep wirft Doras Leiche in einen Brunnen, kehrt ins Wohngebäude der Straussenfarm zurück – und trifft dort auf eine putzmuntere Dora, die in der Küche den Abwasch erledigt!
Ja, schon Seite 11 (von 54) macht klar, worum es hier geht: Dora ist nicht totzukriegen. Ist das aber nur Peps Fantasie oder ein echtes Mysterium? Und was hat Isabel damit zu tun?
Das Dreiecks-Setting (Stiefvater – Mutter – Tochter) auf der Straussenfarm ist so klassisch wie originell. Es braucht nur drei Personen, um hitzige Entwicklungen ablaufen zu lassen. Die Straussenzucht dient dabei als Background für Einsamkeit auf dem Lande (die Wahnsinn gebiert), finanzielle Abhängigkeiten sowie Einblicke in die fleischverarbeitende Industrie (die willkommene Möglichkeiten zur Beseitigung von Leichen offeriert).
Die Kolorierung von Séverine Lambour übrigens verleiht jeder Szene eine eigene Farbstimmung, was zum Collage-artigen Charakter des Albums passt und auf der Meta-Ebene eine Modul-hafte Stimmung erzeugt.
Will sagen: Diese Geschichte ist ein Patchwork aus Genre-Versatzstücken, das nach sturen Gesetzmäßigkeiten abläuft. Erster Mord, erste Überraschung, Reflexion, Auftritt Tochter, Konfrontation, Pläne schmieden, erklärendes Zwischenspiel, zweiter Mord … usw.
Gratulieren darf man dem Verlag (und der Übersetzerin Resel Rebiersch) zur Titelfindung: DICKMADAM, DIE LACHTE ist markant und macht neugierig. Das französische Original lautet „La petite souriante“ und bedient sich bei einem Chanson des Jahres 1908:
Darin widerfährt einer Frau unendlich viel Gewalt (sie wird erschlagen, zerstückelt, von U-Boot-Torpedos zerrissen) – dennoch steht sie „am Tag darauf lächelnd am blumengeschmückten Fenster“, als wäre nichts gewesen.
Autor Zidrou (schreibt auch die Serie SHI sowie den neuen RICK MASTER) nahm diesen surrealistischen Song als Inspiration für seinen Comic um eine Wiedergängerin, die immun gegen den Tod ist.
Ernst nehmen sollte man diesen Comic nicht. Es ist ein finsterer Spaß, der sich in Noir-Formeln suhlt. Das kratzige Pencils-und-Ink-Artwork von Benoît Springer verfolgt einen retro-nostalgischen Ansatz (dazu gehört auch der bewusst ramponiert gestaltete Einband), ist jedoch weniger konventionell als es den Anschein hat.
Nach dem Mord an Dora setzt sich Pep in seinen Wagen und entledigt sich der blutbesudelten Kleidung. Die „Kamera“ macht ziemlich wilde Sachen hier und betont, dass wir uns in der Moderne befinden.
Dies ist kein Comic „im Geiste von EC“, obwohl diese Geschichten aus den 1950er-Jahren schon das mörderische Liebesdreieck wie auch die makabre „Liebe über den Tod hinaus“ ausführlich beschrieben haben.
(Wer sich informieren mag: Mein Artikel zu den EC Comics auf meiner Webseite „Fifties Horror“.)
In Comics von EC wäre kein Wiedergänger ohne Erklärung aus dem Grab aufgetaucht.
Meine Lieblingsgeschichte ist übrigens die von Johnny Craig illustrierte „Liebe ist stärker als der Tod“-Story „Till Death“, in welcher die geliebte Frau von den Verstorbenen zurückkehrt was jedoch einen schrecklichen Preis hat!
(Ich habe „Till Death“ seinerzeit in Beispielbildern gepostet, weil ich mir mit der Copyright-Lage bei EC nicht sicher bin. Schauen Sie gern, hab auch schöne Analysen drumrum gepostet.)
Ich zeige übrigens nur wenige Beispielseiten des heutigen Comics, weil ich einen elementaren Handlungsbaustein nicht verraten möchte. Nur eines noch:
Die Machart von DICKMADAM, DIE LACHTE hat mich sehr erinnert (sowohl von der Grafik wie auch von der nihilistischen Stimmung) an ein deutsches Werk vom letzten Herbst: DIE SPINNE. Das ist ein hübsches Double Feature!
Der DICKMADAM-Comic hat noch einen Anhang mit tollen Sketchen von Benoît Springer, die nicht nur Bleistift- und Tuschestudien zeigen, sondern auch seine Arbeit mit integriertem Fotomaterial präsentieren.
(Hier gleich vier Seiten auf eine gepackt, klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern…)
Ich finde DICKMADAM, DIE LACHTE einfach prächtig. Ich freu mich dran.
Und mache mir deswegen wenig Sorgen um meinen Geisteszustand …
Good Lord! Glorg!
Zum Schluss blättern wir durchs Album, doch Achtung: Wer keine Gewalt im Comic sehen mag, schaue sich das nicht an!