Ist ein Comic mit solchem Titel (auf Deutsch etwa: EIN GERECHTFERTIGTER DURST NACH RACHE) programmatisch zu nennen? Sperrig ist er auf jeden Fall, und zwiespältig auch. Denn in dieser Ansage schwingt auch die „Selbstgerechtigkeit“ im Sinne von Vigilantentum mit.
Der Titel trifft jedoch seinen Inhalt, denn es geht um einen blutigen Rachefeldzug, der sich normaler Gerichtsbarkeit entzieht.
Hauptfigur ist Sonny, ein in der Chinatown von Vancouver lebender Kanadier mittleren Alters, der per Zufall einem Killersyndikat auf die Schliche kommt. Anstatt die Polizei einzuschalten (offenbar mag er selbst kaum glauben, was da vor sich geht), klinkt Sonny sich ins Netz der Auftragsmörder ein und versucht, deren Jobs zu verhindern, indem er früher am ausgemachten Tatort erscheint und die Opfer retten will.
Das geht grandios schief, weil Sonny nur ein Versicherungsprüfer ist und mit der Gewalt, die ihm begegnet, erst einmal klarkommen muss. Am Ende hat er gelernt, sich zu wehren – und hat sogar einen Menschen retten können.
Das Besondere an A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist die Erzählweise. Denn zunächst verstehen wir überhaupt nicht, was Sache ist. Wir begleiten Sonny seitenlang durch einen langweiligen Alltag. Er besteigt einen Bus, um zu einem künftigen Tatort zu fahren (wie wir uns im Nachhinein erschließen können).
Als er dort ankommt, kann er nur noch das grausige Resultat des Meisterkillers „Blue Jackal“ begutachten: Ein gefoltertes Ehepaar sitzt nackt und tot auf dem Sofa. Entsetzt flüchtet er vom Tatort und loggt sich zu Hause in den nächsten Auftrag ein, zu dem er rechtzeitig erscheinen wird.
Die böse Ironie dieser Exposition liegt gleich in dreierlei Aspekten: Erstens ist ihm Blue Jackal eine Stunde vorher über den Weg gelaufen, als dieser im Supermarkt seine Folterwerkzeuge einkaufte; zweitens kam Sonny deshalb zu spät, weil er seine Busfahrt unterbrochen hatte, um eine sterbende Taube von ihrem Leid zu erlösen; drittens hinterlässt er am Tatort eine Spur – nämlich einen blutigen Schuhabdruck (die Taube hat er zertreten), der die Polizei auf seine Fährte bringt.
Das alles klingt ungut merkwürdig, ich weiß, dieser Comic ist ein Grenzgang in Sachen Moral und Gewalt, aber je mehr ich ihn reflektiere, desto beeindruckter bin ich von der Konstruktion. Man muss sich manches selbst entschlüsseln (was ich für Sie schon leiste), aber wenn man’s schnallt (und es vertragen kann), werden Sie belohnt mit einem interessanten Werk.
Grafisch ist es ein Stil des sauberen Realismus, der sich von Steve Dillon (PREACHER) und Jacen Burrows (CROSSED) bis zu Gabriel Rodriguez (LOCKE & KEY) zieht. André Lima Araújo heißt der Zeichner hier, ein Portugiese, der schon für DC und Marvel tätig war.
Gewaltcomics (mir fällt auch noch Chris Burnham bei DIE! DIE! DIE! ein) bedienen sich immer dieses „Looks“: Die Handlung soll visuell glaubhaft verankert werden, sonst nähmen wir die Sache nicht ernst.
Das ist natürlich ein Genre für Leser*innen, denen solche Stoffe als Realserien zu wüst sind. Ich mag mir ähnlich gelagerte Thematiken (wie „Sky Rojo“ beispielsweise) nicht ansehen, weil es mir zu nahe geht. Als Comic aber, mit der selbstgewählten Distanz des Schauens und Blätterns, greife ich hin und wieder zu solchen Werken (und darf noch Geoff Darrow mit SHAOLIN COWBOY nachnominieren).
Jetzt komme ich schon wieder ab vom Kernpunkt, den ich Ihnen seit Beginn verklickern will: Das Wie, nicht das Was macht den Reiz dieses Comics aus!
Sie haben schon gesehen, dass Autor Rick Remender über weite Strecken stumm erzählt. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist äußerst filmisch angelegt und vermeidet jeglichen Erklärtext, sondern legt alles in die Dialoge der Figuren bzw. deren nonverbale Reaktionen auf Ereignisse.
Noch ein Beispiel: Der Blue Jackal hat Sonny aufgespürt, der gerade Neva und ihren Sohn Xavier in Sicherheit bringen will. Es beginnt eine Verfolgungsjagd, die Jackal mit dem Smartphone dokumentiert:
Die Atmosphäre ist bedrückend real, wir sind hautnah am dramatischen Geschehen. Dieser Comic liefert schon das Storyboard zu seiner Verfilmung.
Es ist im Grunde die alte Hitchcock-Nummer: Außenstehende Person gerät in kriminelle Verwicklungen und muss um sein Leben laufen. So auch Sonny, der zum Ende des ersten Teils in einer zwielichtigen Bar in üble Gesellschaft gerät. Statt wie erhofft falsche Pässe für sich, Neva und Xavier zu erhalten, geht eine Schießerei los, aus der er von einem Fremden gerettet wird.
Jetzt bekommt A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE einen eigenartigen Beigeschmack, denn der Retter (Jim) ist Anführer einer örtlichen Miliz! Dieser Jim versteckt die Flüchtigen in seinem Camp, das jedoch nicht als Prepper-Festung geschildert wird, sondern als friedliche Selbstversorger-Landkommune mit Familienanschluss.
Moment, denkt der Europäer in mir, ist das nicht etwas zu positiv ausgemalt? Denn Waffen haben sie und Sonny wird an solchen ausgebildet, aber ansonsten werden Dächer repariert und es wird Gemüse geerntet?!
Sonny und Xavier entwickeln in dieser heimeligen „Ferien-auf-dem-Bauernhof“-Stimmung eine Vater-Sohn-Beziehung, was ja schön für die beiden ist – aber was will uns denn Remender damit sagen?
Es ist okay, sich wie Reichsbürger aufzuführen? Kann man „denen da oben“ keine Bestimmungsgewalt mehr überlassen? Entzieht euch den Regierungsapparaten und lebt selbstbestimmt im Wald?
Denn die Idylle wird nur zerstört, als Blue Jackal auftaucht und Xavier entführt. Sonny und Jim ziehen los, ihm endgültig das Handwerk zu legen. Mehr darf ich nicht verraten, will aber noch einen Aspekt hervorheben.
A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE macht sich des Weiteren eine diebische Freude draus, uns Leser mit Kontrastierungen zu verstören. Meint: Auf ein ruhiges Kapitel (wie Nummer 6) folgt ein handlungstreibendes wie Kapitel 7, gesteigert noch durch Kapitel 8, das von vorn bis hinten grauenvolle Foltergewalt beschreibt!
Kapitel 9 hingegen schildert einen Strandurlaub, komplett mit Badespaß und Degustation lokaler Delikatessen auf dem Marktplatz.
Schönheit und Schrecken
Das ist Konzept. Remender und Araújo stoßen uns in ein Wechselbad der Gefühle. Das kann man plump als Abbild der Realität lesen (So ist das Leben, Leute!), das kann man als dramaturgische Achterbahn zur Auskostung der Suspense goutieren. Es macht so oder so einen bleibenden Eindruck, das kann ich Ihnen sagen.
Dieser Comic kalkuliert eiskalt mit seinen Wirkungen. Mich hat er verstört, na sagen wir: irritiert. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist ein professionell gestalteter Verschwörungs-/Rache-Thriller, der sich durch Machart und Erzählweise (das Wie) von anderen abhebt.
Am Personal ist nur die Hauptfigur ungewöhnlich: Sonny ist wie der Schauspieler Benedict Wong (und mal kein weißer Action-Schönling). Ansonsten haben wir mit Mutter und Sohn, Jim und dem Jackal, den korrupten Cops und Mr. Andrews standardmäßige Besetzungen, die uns auch nicht besonders mitfühlen lassen. Hier bedient Remender viel Formel (das Was), aber diese Miniserie ist auch nicht auf Strecke angelegt. Rachedurst soll befriedigt werden, auf möglichst knallige Weise!
Rick Remender ist eine große Nummer unter den US-amerikanischen Autoren und fiel mir dahingehend auf, dass er gern dahin geht, wo’s weh tut: Sein LOW ist ein deprimierender (dabei quietschbunter) Science-Fiction-Stoff, TOKYO GHOST ein rabiater Abgesang auf die Funktionalität zukünftiger Gesellschaften, sein Megaseller DEADLY CLASS kommt auch ganz schön herb daher.
Satirisch lebt er sich in FEAR AGENT und THE SCUMBAG aus, was sich aber schnell in verrückten Ideen erschöpft. Deshalb ein Hoch auf A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE, mit dem Remender ein neues Kapitel aufschlägt.
Hier sind wir nämlich in der Gegenwart, neues Terrain für diesen Autoren. Hier will Remender ein Statement setzen – und damit sind wir wieder beim Programmatischen.
Der wahre Bösewicht dieser Serie ist nämlich der Chef der Auftragskiller, zugleich Kopf eines Menschenhändler-Rings: Mr. Andrews ist ein alter weißer Kotzbrocken, sehr mächtig und ausgestattet mit besten Verbindungen zur Polizei und in Regierungskreise.
Diesem Übel kann man womöglich nur mit Selbstjustiz begegnen!
Das ist der Punkt, den ich noch ein wenig diskutieren möchte. Tatsächlich ist Andrews (fast) unantastbar, tatsächlich arbeitet ihm neben dem Jackal auch ein korrupter Cop zu, tatsächlich scheint nur schmutzige Gegengewalt eine Lösung zu sein.
Wie gesagt: Rachedurst soll befriedigt werden, auf möglichst knallige Weise! Das gelingt.
Nur frage ich mich, ob dieses Werk Selbstjustiz propagiert. In seinem Misstrauen staatlichen Strukturen gegenüber beschreitet Sonny fragwürdige Wege. In seiner Aussage ist dieser Comic radikal.
Vielleicht nehme ich ihn auch zu ernst, doch ich kann keine Spur von Humor entdecken. Remender will uns in diesen Schwebezustand der Verunsicherung bringen: Ist das okay, was hier passiert?
Hmmmm. Ich sach mal nix. (Weder ich noch Remender noch Araùjo.)
Ich zeig nur Bilder:
A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist abgeschlossen in zwei Tradepaperbacks bei Image herausgekommen. Auf Deutsch ist die Erscheinung fürs Frühjahr bei CrossCult projektiert.
Wer mag, schaut mit mir in die englische Fassung hinein: