Schnelle Schnurre zwischendurch: Die kurzlebige Serie TILL EULENSPIEGEL ist eine der frühesten deutschen Nachkriegscomics, der erste Versuch aus dem umtriebigen Kauka-Verlag, datiert auf 1953.
Die Zeichnungen werden dem niederländischen Künstler Dorul van der Heide zugeschrieben. Er machte 1949 die Bekanntschaft von Rolf Kauka, fertigte für diesen zunächst Illustrationen, betrat das Feld der Comics mit TILL EULENSPIEGEL und gilt als erster Zeichner von FIX UND FOXI (die dort übrigens in der sechsten Ausgabe auftreten und das Heft kurz darauf übernehmen).
TILL EULENSPIEGELS HÖLLENFAHRT ist die Titelgeschichte von Heft Nr. 3 aus dem Juli 1953.
Ich möchte darüber reden, weil dieser Comic im historischen Kontext einigermaßen beachtlich ist!
Erstens ist das Artwork von Van der Heide zwar krude, aber charmant und im Gesamtbild reizvoll.
Zweitens macht das Heft seinem Publikum inhaltlich ein freches Angebot.
Und drittens ist man im Ursprungsland der Horrorcomics, den USA, nicht viel weiter.
Gut, in den USA bestachen in diesen Monaten des Jahres 1953 die EC-Comics aus New York mit den weltbesten Horrorcomics, gezeichnet von Jack Davis, Johnny Craig und Graham Ingels in ihren Heften TALES FROM THE CRYPT, HAUNT OF FEAR sowie VAULT OF HORROR.
Doch der Vergleich ist unfair, denn „die Amerikaner“ blickten seit fünf Jahrzehnten auf eine Comicindustrie zurück, die ihre Abläufe perfektioniert hatte.
In Deutschland versuchte eine Handvoll Amateure, überhaupt mal 20 Seiten mit einem Comic zu füllen.
So etwa TILL EULENSPIEGELS HÖLLENFAHRT, ein launiger Spaß mit rasch erzählter Handlung:
Der Schelm Till Eulenspiegel besichtigt die Hölle, wohin ihn der Teufel persönlich eingeladen hat. Till lässt sich herumführen, wobei ihn der Teufel zu erschrecken versucht.
Denn vor Schreck vergisst Till das Losungswort, mit der er wieder aus der Hölle entkommen kann.
Hier die Szene, in der sich der Teufel freuen kann, denn Till hat es tatsächlich vergessen!
(Beachten Sie die Verwendung des heute unkorrekten N-Worts, das Till im Folgenden mit anderen Ethnien variiert. Irgendeine war es doch!)
Das Losungswort ist eine Erweiterung des damals üblichen Ausrufs „Kruzitürken“, das in dieser Geschichte für sämtlichen Humor herhalten muss.
Trotzdem verliert Till nicht den Kopf und schafft es, den Teufel mit seinem Schwanz in einer Falltüre einzuklemmen und somit fürs Erste abzuschütteln. Jetzt läuft er auf eigene Faust los und sucht einen Ausweg.
In einem Raum voller Sünder, die Tantalusqualen erleiden, hilft er den Geschundenen und bekommt einen wichtigen Hinweis, wie er wieder an sein Losungswort kommen könnte.
Auf dem Weg begegnet Till den vergnügungssüchtigen Sündern, die auf alle Ewigkeit auf einem Fahrgeschäft herumgeschleudert werden – sowie zwei Autorasern, die mit ihren PKWs immer wieder kollidieren müssen!
Das ist doch eine Höllenqual, die mir auch heute ganz modern scheint. Zwinker.
Nach einer wilden Verfolgungsjagd per Auto fährt Till bei des Teufels Großmutter vor und charmiert sie mit seinen Akrobatikkünsten.
Leider platzt nun der Teufel auf die Szene und verhindert, dass Till sein Wissen auffrischen kann.
Die folgenden drei Panels sind kaum besser als Kinderkrakelei, aber sie bringen effizient rüber, was Sache ist.
Der Satan erscheint mit Blitz und Dampf in der Türe, Till zieht einen Flunsch in Großaufnahme, dann jagen sich zwei Paar Beine um die nächste Ecke.
En passant versteckt sich Till als Musiker im Orchester der „Ruhestörer und Radiokrakehler“, danach dringt er in die „Hexenküche“ ein und tauscht seine Trompete unter einem Vorwand gegen einen Hexenbesen, mit dem er die Flucht an die Oberfläche antritt.
Van der Heide inszeniert die nächste Seite als wilden Fluchtversuch, der unweigerlich scheitern muss. Denn der Teufel gebietet über die Gesetze seines Höllenreichs – und Till hat keine Chance, diesem zu entfliehen.
Das Tempo wird weiter angezogen, als ein Chor von Höllengeistern den Countdown zu Tills Verderben anstimmt: „Noch 8 Sekunden – 7 Sekunden – 6 Sekunden …“
Rettung naht, als Tills Blick in letzter Sekunde auf einige Verdammte in Kochtöpfen fällt: Im Vordersten sitzt eine türkische Figur mit Fez und beschwert sich über die Ruhestörung.
Gut, der Türke im Kochtopf ist fragwürdig, aber ich mag die knochige Hand des Teufels, die die zwei verbliebenen Sekunden wie ein Victory-Zeichen signalisiert.
Hernach beißt sich der Satan bildlich noch in den Schwanz und ein triumphierender Till Eulenspiegel springt aus der rauchenden Erdspalte in einen jungen Frühlingstag hinein.
So kitschig, wie das gestaltet ist, möchte ich es fast für Ironie halten. Ist es wahrscheinlich nicht – es ist Kaukas heile Welt.
Aber frech war’s zwischendrin, finde ich. Wir befinden uns im Jahr 1953, in dem die christlichen Kirchen in Deutschland noch absolut das Sagen hatten.
Die werden das nicht lustig gefunden haben. Der Teufel als grünhäutiger Penner und Unglücksrabe?! Die Hölle eine Kirmesveranstaltung?! Die Moral von der Geschicht‘: Frechheit siegt?!
Das Beben der Anderen
Die Gruselcomics der USA schwingen sich in diesem und im folgenden Jahr 1954 auf ihren Höhepunkt. Ich habe diese Phase jahrelang auf meiner Webseite FIFTIES HORROR analysiert und dokumentiert.
Bei EC übrigens findet sich kein einziger Auftritt des Satans in ihren 94 Horrorheften (soweit ich mich erinnere). Wahrscheinlich war ihnen diese Art Grusel zu althergebracht, zu moralisch oder schlicht zu billig.
TILL EULENSPIEGELS HÖLLENFAHRT ist ja auch mehr drollig als grausig – und bestenfalls geeignet, Grundschulkinder zu beunruhigen.
Trotzdem vergebe ich ein Horror-Fleißkärtchen an Rolf Kauka. Der Versuch zählt!
Einen konkreten Vergleich stifte ich dennoch: Diese Horror-Kurzgeschichte aus dem Harvey-Verlag lässt den Teufel auftreten („The Trial“ aus TOMB OF TERROR Nr. 10), sie erschien ebenfalls im Juli 1953.