Dieser Comic hat mich auf den ersten Seiten bereits begeistert.
BAUER eröffnet mit einer Schmeißfliege, die sich in Großaufnahme an totem Fleisch labt, das in einen Fleischwolf fällt, um verdächtige „Multifleisch“-Konserven zu füllen. Springt dann zum Tatort eines Massakers an jungen Campern in einem dichten Wald – um dann (untermalt von gutgelaunter Popmusik) zu einem Bauernhaus zu schneiden, wo der Mörder mit seiner Trophäe nach Hause kommt.
(Und Sie sind gewarnt, wovon ich begeistert bin. Aber wer mich kennt, weiß, dass ich gerne mal völlig verrückte und krude Comics präsentiere, wenn sie ein dramaturgisch rundes Konzept sowie eine grafisch stimmige Vision haben.)
Es gibt zwei Zeitebenen in diesem Comic: Zum einen die blutige Vergangenheit des Jahres 1983, zum anderen die nicht minder blutige Gegenwart des Jahres 1989 – denn dahin führt uns BAUER zurück.
Thema ist jedoch nicht das politische Wendejahr, der Fall der Mauer oder Helmut Kohls Verklärung zum Weltstaatsmann, sondern die Vergötterung der Rockmusik und dessen unsterblichem Aushängeschild Elvis Presley.
Doch, Obacht: BAUER spielt in den österreichischen Wäldern. Dort, wo es wüst und einsam ist, wo sich womöglich Werwölfe herumtreiben und Elvis nur ein lokales Imitat ist. Ein auftoupierter Schrat mit toter „Psycho“-Mutter, die allerdings noch als Zombie im Dachstübchen gehalten wird.
Unser Elvis ist ein namenloser Buhmann und hackt auch kein Holz, sondern lieber Campern die Köpfe ab. Das bringt ihm Ärger mit seiner Großmutter ein. Aber nicht aus moralischen Gründen. Omi mag bloß seinen Look nicht, verachtet amerikanische Musik und moderne Frauen, die allein im Wald campen gehen:
Das Grauen der Wälder und der Keller
1989 kommt die Musikerin Tara Satana mit ihrer Band „Gore Girls“ auf Tour nach Österreich. Sechs Jahre zuvor sind ihre Geschwister Raffael und Charlotte auf einem Campingtrip mit ihrer Clique in den dortigen Wäldern verschwunden und ermordet worden.
Dies erzählt uns BAUER sogleich in einer langen Rückblende: Die jungen Leute geben sich Sex und Drogen und Rockmusik hin – dafür bestraft sie unsere Hauptfigur vom Anfang mit seiner Axt.
Auf einem Horrortrip wird Charlotte von Todesvisionen und unheimlichen Ahnungen gepackt, die sie eine telepathische Botschaft an die abwesende Tara in die Zukunft schicken lassen. Zugleich wird ihr Kumpel „Froschi“ Froschmeyer im Wald von einem Wolfswesen angefallen:
Doch damit nicht genug: Es kurvt auch noch ein abgefuckter Bulle mit seinem Polizei-Käfer durch die Gegend und macht Andeutungen über diese Wolfswesen.
Die sind womöglich Gen-Experimente alter Nazis, die von einer Wiederherstellung des Dritten Reiches träumen (s. „Werwolf-Mythos“) – und unser freundlicher Polizist ist einer von ihnen!
Begleitet wird BAUER über weite Strecken vom Geplapper eines unsichtbaren Radio-DJs, der mit launigen Kommentaren seine Songs auflegt und die wunderbare Gegenwart und Vitalität der Rockmusik feiert.
Noten und Songfetzen schweben und mäandern durch diesen Comic, überlagern ihn, verleihen ihm eine zweite Ebene und machen die Kenner dieser Stücke zu Mitwissern in einem Drama, das sich gegen die „dunkle Seite“ der Wälder und der Schrecken der Vergangenheit positioniert.
(Doch auf welcher Seite steht unser mörderischer Elvis, der auch in Liebe zur Musik entbrannt ist?)
Im Wald-All hört dich niemand schreien
BAUER mag auf den ersten Blick nach derbem Trash und/oder billigem Splatter-Horror aussehen. Weit gefehlt. Denn was Künstler Michael Liberatore (mit Unterstützung von Isa Griessenberger und Thomas Aigelsreiter) hier auftischt, ist eine höchste eigenwillige Melange aus Popkultur-Referenzen und Terrorgeschichten über Hinterwäldler. Noch dazu atemberaubend gestaltet.
Wobei ich gleich sagen muss: Das ist nicht leicht zu lesen!
Aber es haut mich vom Stuhl mit seinen abgefahrenen Kompositionen, jenseitigen Bildausschnitten, teils psychedelischen Sequenzen und übelkeitserregenden Farben.
Wer illustriert denn mit braun, rosa matschgrün und senfgelb?! Hammer!
Auf der Seite oben sehen wir den vom Werwolf gerissenen Froschmeyer, der noch darauf hofft, dass sein Elend nur eine Drogenfantasie sein möge. Die Komposition kippt auf der Seitenmitte, wo der Polizeiwagen des korrupten Nazi-Cops bereitsteht, der Ärmsten ins Bauernhaus zu verfrachten, wo er der untoten Zombiemutter von Elvis zugeführt werden wird (die hier – passend zum Drogenrausch – als delirierende Fleischkugel voller Münder dargestellt wird).
Sie werden mir das vielleicht nicht glauben, aber ich sag: BAUER ist ein originäres Comic-Kunststück, wie ich es noch nicht „aus deutschen Landen“ gesehen habe. Das ist feinste Genre-Arbeit aus der Underground-Schule, in sich stimmig und gelungen.
Es ist allerdings nicht leicht, an dieses Werk heranzukommen oder es überhaupt im Netz zu finden. Versuchen Sie es über den Vorgänger-Comic DOOM METAL KIT oder über die Webseite „Liberatore“. Michael hat mich ungefragt beschickt, vielleicht schreiben Sie ihm bei Interesse ein paar Zeilen und bitten um Auskunft, wo BAUER zu erwerben ist.
Bestellbar auf jeden Fall bei Pictopia Comics, einem engagierten Händler in Wien, der überhaupt alle feinen österreichischen Produkte offeriert und propagiert!
Der Comic ist mit diesem ersten Band noch nicht abgeschlossen, wird aber garantiert fortgesetzt.
(Übrigens ist Band 1 „A Forest“ betitelt und stiftet damit Bezug zu einem der Wave-Hits der Achtziger. Und wenn Sie dazu mit zuckenden Schlenkerbeinen und wankendem Oberkörper tanzen können, sind Sie damals dabei gewesen.)
Jetzt höre ich aber auf zu schlingern und greife zur Kamera. Hier müssen wir unbedingt hinein blättern, um einen besseren Eindruck zu bekommen: