Könnte ein vom Körper getrennter Kopf noch sprechen? Ich vermute, nein. Die Sprechwerkzeuge sind zwar noch an ihrem Platz, doch es fehlte die Luft aus den Lungen, um diese in Betrieb zu nehmen. Egal!
In Joe Hills Horrorcomic BASKETFUL OF HEADS schwingen abgehackte Köpfe lautstarke Reden – und das sogar vom allerersten Panel an.
Das ist eine brillante Eröffnung für einen Comic, denn wir entdecken auf fünf Bildern eine Menge:
Nächtliches Grusel-Setting, eine Figur im Regen, die einen Korb und eine Axt mitführt. Aus dem Korb kommen Stimmen, als befänden sich zwei Menschen darin. Das kann ja nicht sein, da wir aber BASKETFUL OF HEADS aufgeschlagen haben, nehmen wir mal an, es handle sich um zwei sprechende Köpfe.
Die streiten sich offenbar, was ziemlich lustig ist (und nicht zum Rest passt). Denn nun hält ein Wagen an und möchte die Person mit dem Korb kontrollieren. Die Kamera offenbart uns noch immer nicht, wer die beiden Personen sind, doch suggeriert uns Gefahr, weil ein Gewehr im Innenraum des Autos auf Benutzung wartet.
Wie diese Situation ausgeht? Keine Ahnung, denn wir springen in der Zeit zurück und sind jetzt Tage zuvor beim Liebespärchen June und Liam, die durch einen sonnigen Tag brausen:
Ein malerisches Ferienstädtchen an der Ostküste, entspannte Stimmung, der Sheriff und seine nette Familie. Der Ferienjobber Liam arbeitet als Hilfspolizist, seine Freundin June holt ihn zum Ende der Sommerferien ab.
Die beiden wollen los, da entfliehen vier Straftäter aus einem Gefangenentransport und machen die Gegend unsicher. Zugleich wird der Ort Brody Island (Maine) durch einen Sturm von der Außenwelt abgeschnitten.
Das ist das Setting von BASKETFUL OF HEADS. Das ist ein Hauch von „Kap der Angst“, das sind frühe Filme der Coen-Brothers, das ist eine paranoide Hetzjagd durch die Nacht. Denn was nun folgt, ist ein sich immer weiter steigernder Alptraum.
Die Gefangenen brechen ins Haus von Sheriff Clausen ein und kidnappen Liam, der Kenntnis von einem Geldversteck haben soll. June kann den Gangstern zunächst entkommen, setzt sich mit einer antiken Wikinger-Axt zur Wehr und macht sich an die Befreiung ihres Boyfriends.
Doch der Weg dahin ist mit Leichen gepflastert – und June weiß bald nicht mehr, was und vor allem wem sie glauben kann. In sieben Heften entfaltet sich ein komplexer Thriller, in dem nichts so ist, wie es anfangs zu sein schien.
Sie sahen Junes Kampf gegen einen Angreifer, den sie mit der Axt enthauptet. Die aus dem Baum Yggdrasil geschnitzte Axt spendet Tod und Leben zugleich, denn die damit Getöteten bleiben bei Bewusstsein (wie das Opfer erschrocken feststellen muss).
Das ist natürlich Mumpitz und darf als überschäumend schwarzer Humor gelesen werden.
Der Horror in BASKETFUL OF HEADS liegt nämlich nicht in abgeschlagenen Köpfen (die im titelgebenden Korb herumgetragen werden), sondern in der Aufdeckung immer neuer Sachverhalte, die die Situation beständig verschlimmern!
Sind die entflohenen Strafgefangenen wirklich die Übeltäter? Geht es um Geld oder um mehr? Haben die Honoratioren des Städtchens ausnahmslos eine weiße Weste?
Hat Liam seiner June die ganze Wahrheit aufgetischt? Ist einer der Beteiligten ein Undercover-Agent des FBI?
Und was ist mit Emily, der jungen Frau, die vor wenigen Wochen von einer Brücke in den Tod gesprungen ist?
Der Sohn des Sheriffs, Hank, stellt uns in einer Rückblende Emily vor.
Wie glaubwürdig das alles ist, müssen wir nicht diskutieren. Autor Joe Hill stellt uns Figuren auf, die er auf dem Schachbrett seiner Story so positioniert, dass sich verzwickte Züge ergeben.
Der Spaß an BASKETFUL OF HEADS besteht in den Haken, die die Geschichte schlägt. Haken, die wir erwarten und auch kommen sehen. Dennoch mindert die Bestätigung nicht die Freude an diesem Stoff.
Dieser Comic donnert wie ein Düsenjet über unsere Köpfe (noch dran?) und berauscht uns mit feiner Action, die jedoch immer psychologisch motiviert ist.
Es geht um die älteste Kiste eine jeden Dramas: Was verbirgt der Mensch in seinem Inneren? Nach dem Motto: „Who knows what evil lurks in the heart of men?“ ist es hier nicht The Shadow, der Bescheid weiß, sondern die Axt!
Verdammte Hacke!
Dass im Haus des Sheriffs eine magische Axt hängt, ist einfach mal so. Und dass June diese erstmalig zum Einsatz bringt (mit den bekannten verblüffenden Resultaten), ist alles purer Zufall – und sollte auf keinen Fall ernst genommen werden.
BASKETFUL OF HEADS sonnt sich in Gewalthumor, jedoch nicht aus Selbstzweck, sondern um seine Charaktere auszuleuchten. Die Geköpften verhalten sich ihrem Naturell entsprechend frech, reuig oder verzweifelt.
Eigentlich ist BASKETFUL OF HEADS ein Neo-Noir-Crimestoff – mit Horrorelement. Ein intelligentes Gruselkrimi-Vergnügen, dass zwar nicht mit einer realistischen Handlung, dafür mit glaubhaften und starken Figuren auftrumpft.
Wiederholt: Der Clou ist unsere Identifikation mit June, der Figur, die wir durch diese grauenvolle Nacht begleiten. Und diese Frau mag aussehen wie ein Püppchen, doch entwickelt sie ungeahnte Kräfte und eine wilde Entschlossenheit – die am Ende noch für eine gewaltige, feministische Überraschung gut ist!
Ich darf fast nichts zur Handlung sagen, denn Sie müssen ihr Schritt für Schritt folgen. Sollten Sie eine Affinität zum Genre haben, werden Sie großartig unterhalten werden.
Joe Hill hat seinen Comic meisterlich geskriptet, der italienische Zeichner Leomacs (war schon an LUCIFER beteiligt) gestaltet das Artwork zwar realistisch, doch flicht eine komödiantische Note ein, die seine Vorliebe für HELLBLAZER, SANDMAN und alte EC-Comics anklingen lässt.
Auf Deutsch sollte dieser Comic ebenfalls gut funktionieren, es gibt ihn bei Panini, HIER sogar mit einer feinen Alliteration im Titel: „Ein Korb voller Köpfe“. Klingt noch besser!
Hingewiesen sei noch auf die Tatsache, dass BASKETFUL OF HEADS der Auftakt zu den „Hill House Comics“ unter DC’s Black Label war. Panini verkauft sogar ein „Bundle“ aller fünf Serien, informieren sie sich HIER.
Ich alter Comic-Snob hatte eigentlich kein Interesse an „Hill House“, aber bei BASKETFUL OF HEADS hab ich im Laden reingeblättert und war spontan angetan vom Konzept der sprechenden Köpfe.
Wenn ich nun in den Comic mit den sprechenden Köpfen reinblättere, ist es garantiert mein Kopf, der zu Ihnen spricht (last time I checked it was still on my shoulders):