Das Konzept finde ich grandios: 14 Kreativteams aus aller Welt gestalten je eine Kurzgeschichte über Superman (hat DC/ Panini übrigens schon mit BATMAN THE WORLD und JOKER THE WORLD vorexerziert).
Das Resultat ist jedes Mal ein kunterbunter Band, der ein atemberaubendes Spektrum an Zeichenstilen und Erzählideen präsentiert! Allein das ist immer ein Erlebnis.
Da ich im Rahmen des Comictalks mit Hella von Sinnen bereits die Sammelbände zu BATMAN und zum JOKER gelesen hatte, mache ich mit SUPERMAN einfach weiter.
Das Fazit dieser THE WORLD-Reihe war bislang immer ein Fifty-Fifty aus originellen und schwachen Beiträgen (jeweils subjektiven Kriterien geschuldet). Bei SUPERMAN THE WORLD überwiegt in meiner Rezeption tatsächlich das Positive und Überraschende.
Wozu ich auch gleich eine Theorie habe: Batman und der Joker sind Figuren, die kriminalistische Themen verhandeln – mit Superman aber stehen uns alle möglichen gesellschaftlichen Problematiken offen!
Wie Sie gleich sehen werden. Ich gehe die Geschichten mal schnell durch.
Langweilige Grütze ist der amerikanische Beitrag, der einen Kampf Supermans gegen ein Alien-Monster schildert. Aber die Rahmenhandlung ist so hübsch, dass ich den Standard im Hauptplot verzeihen konnte!

Der Erzählrahmen sei verraten: Die Nachricht von der Alien-Attacke erreicht Superman, als er in seiner Incognito-Person als Clark Kent in einem Passagierflugzeug sitzt.
Jetzt muss er unbemerkt von Bord kommen, sich in Superman verwandeln, das Monster besiegen – und natürlich wieder unbemerkt zurück an seinen Platz im Flieger gelangen.
Diese Aufhänger-Idee lag auf der Straße, aber sie hier ausgeführt zu sehen, hat mir großen Spaß bereitet.
Dieses Urteil gilt genauso für den italienischen Beitrag, dessen Erzählklammer so dreist ist, dass ich auch hier die schwachbrüstige Story (Superman fährt zur Hölle und muss Lois daraus befreien) entschuldigen mochte.
Denn Tourguide durch das Inferno ist natürlich Dante Alighieri, der den Schlüssel für Supermans Entkommen bereithält. Auch beeindruckt Italiens Fabio Celoni mit unkonventionellem Artwork:

Charmant ist der spanische Beitrag, der ganz offen Werbung für die andalusische Stadt Granada macht!
Superman besichtigt den Ort und bummelt durch die Gassen, weil er seine Kräfte nach einem Superkampf in der Sierra Nevada wieder aufladen muss.
Es werden alle touristischen Sehenswürdigkeiten abgehakt (inklusive Albaicín, Gitano-Höhlen in Sacromonte, Kathedrale und Rundflug um die Alhambra) – und zudem staunt der Stählerne über die legendären Gratis-Tapas, die man in Granada zum Getränk bekommt:

Superman als Prospektmaskottchen mag uns verwundern, ist aber kein Einzelfall in der WORLD-Serie. Immer wieder nutzen Länder diese Gelegenheit zu frecher Eigen-PR.
Es folgt sogleich die serbische Geschichte, die eine Konfrontation mit Lobo vor lokalem Hintergrund inszeniert. Der sich mir leider nicht erschließt, weil ich nicht weiß, wo wir uns befinden und welche zwei Persönlichkeiten der Zeichner Stevan Subic da unten rechts in die Ecke setzt.
Egal. Ich mag Lobo, der ist so schön prollig hier:

Sag mir, wo die Sitten sind
Und nun kommen wir zu insgesamt drei Beiträgen, die sich mit dem Themenfeld Kolonialismus beschäftigen.
Das habe ich nicht erwartet, doch den Teams aus Kamerun, Indien und Brasilien war es ein Bedürfnis, im Kontext einer Superman-Story über die Dominanz und Ignoranz des „Westens“ zu reden.
In Afrika beschädigt Superman unbeabsichtigt die Statue des Berggottes Epasa Moto und zieht den Zorn nicht nur des Gottes, sondern des gesamten kamerunischen Volkes auf sich. In einem Duell versucht er, Moto zu bezwingen, so wie er es gewohnt ist.
Im Verlauf der Auseinandersetzung sieht er jedoch ein, dass er seine Kompetenzen überschritten und sich falsch verhalten hat. Die Gegner trennen sich in gegenseitigem Respekt.

Das ist in diesem Fall sehr ausbuchstabiert und ein bisschen mit dem Holzhammer geklöppelt, insgesamt aber völlig in Ordnung und bereichert das Spektrum mit einer eigenen Note.
Flüssiger und eleganter ist der indische Beitrag, der allerdings seinen Showdown gegen britische Kunsträuber auch mit großen Schauwerten gestaltet.
Clou an der Geschichte: Sie spielt im Jahr 1939 und zeigt uns einen Superhelden, der eingangs mit sich und seiner Berufung hadert.
Clark Kent ist in spiritueller Angelegenheit nach Indien gereist und sucht nach dem Sinn seiner Superkräfte: Seit Monaten bekämpft er das Böse, doch das Böse wird nicht weniger.
Eine Begegnung mit einer indischen Wissenschaftlerin und die Impertinenz der Kolonialherren lehrt ihn, einfach für das Gute weiterzukämpfen – bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

In Brasilien ist der Reporter Clark Kent im triefnassen Regenwald unterwegs, um dort nach einem (aus den Niederlanden restituierten) mythischen Mantel zu suchen, der aus dem Nationalmuseum in Rio de Janeiro gestohlen wurde.
Wie es der Zufall will, ist sein Tourguide durch die Natur der Dieb und göttlicher Träger des Mantels. Nach einem kurzen, fruchtlosen Schlagabtausch lässt sich Superman als Vertreter der Kolonialmächte die Leviten lesen – und hält zum Schluss der Story einfach mal die Klappe.
Könne Clark Kent sich vorstellen, nicht in Kansas aufgezogen worden zu sein, sondern fünf Jahrhunderte früher in Brasilien – gemäß den dort gültigen Traditionen?

Punkt für den Waldgeist, sag ich mal.
Außerdem gefällt mir Jefferson Costas feuchte Inszenierung, in der nicht nur Formen und Farben zerfließen, sondern auch westliche Gewissheiten.
Einmal um die ganze Welt
Nah verwandt mit diesen nationalen Besonderheiten sind die folkloristischen Legenden, die sich ebenfalls in allen WORLD-Bänden finden. Hier sind zu nennen die Beiträge aus Mexiko, der Türkei und Polen.
In Mexiko-Stadt berichtet Clark Kent über die „leckere Streetfood-Szene“ (das ist mal ein Aufhänger für eine Superman-Geschichte!), als er Zeuge einer Katastrophe wird:
Kriegsgott Huitzilopochtli erwacht nach jahrtausendelangem Schlaf und möchte die Herrschaft über Mexiko an sich reißen.
Superman ist zwar „machtlos gegen magische Wesen und Götter“, kann den Bösewicht jedoch auf den Mond verfrachten, wo er wehrlos ist.

Die relativ straighte Story besticht durch das starke Outline-Artwork von Bernardo Fernández und präsentiert uns noch eine volle Seite aztekische Götterschau.
Und wenn Sie daheim ein Trinkspiel aus der Erwähnung komplizierter Eigennamen machen, sind Sie danach auch blau: Ometecuhtli, Omecihuatl, Tezcatlipoca, Quetzalcoatl, hick.
Die Türkei rühmt sich, „Wiege der Zivilisation“ zu sein und entsendet Superman zur prähistorischen Ausgrabungsstätte Göbekli Tepe, wo ein finsterer Kult den Sonnengott Mithras wiederauferstehen lässt.
Der bekommt jedoch rasch eins aufs Maul – und es ist wieder Ruhe in der Knochenfundkiste.
Leicht peinliche Geschichte, die in der alten Wunde bohrt, welches Land die schöneren antiken Stätten zu bieten hat: die Türkei oder Griechenland?
Da die Griechen nicht vertreten sind, schauen wir bei den Polen vorbei und lernen den Volksglauben um Marzanna kennen.
Diese slawische Göttin von Winter und Tod wird jährlich am letzten Tag des Winters symbolisch ertränkt, um den Frühling herbeizurufen.
Reporter Kent ist einer Mordserie auf der Spur, denn jedes Jahr verschwindet zum Zeitpunkt des Rituals eine Frau, die später ermordet aufgefunden wird.
Tatsächlich kann er als Superman Zeuge des Verbrechens werden, muss aber erkennen, dass die Legende äußerst lebendig ist:

Dieser Beitrag verknüpft kompakt und gelungen eine Superman-Kurzgeschichte mit mythischen Komponenten – und findet noch ein glückliches Ende.
Seltsam ist der Beitrag aus Argentinien, den ich zweimal lesen musste.
Also: Das Swamp Thing von Krypton erwacht auf der Erde und möchte sich bei uns eintopfen und ausbreiten.
Seit der Zerstörung von Supermans Heimatplaneten lag es im Tiefschlaf. Nun glaubt es, Superman habe es erweckt und begrüße es auf der Erde. Der aber kämpft um seine Superkräfte und sein Leben, denn das Wesen aus dem All verstrahlt grünes Krypotonit (oder so).
Doch Superman erkennt schnell, dass die Verschmelzung der kryptonischen Natur mit der irdischen in eine globale Katastrophe münden würde.
Nur eine „silberne Kugel“ aus weißem Kryptonit kann das Alien Swamp Thing unschädlich machen.
(Im Bildbeispiel monologisiert Superman in den Weiß-auf-Blauen-Textkästen, das Ding aus einer anderen Welt in den Grün-auf-Gelben-Texten – und missversteht weiterhin den Ernst der Lage.)

Verrückte Idee, ein Swamp Thing von Krypton zu erfinden. Sperrig finde ich den Einfall, die Episode nur in zwei inneren Stimmen zu führen.
Andererseits ist das Ganze höchst originell und (meiner Kenntnis nach) noch nicht dagewesen.
Die Comedy-Einlage kommt diesmal aus Frankreich, wo Lois und Clark in Paris Urlaub machen.
Eröffnet wird der Beitrag in der Metro, wo Lois über „den Schweiß, den Gestank und den fehlenden Sauerstoff“ klagt!
Oberirdisch bummeln die Verliebten entlang der Seine, wobei noch über die Wasserqualität des Flusses gestichelt wird.
Dann bricht der Schrecken in Form von King Shark herein, der ebenfalls Urlaub in Paris macht – doch er hat kulinarische Genüsse im Sinn.

Beachten Sie im obigen Bildbeispiel, dass die Polizisten im untersten Panel die alte Superman-Formel variieren: „Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Es ist Superman!“
Hübsche Einfälle noch und nöcher, als Sharks Kiefer ins Leere greifen, weil Superman ihm die Beute aus dem Maul fischt und es zu einem Showdown auf dem Baugerüst von Notre Dame kommt.
Hier vermischt man gekonnt Lokalkolorit, Nationalstolz und parodistische Elemente des Superhelden-Genres. Franzosen.
Hart wie Kruppstahl
Der deutsche Beitrag kommt von Flix, der mit seinen Ausflügen in den SPIROU-Kosmos international reüssiert hat.
Doch seine Geschichte um einen Deutschlandbesuch des Stählernen zündet bei mir nicht.
Der Stahlbaron Rupp fordert Superman heraus, aus einem Käfig aus neuartigem Stahl zu entkommen. Doch in den hat Lex Luthor Kryptonit verbaut und Lois Lane muss die Chose retten.

Mir macht das Fragzeichen im Kopf auf:
Weshalb sollte Superman auf diese Wette eingehen? Wieso braucht Rupp eine solche Demonstration? Warum überhaupt Rupp und nicht Krupp?
Ja, ich weiß: Weil (K)-Rupp von Lex Luthor dazu überredet worden ist!
Aber weshalb treibt sich der Gegenspieler in Deutschland herum? Wieso muss das Kryptonit mit diesem Stahl verschmolzen werden? Warum spielt das Ganze im Nachkriegsdeutschland des Jahres 1948?
Ein vollbesetztes, jubelndes Berliner Olympiastadion (das Setting der Episode) fühlt sich für mich in diesen Zeiten falsch, ja verstörend an, zumal in einem Panel Hände emporgereckt werden.
Es kommt mir vor, als sei Flix davor zurückgeschreckt, seine Story direkt in der Zeit des Nazi-Regimes anzusiedeln. Lex Luthers als Hitlers Scherge wäre in seiner Überdrehtheit spannend gewesen – und irgendwie hätte Flix das hinbekommen, dass Supermans Schlag in „The Führer’s Face“ durch ein Bärtchen aus Kryptonit gebremst worden wäre …
(Hier fehlte mir Mut zur Frechheit, aber hören Sie nicht auf mich, ich bin ja sowieso ein Superspinner.)
In der vorliegenden Form kommt sein Beitrag schräg konstruiert vor. Er ist charmant illustriert und kompetent inszeniert, keine Frage, aber sein Assoziationsspiel um „Mann aus Stahl gegen Kruppstahl“ überzeugt mich nicht.

Der Abschluss in SUPERMAN THE WORLD kommt aus Tschechien, hat sich mir nicht ganz erschlossen, ist aber cool.
Die Episode spielt auf einer tschechischen Raumstation in ferner Zukunft und lässt mich lachen, weil sie deutliche Anspielungen auf den heutigen Übertourismus in Prag macht.
Und in direktem Anschluss auf nationalistisch gesinnte Tschechen – Pardon: Tschechen-Roboter.

Die ironische Geschichte zeigt uns einen gealterten Superman, der sich mit einem Bürokratie-Monster in Form eines Mecha-Giganten sowie mit tschechischem Nihilismus herumschlagen muss.
Die spezifischen Interna hab ich nicht gerafft, aber die Handlung dreht sich um das Schicksal der Individuen (wir alle also), die wir immer über uns hinauswachsen können. Das ist doch schön.
Also: SUPERMAN THE WORLD ist eine abwechslungsreiche Lektüre, die hier und da verblüfft und zum Denken anregt – und beweist, dass das Superhelden-Genre noch Funken schlagen kann.
Um Ihnen mehr Eindrücke von der Vielfalt des Artworks zu geben, habe ich auf Instagram durch den Band geblättert.