Kein Quatsch: 1970 trat die US-Regierung unter Richard Nixon an Stan Lee heran, um der Jugend in den populären Marvel-Comics eine Anti-Drogenbotschaft zu vermitteln. Lee tat, wie ihm geheißen, und realisierte in drei Ausgaben von THE AMAZING SPIDER-MAN Nummern 96, 97 und 98 (von Mai, Juni und Juli 1971) die Story „Green Goblin Reborn!“, illustriert von Gil Kane und John Romita Sr.
Auszüge aus der Geschichte im Netz zu finden unter diesem Link.
Zur Eröffnung sehen wir einen jungen Schwarzen, der im Drogenrausch vom Dach eines Hochhauses marschiert. Spider-Man kann den Mann auffangen und sicher auf dem Boden absetzen.
Solche traumhaft getimten Heldentaten gehen mir ziemlich auf die Nerven. Nicht nur ist es ein kindischer Zirkus-Showeffekt, ich frage mich mein Leben lang bereits, WO zum Henker Spideys fabelhafte Spinnenfäden eigentlich aufgehängt sind.
Im Grunde kann er sie nur an Hausfassaden befestigen; von dort aus aber kann er nicht diese Schwünge in die Straßenmitte ausführen. Egal.
(Wenn es Sie dennoch zur Überprüfung reizt, achten Sie bei der nächsten SPIDER-MAN-Lektüre auf die Aufhängung; oft kommt sie regelrecht „aus heiterem Himmel“.)
Im nächsten und übernächsten Heft erleben wir Drogensucht von einer realistischeren Seite: Peter Parkers Freund Harry Osborn ist tablettensüchtig aus Liebeskummer. Er wirft sich versehentlich eine Überdosis ein und landet im Krankenhaus.
Doch ich möchte gar nicht diese Geschichte ausbreiten, sondern Ihr Augenmerk lenken auf einen simultanen Versuch, denn im September 1971 zieht die Konkurrenz bei DC nach: Am Kiosk läuft die zweiteilige Drogengeschichte „Snowbirds Don’t Fly“ in den Heften GREEN LANTERN/ GREEEN ARROW Nr. 85 und 86.
Interessanterweise hatte DC die Geschichte offenbar in der Schublade (und hat nicht auf die Schnelle Marvel kopiert). Zeichner Neil Adams bedauerte im Nachhinein (s. Link): „Wir hätten die Ersten sein können“ und erlaubte sich einen resignierten Seitenhieb auf Stan Lees Storytelling: „Tabletten einwerfen und dann vom Dach latschen ist nichts, was in der Wirklichkeit passiert. Heroinabhängigkeit hingegen schon.“
Adams war offenbar Vorstandsmitglied einer Drogenentzugseinrichtung. Auch Autor Dennis O’Neill lebte angeblich in einem Viertel mit offener Präsenz von Drogenabhängigen. Er berichtete der Fachzeitschrift BACK ISSUE: „Ich hatte Freunde, die auf Drogen waren und nachts um drei auf Entzug hereinstolperten.“
Wie also ziehen O’Neill und Adams die Sache auf? Deutlich plakativer, das sei schon mal verraten:
Das sieht nach einer Menge Heroin aus, die da im Bildvordergrund herumliegt. Zudem macht die Sprechblase von Green Arrow klar, dass sein heldenhafter Sidekick Speedy ein Fixer ist. Holla!
Wir können jetzt über die Verwertbarkeit von Sidekicks diskutieren, bestenfalls waren sie ja billige Identifikationsfiguren für jugendliche Leser*innen und durften mal aushelfen, schlimmstenfalls waren sie Kanonenfutter.
Hier immerhin gelingt Autor O’Neill ein interessanter Zwischenton: Der Sidekick sucht sich Drogen, weil er im Schatten seines Mentors steht und meist nur Beiwerk ist.
Das kommt im Verlauf der Geschichte heraus, die jedoch zunächst damit beginnt, dass Oliver Queen (Green Arrow in Zivil) von einer Gruppe drogensüchtiger Angreifer krankenhausreif geschlagen wird. Er bekommt einen Armbrustpfeil in die Schulter, bricht zusammen und erhält keinerlei Hilfe von seinen Mitmenschen: Queen muss sich selbst ins Krankenhaus schleppen.
Ich zeige die beiden Seiten, weil sie so schön pathetisch die Kaltherzigkeit von Großstädtern in den Siebzigerjahren illustriert (und weil Neil Adams einfach geil ist und auch weil ein wenig schwarzer Humor aus diesen Bildern spricht):
Queen wird verarztet, wirft sich ins Kostüm, ruft seinen Kumpel Green Lantern zu Hilfe – und gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach den Angreifern. Im Keller des Mietshauses, vor dem Queen zusammengeschlagen wurde, werden sie Zeugen folgender Szene. Einer der Angreifer bettelt bei seinem Dealer um einen Schuss.
Man beachte den theatralisch ausgestellten Schmerz des jungen Mannes, der (aus Obersicht gezeigt) tränenüberströmt an die ihm vor der Nase zugeschlagene Türe hämmert. Er halte den Schmerz einfach nicht aus.
Auf der nächsten Seite erklärt Green Arrow dem weltfremden Green Lantern, was dem jungen Mann denn fehle: Drogen nämlich, er sei auf Entzug.
Das ist natürlich mit dem Holzhammer inszeniert, aber ein bewährtes Mittel, Sachverhalte im Dialog zu erklären: „Waaas? Drogen? Entzug?“, plappert der Ignoramus – und der streetwise Arrow darf noch taffe Slangbegriffe in die Welt spucken: „Cold Turkey! Snowbird! Dope! Pusher“!
(Auf Deutsch imaginieren Sie sich bitte eine Rainer-Brandt-Synchro in leichtem Falsett: „Mensch, Lantern, bist du blöd, Mann? Der Junge ist ein Koksnäschen, ein Schneehühnchen ohne Jod-S11-Körnchen und knabbert an einem üblen Fall von Flattermann. Und der andere Vogel ist Frau Holle, der ein Bart gewachsen ist.“ – Entschuldigung.)
Der erstaunlich bürgerlich aussehende Dealer boxt Green Arrow auf seine Schussverletzung, kann dann jedoch von Green Lantern überwältigt und in den Knast expediert werden. Der Junkie windet sich derweil in Krämpfen.
Ich kontrastiere dieses Entzugsbild mal mit einem aus der von Joe Orlando illustrierten Geschichte „The Monkey“, die im Dezember 1953 in den SHOCK SUSPENSTORIES Nr. 12 aus dem Verlag Entertaining Comics (EC) erschienen ist.
Hier steht über dem Bild eines anderen gepeinigten jungen Mannes ein fetter Textblock, der äußerst drastisch die Folgen eines Entzugs schildert:
Nicht nur Krämpfe suchen den Betroffenen heim, sondern auch Übelkeit, dass man sich die Eingeweide auskotzt, dazu noch Durchfall und das Gefühl, als sitze einem ein Affe in Nacken, der einem mit seinen Krallen die Haut zerfetzt (darum „The Monkey“).
Also: Es geht noch heftiger. Auch die visuelle Umsetzung ist expressiver – mit dem zurückgeworfenen Kopf und dem rot geletterten Schmerzensschrei.
„The Monkey“ übrigens könnte die erste Thematisierung harter Drogen im Comic sein, seinerzeit noch vor Einführung des Comics Codes veröffentlicht.
Ironischerweise haben Geschichten wie diese dazu geführt, dass 1954 der Code verhängt wurde. Man wollte sich nicht mit „schmutzigen“ Themen konfrontiert sehen (womöglich gerät das noch in Kinderhände).
Und 1971, also 17 Jahre später, führen zwei Drogengeschichten zum Aufweichen des bis dahin rigide verfolgten Codes!
Denn sowohl „Snowbirds Don’t Fly“ wie auch „Green Goblin Reborn!“ führten im Nachgang zu einem Beschluss der Verlage DC und Marvel, den Comics Code in diesem Punkt (Drogen sind tabu) nicht mehr zu befolgen, sondern nach und nach auch andere Restriktionen zu kippen.
(Beispielsweise mit der Wiederaufnahme von Horrorcomics, so im Frühjahr 1972 mit TOMB OF DRACULA.)
(Wenn Sie mehr über die Einrichtung und Auswirkungen des Comics Codes wissen möchten, verweise ich Sie gerne an meine Horrorwebseite, wo ich ein wunderbares Beispiel für eine „kastrierte“ Comicgeschichte präsentiere.)
Doch wir sind noch in der GREEN LANTERN/ GREEEN ARROW-Geschichte um den armen Speedy, den wir noch gar nicht haben auftauchen sehen!
Auf diesen treffen die beiden „Grünen“ bei der Dingfestmachung zweier weiterer Angreifer, denken aber, Speedy habe sich als Undercover-Ermittler in diese Drogenbande eingeschlichen!
(Dabei hing Speedy nur mit seinen drogensüchtigen Kumpels ab.)
Speedy lässt die beiden Helden in ihrem Glauben und kommt ihnen zur Rettung, als beide in einem Flugzeughangar auf der Jagd nach den Hintermännern schon wieder überrascht und zusammengeschlagen worden sind (dies ist offenbar kein Jahr für klassisches Superheldentum).
Wieder stellt Green Lantern eine halbrhetorische Frage („Verstehe nicht, weshalb sich Menschen mit Heroin vergiften wollen…“) und Speedy gibt beredt Auskunft: Könnte ja sein, dass jemand im Drogenkonsum Bestätigung sucht. Hmmm?
Beide Helden ahnen nicht, dass Speedy von sich spricht, Arrow reagiert noch sarkastisch: „Rührende Geschichte, fehlen nur Geigen zur musikalischen Untermalung.“
Lantern verlässt die Szene und fliegt heim (der Comic zeigt uns noch einen Drogendeal im Dunkeln, der unbemerkt auf der Straße abläuft und penetriert das Thema solcherart en passant weiter.)
Als Arrow zu Speedy in die Wohnung zurückkehrt, erwischt er seinen Sidekick in flagranti:
Brillanter Cliffhanger!
Die folgende Ausgabe wartet mit einem allegorischen Cover auf …
(Drogen zerstören mehr Menschenleben als die Atombombe, hell yeah!)
(Hat jemand von Ihnen Lust, Pause zu machen und sich zwischendrin Udo Lindenbergs Drogensong „Schneewittchen“ von 1977 anzuhören? Der ist geil! Ich biete es nur an.)
Also, allegorisches Cover … gefolgt von zwei Seiten feinstem Adams-Artwork:
Arrow tobt und schlägt sogar zu, aber beginnt dann zu grübeln:
Im Fortgang der Handlung können Green Lantern und Green Arrow den Hintermann des Drogenhandels ermitteln. Kein Mafiaboss übrigens, sondern der smarte Geschäftsführer (und philanthropische Playboy) eines Pharmakonzerns (!):
Saloman Hooper wird von Hal Jordan enttarnt und angeklagt:
Speedy wurde derweil bei Heldenkollegin Dinah Drake (Black Canary) abgeliefert. Dort durchläuft er einen qualvollen kalten Entzug, obwohl: So qualvoll ist es eigentlich nicht.
Speedy kauert sich hin, beißt sich in die Hand und zittert ein bisschen. Das könnte auch ein schlimmer Kater sein oder eine Reaktion auf Gluten-Unverträglichkeit. Zudem moniere ich strukturellen Sexismus, jahaaa: Wer muss dich um kranke Menschen kümmern? Wer? Die Frau natürlich, die mitfühlende!
(Meine Frau hätte mir nur einen Kotzeimer hingestellt; und kaltes Wasser über den Kopf hilft mir nicht mal bei Kopfschmerzen.)
Vergleichen wir nochmal mit „The Monkey“ von 1953, hier das Eröffnungspanel:
Dieser Junkie wälzt sich verkrampft auf seiner Pritsche, ist gebadet in kaltem Schweiß, rauft sich die Haare und beißt außerdem noch in sein Bettzeug.
Wieder erscheint mir das drastischer und brutaler als die Schilderung von 1971.
Die Theatralik dieser 67 Jahre (bzw. 40 Jahre) alten Inszenierungen von Drogensucht mag uns heute unfreiwillig komisch erscheinen, war seinerzeit jedoch „state of the art“.
(Man könnte nun vergleichen, wie moderne Comics sich des Themas annehmen, mir fällt dazu ein aktueller Titel von Panini ein: „Crystal.Klar“.)
Mach ich jetzt aber nicht, ich muss mich um das Finale kümmern.
Speedy ist nach einer Seite Aufenthalt bei Dinah Drake gesundet, alle treffen sich zur Beerdigung eines Drogenopfers. Es folgt die „Message“!
Wow, ist das heavy, oder was?
Drogen sind nur das Symptom einer kranken Gesellschaft.
Wieso vermisst Oliver Queen alias Green Arrow jetzt keine Geigen zur musikalischen Untermalung?!
Stattdessen verdrückt er ein Tränchen, ach was: Er flennt wie ein Krokodil – weil sein Protegé, sein Sidekick mal frech wird?
Müsste Speedy seinem Mentor nicht dankbar sein, dass er seinetwegen durch die Drogenhölle ging und gestärkt wieder herauskam? Ansichtssache.
Schön überdeutlich sind jedenfalls die beiden „Predigtbilder“ mit den skizzenhaften, rosa-weiß-roten Hintergründen. So was nennen Amerikaner „preachy“: Speedy lässt einen Sermon über Drogenabhängigkeit vom Stapel.
Comics als Mittel der Sozialpolitik? Jedenfalls hat man es versucht, in den frühen Siebzigerjahren. (Und bei EC auch schon in den frühen Fünfzigerjahren.)
Relevanz, bitte!
Das Beitragsbild zu diesem Post zeigt das Cover einer Geschichtensammlung, die u.a. die erwähnte Drogenstory beinhaltet. Die DC-Comicreihe GREEN LANTERN/ GREEEN ARROW verhandelt in den Jahren 1970 und 1971 jedoch gleich mehrere „heiße Eisen“ der US-Gesellschaft, ebenfalls in diesem Band vorhanden.
Es geht um soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus, Kapitalismus, Drogenkriminalität, Umweltverschmutzung – was sich selten in Superheldencomics wiederfindet.
Doch das Duo Green Lantern/ Green Arrow war wortwörtlich auf einem Trip der Selbstfindung, der Neujustierung, der „Suche nach Amerika“.
Die beiden „Grünen“ knöpfen sich verbrecherische Minenbetreiber vor, grausame Slumlords und Miethaie, manische Wanderprediger, übereifrige Plastikfabrikanten, selbst einen rücksichtslosen Flugzeughersteller.
Genutzt hat das alles natürlich nichts. Null. Nada. Vergiss es.
Soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus, Kapitalismus, Drogenkriminalität, Umweltverschmutzung sind gerade in den USA virulent wie kaum je zuvor. In den Worten des großen Vorsitzenden D. Trump: „So sad.“
Noch dazu haben „die Chinesen“ ein tödliches Virus in die USA geschleust und „die Mexikaner“ zerstören den „American Way of Life“. Que triste.
Wäre es nicht mal wieder an der Zeit, superheldenmäßig auf die Pauke zu hauen?!
Der rhetorischen Frage folgt wie immer das Klickangebot zum Instagram-Video: