Verblüfft gleich doppelt: NOT ALL ROBOTS

Wir schreiben das Jahr 2056: Die Erderwärmung hat große Teile der Welt unbewohnbar gemacht. Die wohlhabenden Menschen Nordamerikas haben sich in einige klimatisierte „Bubble Cities“ retten können. Dort herrschen Roboter mit künstlicher Intelligenz über sie und haben sämtliche Tätigkeiten übernommen, weil den Menschen einfach nicht zu trauen ist.

Sämtliche Tätigkeiten? Nein, tapfere Friseurmeisterinnen und Frisöre dürfen noch Haare schneiden, weil diese Feinarbeit nichts für die Stahlhände der Roboter ist. Deshalb wird sich in einem Frisiersalon der menschliche Widerstand organisieren!

Sie ahnen, dass NOT ALL ROBOTS eine feine Satire auf die „Terminator-Zukunft“ und Herrschaftsverhältnisse allgemein ist (dazu später mehr).

Die Menschen sind eine Art Haustiere für die Roboter geworden und werden laufend von diesen überwacht.
Hier sehen wir die Familie Walters, denen der Housebot Razorball zugeteilt ist. Der ist der Geldverdiener, arbeitet in der Androidenfabrik und kommt jeden Tag misslaunig nach Hause:

© für alle Abbildungen: Mark Russell, Mike Deodato Jr. / AWA Studios

In dieser Parodie auf die US-amerikanische Familie (bekannt aus Sitcoms von „Father Knows Best“ über „Eine schrecklich nette Familie“ bis hin zu „Modern Family“) nimmt der eigentliche Patriarch (Vater Donny) die Rolle der Hausfrau ein, die den „Chef im Haus“ zu verteidigen sucht, während seine Frau Cheryl und die Kinder Sven und Cora gegen Razorball rebellieren (und denken, der Roboter wolle sie alle im Schlaf ermorden).
Denn die Menschen misstrauen ihren mechanischen Herrschern, weil diese sich nicht in sie hineinversetzen können.

Dann kommt es zu einem furchtbaren Zwischenfall: In „Bubble Orlando“ (dem vormaligen Disneyworld) kalkulieren die Wartungsroboter den Sauerstoffbedarf falsch und töten 200.000 Menschen auf einen Schlag.

Unfall oder Absicht?

Daraufhin pushen die fünf reichsten Menschen des Planeten (Anspielung auf unsere Tech-Oligarchen) die Produktion von Robotern in Androidengestalt.
Razorball, der die Herstellung beaufsichtigt, macht sich Sorgen, von dieser neuen Generation verdrängt zu werden.

Hier zeigt er den Großen Fünf die Produktionsanlage und erklärt, warum die Androiden zwar Standardkörper haben, ihre Köpfe jedoch nach Wunsch designt werden.

Achten Sie im obigen Beispiel auf die Zeichenkunst von Mike Deodato Jr. , der bei seinen Roboterdarstellungen natürlich auf Mimik verzichten muss.
Hier lässt er Razorball den Kopf senken und damit seine Betrübnis ausdrücken, von den Walters nicht akzeptiert zu werden (bis auf Vater Donny).

Auffer Arbeit mit Androiden

Razorball und sein Bürokollege Killroy diskutieren auf der Arbeit die Merkwürdigkeit der menschlichen Rasse. Sind diese Wesen nicht irgendwie minderwertig, weil sie in wenigen Jahrzehnten sowieso tot umfallen?

In einer PR-Aktion geben sich alle Roboter Kuschelnamen, um die Menschen von ihrer Gefährlichkeit abzulenken: Killroy wird zu „Hug-Bot“, Razorball zu „Snowball“ und TV-Moderator Crush Lord zu „Muffin Lord“.
Sagt die Quoten-Menschenfrau in der Roboter-Talkshow „Talkin‘ Bot“: „Das ist tatsächlich herabwürdigend“.

Doch die Fronten verhärten sich. Die altgedienten Roboter legen sich Waffen zu, die Menschen treffen sich heimlich im Frisiersalon und schmieden Pläne.

Cora und Sven schließen sich dem Widerstand an, und Mutter Cheryl will Razorball/Snowball durch einen der neuen Androiden ersetzen – und Vater Donny tut ihr den Gefallen.

Und kauft einen „Grandroid“, einen Senioren-Bot der neuen Generation mit genetischer Ähnlichkeit zu Cheryls Mutter!

Ein Lieferwagen der Firma „Mandroids“ fährt vor, lädt eine große Kiste ab und der entsteigt das Ebenbild der auf dem Land verschollenen Großmutter.

Tja, leider nicht das Premium-Modell ohne Werbung.

Und was wird aus den Robotern, die die ganze Arbeit geleistet haben? Werden mit kalter Schulter abserviert von den Tech-Oligarchen.
Die meisten Snowballs und Hug-Bots sollen verschrottet werden – nur eine kleine Anzahl von ihnen erweist sich noch als verwendungsfähig.
Wofür, das verrät Ihnen das letzte Panel der nun folgenden sieben:

Ich will  vom Fortgang der Handlung nicht mehr verraten als ein paar Plotpoints. Es kommt zu einer Straßenschlacht zwischen Menschen und Robotern, zu einem Prozess gegen die Walters und zur Verbannung der Familie.

Das Ganze durchmischt mit vielen schönen Gags und dramatischen Wendungen, bei denen alle Figuren zur Geltung kommen.

NOT ALL ROBOTS ist eine erfrischend lockere Satire über ernste Themen … und dann kommt im Nachwort von Autor Mark Russell ein Aspekt zum Vorschein, der dem Comic noch einen neuen Drall verleiht und eine zweite Lesart aufmacht.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Da war ich erst mal sprachlos. Ich paraphrasiere es Ihnen schnell.

NOT ALL ROBOTS ist Russells Antwort auf die „NotAllMen“-Bewegung im Fahrwasser von MeToo. Die er erbärmlich findet, denn natürlich sind nicht alle Männer übergriffig. Aber darauf zu pochen, verschleiert die Täterperspektive und belässt die Dinge beim Status Quo.

Wir Leserinnen und Leser sollen uns bei der Lektüre unbewusst (oder volleinsichtig, wenn wir das Nachwort studiert haben) mit der Menschheit identifizieren und die Roboter als (männliche) Täterklasse begreifen.
Die Walters-Familie lebt in Gefahr vor Razorball, vor den Polizei- und Wartungsrobotern, die ihnen das Leben nehmen können.

KI und Androidenherrschaft als Metapher für toxische Männlichkeit!
Klingt für einige vielleicht verblasen, ich war verblüfft und hatte es nicht so gedeutet.
Müssen Sie auch überhaupt nicht, können Sie aber!

So erklärt sich der eigenartige Titel des Werks … und so liest sich folgende Passage in feministischem Ton.

Find ich toll.
Solche Comics finde ich beim Stöbern im Bonner Comicladen, der eine große Abteilung mit englischsprachigen Originalbänden führt. Da spiele ich gern das Trüffelschwein.

Übrigens: NOT ALL ROBOTS gewann 2022 den Eisner Award für „Best Humor Publication“ sowie eine Nominierung für die beste neue Serie.

Nicht, dass ich was um Preise gäbe, aber es zeigt wieder mal, dass deutsche Verlage (die durchaus auf solche Auszeichnungen schauen) eine Menge interessanter Comics liegen lassen.

Autor Mark Russell zeichnet des Weiteren verantwortlich für BATMAN DARK AGE und SECOND COMING. Beide Werke hatten wir (verrückter Zufall) im ComicTalk besprochen!

In dem Zusammenhang eine lobende Erwähnung: Der Dantes-Verlag aus Mannheim hat SECOND COMING (alle drei Bände) auf Deutsch publiziert.
Und dass Panini den Batman veröffentlicht hat, wundert uns nicht – allerdings vermute ich, dass der kein Verkaufsschlager gewesen sein wird. Denn DARK AGE bürstet das Batman-Franchise sowohl grafisch wie inhaltlich gegen den Strich.
Insofern auch Hut ab vor den Leuten bei Panini, diesen Band hätten sie auslassen können.

Genug gelabert. Wir schauen auf Instagram per Reel in NOT ALL ROBOTS hinein, und Sie machen sich im Netz auf die Socken, wenn Sie die schmale Softcoverausgabe für ca. 15 Euro erwerben möchten.

Und nochmals der Hinweis auf Google Lens: Des Englischen nicht mächtige Personen führen einfach ihr Smartphone über die Seiten und erhalten automatisch eine deutsche Übersetzung der Sprechblasen!

Ich führe diesen Effekt mal separat in einem Reel vor!

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