Unterm Radar: PILOT

Tatsächlich hatte ich PILOT schon vergessen. War dieses Magazin von meinem Schirm verschwunden, unterm Radar, sozusagen. Es war ja auch nur zwölf Mal das Jahr 1981 hindurch erschienen, die spätere (kurzzeitige) Wiederaufnahme hatte ich nicht mehr mitbekommen.

Aber dann fielen mir einige Hefte wieder in die Hände – und ich schwelgte urplötzlich in seligen Erinnerungen. Ja, mal hochgegriffen! Hier sind klasse Künstler und originelle Comics wiederzuentdecken. Also los, folgen Sie mir in meine ‚Pilot-Studie‘.

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Doch erst ein paar Informationen:

Das französische Comicmagazin PILOTE (vom Verlag Dargaud) gab es seit 1959 und war das Stammblatt von ASTERIX, LUCKY LUKE, BLUEBERRY, VALERIAN UND VERONIQUE und ISNOGUD. 1974 schaltete man von wöchentlicher auf monatliche Erscheinungsweise (PILOTE MENSUEL) und hielt bis 1986 durch. Aus diesem Fundus bediente sich der Volksverlag-Verleger Raymond Martin und nannte seinen deutschen Mix schlicht PILOT.

Die Konkurrenz des Originals hieß MÉTAL HURLANT, das ab 1975 im Verlag Les Humanoïdes Associés erschien und sich wegen des eigenwilligen Stils bald zu einer Sensation auf dem Comicmarkt entwickelte. Raymond Martin veröffentlichte auch dieses Magazin auf Deutsch (als  SCHWERMETALL seit Februar 1980) und hatte somit eine ‚größere Schwester‘ von PILOT (das im Januar 1981 an den Start ging) erschaffen.

Wikipedia informiert: „Von Pilot erschienen zunächst im Jahr 1981 zwölf Ausgaben, bevor es wegen Unrentabilität zunächst eingestellt wurde. Von September 1983 bis Oktober 1984 erschienen die Ausgaben 13 bis 26. Für die Wiederauflage wurde das Konzept nur leicht verändert, die künstlerischen Ambitionen etwas heruntergeschraubt und auch seichtere Kost gebracht: „Hauptsache es haut einen raus aus der Alltagslethargie und lässt sich verkaufen“ (Raymond Martin, im Vorwort zu PILOT Nr. 25).

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Also: Schauen wir in diese Hefte! Was gibt es (wieder) zu entdecken?

Allein bei Régis Franc geht mir das Herz auf. Seine Kurzgeschichten sind anthropomorphe Tierfunnies, so müsste man es kategorisieren, aber das ist zu trocken. Es sind zauberhafte Miniaturen um abgeklärte Hasen, törichte Hühner, verschlagene Wiesel und betriebsnudelige Schweinedamen.

RÉGIS FRANC: „Der griechische Matrose“ wird vom Barmann vollgelabert, im Hintergrund klagt ein leichtes Hühnchen einem Fremden ihr Leid.

 

Und die machen oft nicht mehr, als literarische Phantastereien vor sich hin zu monologisieren. Fast nie kommt es bei Régis Franc zu echten Dialogen, seine tragikomischen Figuren sind bei all ihrer äußerlichen Lächerlichkeit noch in sich selbst gefangen – was seine Kunst nur prägnanter macht.

Der statische Aufbau des Layouts, Francs immergleich ausgerichtete Kamera und sein karikaturesker Strich sorgen für diese meditative Ruhe, die klassische Zeitungsstrips wie die PEANUTS oder DOONESBURY auszeichnen. Als Magazincomic ist das eine Pionierleistung, die durch die pastellige oder knallige Farbgebung zu einem Markenzeichen gerinnt.

RÉGIS FRANC: In dieser Szene spielen sich drei Dialoge parallel ab (in verschiedenen Höhen der Hochkantpanels); zusätzlicher Clou ist die wilde Farbgebung, die wie bei einer Lichtorgel willkürlich wechselt.

 

Es wäre vermessen zu behaupten, dass Francs cartooneske Tierchen ein stilistischer Vorbote von „L’Association“ und Lewis Trondheims „Herr Hase“ wären, aber schon die Spekulation bereitet Vergnügen.

Manchmal erlaubt Régis Franc sich auch Experimente wie den Panorama-Comic „Der König des Dschungels“ in PILOT Nr. 23, wo er den Leser die Übersicht verlieren lässt, wer gerade auf welcher Ebene mit wem spricht (auf Seite 4 zieht noch frech ein Luftschiff durchs Bild); der Fünfseiter endet selbstironisch mit einer Figur, die meint: „Der Comic ist als Kunstform mittlerweile überholt“.

RÉGIS FRANC: Der Künstler (Toulouse-Lautrec) wird im Bordell von einem Fan gestört.

 

Seine letzte Folge in Nr. 25 ist eine respektlose Hommage an Science Fiction à la FLASH GORDON. Während der heldenhafte Raumfahrer aufdringliche Roboter und Aliens bekämpft (Francs Figur ist womöglich inspiriert von Commander Link Ringelschwanz aus der Muppet-Show-Reihe „Schweine im Weltraum“), stiehlt sich seine Gefährtin mit zweien dieser Exemplare auf ein erotisches Abenteuer davon. Weil der eine gut kneifen, der andere gut saugen kann!
Schweinereien im Weltraum, wie wunderbar.

Régis Franc ist übrigens der beständigste Künstler in PILOT, von der zweiten bis zur vorletzten Ausgabe fast immer vertreten. Für mich das heimliche Aushängeschild und Ausweis für eine literarisch-ironische Qualität ohne Gleichen.
Ich feiere Franc als eines der verkannten Genies des Comics: versponnen und launig, lakonisch und geistreich, raffiniert und skurril.

Es wird politisch

 

Die Auftaktserie von PILOT aber war LILLI FATAL von Gérard Lauzier und zog sich über acht Ausgaben. Der schon 1974 erschienene Comic ist ein zeitgeistiges Kleinod und verhackstückt Themen der Siebziger auf erfrischend französische Weise:
Die Abenteurerin Lilli (und Martial-Arts-Expertin im „Kampfkitzeln“) wird in einen afrikanischen Befreiungskrieg im fiktiven Bobokaland gezogen.
Mit allem Zipp und Zapp (eine Flugzeugentführung, ein afrikanischer Diktator, französische Söldner, maoistische Rebellen, deutsche Aussteiger) präsentiert Lauzier in diesem Frühwerk schmissige Kolonialismus-Kritik und alberne Charaktere.

Noch dazu mit sarkastischem und absurdem Humor: Ein chinesischer Berater entpuppt sich als Schweizer; eine Pariser Spionin wird psychologisch gefoltert, indem ein Schwarzer seine Füße in Dom Perignon 1964 wäscht; ein Modefotograf nutzt den Bürgerkrieg als Folie für originelle ‚shootings‘ und verteilt Werbe-T-Shirts; der verliebte, aber abgewiesene General Guloso trommelt nachts versonnen auf der Veranda: „Höre, höre, geliebte, grausame Frau, wann wirst du mein Lager und mein Konto bei einer Schweizer Bank mit mir teilen?“ – und überall tauchen Einheimische auf, die uneheliche Kinder von General de Gaulle sein wollen!

GÉRARD LAUZIER: Lilli Fatal im Einsatz gegen Flugzeugentführer.

 

LILLI FATAL ist ein spitzes Panoptikum der wirren Siebziger, ein böser Spaß für ironiefähige „Alt-Achtundsechziger“!

Lauzier wird dem Blatt als Stammkünstler erhalten bleiben und ist meines Wissens nach nur in PILOT in Deutschland veröffentlicht worden (halt, Carlsen hat ihn um 1990 herum noch mal aufgelegt).
Sein Stil ist eine direkt wiedererkennbare ‚schwammige Ligne claire‘ mit bonbonbunter Pastellierung. Seine Sujets sind meistens Französinnen und Franzosen im Ringen mit ihren Ansprüchen, ihrem Status, ihrem Sexus und ihrem Ego. Ich habe die Romane von Michel Houellebecq nie gelesen, aber genau so stelle ich mir eine Comicfassung davon vor!

GÉRARD LAUZIER: Vater, Mutter, Sohn im Streitgespräch.

 

Man muss Lauzier nicht unbedingt mögen, aber er ist genial darin, einer Figur mit spärlichsten Strichen einen lebendigen Charakter einzuhauchen: arrogante Frauen, harte Kerle, teigige Bonzen, spargelige Hanswurste, faltige Greise.

Lauziers Kurzgeschichten, die sich in PILOT Nr. 13 bis 25 finden, wirken mitunter wie erotisch aufgeladene Loriot-Sketche. Seine dialoglastigen Comics sind groteske Überzeichnungen real möglicher Situationen und entlarven auf diese Weise die Konventionen der Gesellschaft wie auch das Blabla des intellektuellen Anti-Establishments, beispielhaft vorgeführt in „Gruppentherapie“, „Der dritte Frühling“ oder „Diner in der Stadt“.

 

Komisch ist auch Tartempions mysteriöse Funnyserie DER MANN MIT DEM WEICHEN HUT. Obwohl nur elf Mal mit kürzesten Beiträgen vertreten, bleibt dieser klar konturierte Episodencomic um einen französischen Kleinbürger (dessen Hut mitunter die Hauptrolle spielt!) irgendwie unvergesslich. Es mag aber auch am kauzigen Titel liegen!

TARTEMPION: Cover für die Nr. 7.

Dabei ist Tartempion eine Hit-and-Miss-Nummer, meint: Eine gute Folge wechselt sich mit einer schwachen Folge ab. Mein Gefühl: Die Serie ist zu spezifisch auf französische Befindlichkeiten gestrickt, zu weit weg vom damaligen deutschen Zeitgeist.
Trotzdem hat der Volksverlag zwei Alben vom MANN MIT DEM WEICHEN HUT auf den Markt geworfen, also weitaus mehr, als in PILOT zu sehen war (der Rest lief in U-COMIX).

Kein Mensch heißt übrigens ernstlich Tartempion; der Mann benutzte ein Pseudonym, um seinen französischen Allerweltsnamen Claude Lacroix aufzupimpen (Tartempion offenbar einer Nachkriegskomödie von Georges Feydeau entnommen, Wikipediawissen).
Wie auch immer: Tartempion gehört mit Marcel Gotlieb (Gotlib) und François Boucq in die Reihe der Satiriker, die in diesen Jahren den Alltag herrlich surreal überhöht haben.

Der vierte Mann in diesem Bunde ist Alexis, der in den ersten zwölf Ausgaben von PILOT mit Satiren besticht. Auch dieser Zeichner trägt ein Pseudonym, heißt bürgerlich Dominique Vallet.
Neben Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“ zieht Alexis (alles nach Skripten von Kollege Gotlib) auch Gogols „Taras Bulba“ sowie „Hamlet“ durch den Kakao (übrigens die lustigste Shakespeare-Parodie, die ich kenne), dazu noch Ritterfilme und Serienhits wie „Mit Schirm, Charme und Melone“.
Parodien im realistischen Stil sieht man nicht allzu oft, und dem Mittzwanziger Alexis gelingen schwungvolle Kompositionen.

ALEXIS: Der Glöckner schwingt sich als Tarzan von Notre Dame und rettet Esmeralda (und eine Ziege) vor dem Galgen.

 

Nicht uninteressant ist auch seine bittere Westernsatire „Al Crane“ (hier textet Kollege Lauzier!). Gebremster und ein bisschen näher am BLUEBERRY-Look gehalten, bekommen wir hier einen Wilden Westen präsentiert, der so unkorrekt noch nie war: groteske Massaker, schwule Cowboys, verkommene Goldgräber, zynische Kopfgeldjäger und weiße Farmerslümmel, die Frauen vergewaltigen, aber ihre schwarzen Bediensteten dafür an den Lynchmob ausliefern.
Respektlose Persiflagen auf liebgewonnene John-Ford-Motive!
Seiner Zeit weit voraus (inzwischen haben wir MARSHALL BASS, MONDO REVERSO, DEAD HUNTER, LINCOLN etc.).

ALEXIS: Ein morbider Hamlet erhält Kunde vom Tod Ophelias.

 

Was wurde aus Alexis, diesem mehr als begabten Zeichner? Er ist leider im  September 1977 in Paris (im Alter von nur 30 Jahren) einem Aneurysma im Gehirn erlegen.

Auch fragt man sich, wohin Caza und Solé verschwunden sind. Alle beide liefern prächtige Episodengeschichten ab. Philippe Cazaumayou hält locker mit der Kunstfertigkeit und der Fantasie eines Moebius mit. Caza war nur im Volksverlag zu finden, bis Splitter Mitte der Neunzigerjahre sein opus magnum DIE WELT VON ARKADI veröffentlichte.

CAZA: „Caza“ taucht in sein eigenes Wohnzimmer hinab.

 

Caza brilliert mit feinstem Artwork und ironischen Kommentaren auf unsere Konsumgesellschaft; sein bebrilltes, bärtiges Alter Ego ist oft die Hauptfigur in seinen plakativen Fantasien. „Die lebenden Toten“ in PILOT Nr. 12 zeigt ihn im Kampf gegen Vorstadtzombies – diese Horrorkomödie über einen fatalen Stromausfall ist ein Höhepunkt im frankobelgischen Horrorschaffen. Spannend, witzig, actionreich, noch dazu mit einer Message. Leider auch sein letzter Beitrag, ehe er ins Schwesterheft SCHWERMETALL  abwandert.

 

Jean Solé wechselte ins Illustrationsgeschäft und wurde gefragter Werbegrafiker und Poster-Designer. Nach Beiträgen in PILOT Nr. 9–12 verschlägt es Solé in die U-COMIX (wir erinnern uns, dass PILOT ein Jahr lang in Pause geht, ehe Nummer 13 erscheint).
Seine fluiden Fantasmen allerdings sind unvergesslich. Wir sollten alle auf die antiquarische Suche nach seinem 1982er-Volksverlag-Album „Die unbestandenen Abenteuer des verfluchten Klempners“ gehen, was seinerzeit auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften geriet!

SOLÉ: Das herrliche Titelbild für die Nummer 11.

 

Noch als Bonusbildchen angehängt: Eine Phantasmagorie von Solé über den Wasserhahn in der Popkultur. „The Hahner They Come“?! Total abgefahren!

Wir bleiben beim Thema Satire und begegnen dem mysteriösen F‘Murr, vertreten in den ersten zwölf Ausgaben. Rätselhaft nicht nur sein Pseudonym „F’Murr“ (E.T.A. Hoffmanns sprechender „Kater Murr“ soll Pate gestanden haben), eigenartig auch sein Zeichenstil wie sein Sujet, ein alter Schäfer in den Bergen (seine Serie heißt „Das Genie auf der Alm“).
Keine Ahnung, wer mit dem Genie gemeint sein soll, aber neben dem Schäfer treten auf: sein sprechender Hirtenhund, ein verirrter Löwe, eine Miniatur-Sphinx sowie jede Menge intelligente Schafe.

F’MURR: Nonsens pur: levitierende Schafe auf der Alm.

 

Muss in Frankreich ein Erfolg gewesen sein, mir erschließt sich der Humor nicht, unzusammenhängend, kryptisch und beliebig.

Der Künstler mit dem Klarnamen Richard Peyzaret (übrigens letztes Jahr unbemerkt verstorben) ist hierzulande ausschließlich in den Magazinen des Volksverlags veröffentlicht worden (es handelte sich allerdings auch nur um Episoden von jeweils zwei Seiten).

Im zweiten Lauf von PILOT, mit Heft 14, beginnt ein andere Serie von F‘Murr, die kurzlebige Mittsiebziger „Naphtalène“, zu Deutsch NAPHTALINE UND DER AMBOSSADOR. Dies sind surreale Kurzgeschichten um Naphtaline, eine hippieske Bohnenstange mit Halb-Afro. Die lebt in einem unterirdischen Naturkundemuseum, welches kopulierende Tier-Dioramen präsentiert. In diesen wiederum hortet Naphtaline Zigarren, die ihr das feuerspeiende Walross Marconi anzünden muss.
Völlig beknackt das Ganze, in meinen Augen aber charmanter und flüssiger als „Das Genie auf der Alm“, auch grafisch finde ich es interessanter.

F’MURR: Naphtaline auf Entzug: Alle ihre Zigarrenverstecke sind geplündert.

 

In PILOT Nr. 10 begegnen wir einem weiteren Stammkünstler, dem Spanier Julio Ribera, der drei Alben beisteuert: „Für drei Samenkörner Ewigkeit“, „Die Dämonen der erstarrten Zeit“ sowie „Welche Realität, Papa?“, letzteres abgebrochen und in SCHWERMETALL beendet. Der Zeichner aus Barcelona reüssierte auf dem französischen Markt zunächst mit dem entdeckenswerten Gruselfunny DRACURELLA und begann dann für PILOTE die Zusammenarbeit mit dem Szenaristen Christian Godard.

Ribera verfolgt einen eher italienischen als spanischen Zeichenstil und ist für mich ein grafischer Verwandter des populären Paul Gillon (DIE SCHIFFBRÜCHIGEN DER ZEIT).

JULIO RIBERA: Willkommen im kosmischen Auktionshaus, wo selbst die „Mona Lisa“ zum Kauf feilgeboten wird.

 

Bei den abgedruckten Werken handelt es sich um Bände aus der Endlosserie DIE VAGABUNDEN DER UNENDLICHKEIT (die es auf über 30 Alben brachte!). Erkenntlich ist die Reihe an ihren beiden markanten Hauptfiguren: Axel Munshine und seine jugendliche Begleiterin Musky.
Er erinnert an einen Prinz Eisenherz mit längeren Haaren, sie ist eine clowneske Erscheinung mit schwarzgelben Ringelstrümpfen und einem kuriosen Kragen um den Kopf, wie ihn Haustiere postoperativ umgelegt bekommen, um sich die Wunde nicht aufzulecken.
Entsprechend fantastisch sind die Handlungen dieser Serie, vom Inhalt interessant, vom Artwork her ein Zuckerstück.

Ribera übrigens eröffnet den zweiten Lauf von PILOT (als Titelbild und Aufmacher der Nummer 13) , für den Herausgeber Raymond Martin „mehr leichte Inhalte und neue gängige Serien“ verspricht. FÜR DREI SAMENKÖRNER EWIGKEIT ist laut französischen Datenbanken das vierte Album der Munshine/Musky-Saga; nirgendwo in PILOT wird jedoch kommuniziert, dass dem so ist oder sein könnte.

Ich verdächtige den Volkverlag, Comics in beliebiger Reihung zu verbraten (in diesem Fall Album 2, 1, 4 und Fragezeichen, es wurden nur vier Stoffe präsentiert).
Der ganze Lauf der VAGABUNDEN DER UNENDLICHKEIT ist später von Feest und Arboris veröffentlicht worden (offenbar von 1990 bis 2004, anscheinend schwer vergriffen und nicht mehr zu bekommen). Da schlummert womöglich eine Neuauflage

JULIO RIBERA: Ein Ritterkampf auf Cyber-Rossen.

 

Ich schweife ab. Die beiden kompletten Alben, die uns PILOT auftischt, sind originelle Science Fantasy. Währende US-amerikanische Science Fiction meist zum „Weltraum-Western“ neigte, war französische Science Fiction immer offen für fantastische Konzepte, so auch hier: Die blonde Schauspielschönheit Shimeer lebt auf der Erde und ist in ihren Träumen mit ihrem „Mr. Right“ verbunden. Das ist ebenjener vagabundierende Raumfahrer Axel Munshine, der durch die Weiten des Alls von ihr getrennt ist.

Königskinderhaft können sie nicht zueinander kommen, Hindernisse und Gefahren versperren den Weg. In FÜR DREI SAMENKÖRNER EWIGKEIT wird Shimeer entführt und ein grausamer wie allmächtiger Täter erpresst von Axel und Musky den Schatz der Unsterblichkeit, den Musky in sich trägt; Axel gibt ihn für Shimeer her und wird damit sterblich.

JULIO RIBERA: Fantasie oder Wirklichkeit? Das Schloss, in dem Shimeer gefangen gehalten wird.

 

DIE DÄMONEN DER ERSTARREN ZEIT führen Axel und Musky auf einen eigenartigen Planeten der Illusionen. Hier tritt Axel gegen Wiedergänger seiner selbst in anderen Lebensphasen an: als Kind, als Greis, als junger Wildfang. Er lernt nicht allzu viel daraus, der Gute scheint nicht der Hellste zu sein, außer dass er seiner Shimeer/Chimäre so nicht nähergekommen ist. Das Album punktet mit schwelgerischen Szenen und auch ein bisschen trockenem Humor.

Ich würde durchaus mehr lesen wollen von den VAGABUNDEN DER UNENDLICHKEIT. Das ist keinen Deut schwächer als Moebius, Bilal, Manara, Gillon; doch kann eine weitere PILOT-Serie Ribera an den Karren fahren?

Damit meine ich AUF DER SUCHE NACH DEM VOGEL DER ZEIT von Régis Loisel, der gerade frisch dieses sein opus magnum beginnt (das es auf neun Bände und einen Max-und-Moritz-Preis in Erlangen bringen wird). In PILOT 18 bis 23 erleben wir das fabelhafte erste Album der Reihe, „Schatten über Akbar“.
Die unnötig kompliziert klingende Handlung (ein Vogel, der die Zeit anhalten kann, muss gefunden werden, um die Wiederkehr des Rachegottes Ramor zu verhindern, den die Zauberin Mara fürderhin bannen möchte) wird zur Nebensache, wenn Autor Serge Le Tendre seine rotlockige Abenteurerin Pelissa in skurrile Situationen hetzt. An der Seite des Recken Bragon, der möglicherweise ihr Vater ist, geht es um Kampf und Flucht und Konfrontation mit memorabel gestalteten Wesen sowie das Auskosten einer hintergründigen Prise Erotik.

RÉGIS LOISEL: Pelissa entdeckt einen Spanner hinterm Vorhang, fertigt ihn ab und schwingt sich dann „Arzach“-artig auf ihr Flugtier, um Bragon zu begleiten.

 

Loisel illustriert diesen (künftigen) Fantasy-Klassiker mit einem Hauch von lichtem Abenteuer, wie es Hergé beherrschte, Anklängen an Moebius und einer cleveren Portion Uderzo: Bragon und Pelissa könnten genauso gut den Seiten von ASTERIX entsprungen sein.

RÉGIS LOISEL: Bragon und ein Verbündeter in der Klemme; Pelissa paukt die beiden durch eine Ablenkung raus: Sie zeigt der Soldateska ihre weiblichen Attribute (was Loisel taktvollerweise nur von hinten darstellen wird).

 

Der Volksverlag zeigte den zweiten Band noch in SCHWERMETALL-Episoden, dann sicherte sich Carlsen die Rechte und machte ein schönes Geschäft mit sämtlichen Alben von AUF DER SUCHE NACH DEM VOGEL DER ZEIT.

Was hat PILOT noch zu bieten?

 

Berückende frühe Arbeiten von Enki Bilal. In SCHWERMETALL liefen „Exterminator 17“ und „Die Geschäfte der Unsterblichen“, aber PILOT zeigt die unbekannteren Alben „Das steinerne Schiff“ (läuft an in Nr. 13) und „Die Stadt, die nicht existierte“ (in den letzten sechs Heften) – noch dazu (in den ersten neun Nummern) nie gesehene Kurzgeschichten, frechen Quatsch wie „Kissingers Mission im Weltall“ oder „Planet ohne Wiederkehr“. Oft satirische Episoden, die den Geist alter EC-Twists wie aus WEIRD SCIENCE transportieren.

ENKI BILAL: Hätten Sie ihn erkannt? Bilal, noch ein wenig auf Stilsuche.

 

Milo Manara ist ebenfalls im Aufgebot von PILOT zu finden, mit seinem „Frühwestern“ VIER FINGER (angeblich schon fünf Jahre vor dem artverwandten EIN INDIANISCHER SOMMER erschienen). Der Künstler hat es schwer bei mir, weil ich ihn für einen verkappten Pornografen halte, der sich in lieber in kunstvoll verbrämtem Erotizismus ergeht als wirklich handfesten Sex zu bieten.

Gott, Manara hat auf erotischen Fumetti gelernt und kann (in meiner Leseerfahrung) nicht anders, als nymphomane Nymphen ins Bild zu setzen. Ob Abenteuer, Western, Fantasy oder Historie – prominentes Zentrum seiner Comics sind immer die zarten Kindfrauen.

VIER FINGER ist ein grafisch wunderschönes, wenn auch kauziges Werk. Ein junger Mann auf dem Weg zu seiner Verlobten trifft auf einen irren, englischen Soldaten und eine junge Indianerin. Sie ziehen zum Fort, treffen einen seltsamen Prediger, der bei Regen zum Berserker wird, und geraten in ein Scharmützel der Kavallerie gegen einen Sioux-Stamm.
Die Handlung ist kurios, teils auch komisch, endet allerdings auf einer tragischen Note.
Überraschung für mich: VIER FINGER enthält sich der üblichen Sexismen, ist vielleicht sogar Manaras romantischster Stoff.

MILO MANARA: Tolle Saloonschlacht!

 

Dennoch zurück zum Thema Pornografie: Die letzten Ausgaben präsentieren zwei wirre Kurzgeschichten plus die erotische Fassung von ALICE IM WUNDERLAND des Zeichners mit dem Pseudonym Peter bzw. Pierre Riverstone. Der unter diesem Namen im Netz zu findende (und sich mysteriös gerierende) Mann ist ein Franzose namens Bernard Kamenoff und publizierte vornehmlich für Pornocomics wie „Bédé Adult“ und „Kiss Comix“.

Sicherlich das heftigste Angebot im ganzen PILOT. Seine ALICE ist ein anatomisch unmöglicher Männertraum, der splitterfasernackt durch das Wunderland stolpert und fällt. Riverstone konzentriert sich hierbei auf die Zurschaustellung des weiblichen Körpers in allen Positionen. Das Legalste, was man im Softcore-Bereich noch zeigen kann. Wirr ist diese Arbeit allerdings auch, und zwar in Text und Bild.

PIERRE RIVERSTONE: Klar. Exakt so knien Frauen, wenn sie etwas auf dem Boden suchen.

 

Damit kommen wir zum dritten „Schweinepriester“ im Aufgebot von PILOT:

Georges Pichard habe ich als Jugendlicher nie verstanden. Das muss die französische Tradition der Kolportage sein (ich erinnere an die „Angélique“-Filme der Sechziger): dralle Damen in Bedrängnis, verwickelt in verschwörerische Abenteuer.
Die von Georges Wolinski getextete PAULETTE-Serie zieht sich durch die zweite Phase des Laufs von PILOT – und hat mich zunächst positiv überrascht.

GEORGES PICHARD: Paulette, der Sultan und ‚Josephine‘ schwatzen und kloppen Karten

 

Ich hatte mit käsigem Sexismus und Frauenfeindlichkeit gerechnet, doch Titelheldin Paulette ist immerhin manchmal eine aktive Frau, die ihren eigenen Kopf hat. Auch wenn sie meist Spielball finsterer Mächte ist (bei einem Rugby-Match sogar wortwörtlich), so beweist die Serie (in manchen Episoden) auch Esprit und bedient sich querbeet bei kulturellen Anleihen von „Ali Baba und die 40 Räuber“, Sektenkulten, den Hells Angels, französischen Krimis, dem Vietnamkrieg und dem Luxusleben der Haute Volee und am Ende gar „Schneewittchen und die sieben Zwerge“.

Noch dazu kann PAULETTE erfrischend plemplem sein: Ein magiebegabter Maulwurf verwandelt den alten Einsiedler Joseph (bei dem Paulette auf der Flucht vor Entführern untergeschlüpft ist) in eine junge Frau! Der neue Joseph begleitet Paulette auf ihren Abenteuern und ringt höchst komisch mit seinem neuen Körper(bild).

Diskutabel bleibt der sexistische Aspekt (alle Frauenfiguren sind sexy angezogenes Fleisch in diesem Comic). Dennoch finde ich die Darstellung verhalten und karikaturesk – auf gut Deutsch: PAULETTE eignet sich nicht, um sich daran aufzugeilen.

GEORGES PICHARD: Paulette und ‚Josephine‘ angeln sich jeweils einen Milliardär

 

Pichard selbst soll bewusst gewesen sein, dass sein Stil „mittelmäßig“ sei, dennoch ist er prägnant. Seine konturierten, flüchtig gezeichneten Figuren kontrastieren eigenwillig vor einem detaillierteren, oft verdüsterten (und kurios kolorierten) Hintergrund und evozieren eine Aura des Mysteriösen. Und er muss gerne Füße gezeichnet haben, denn seine Frauen sind eigentlich immer barfuß unterwegs.
Eine Menge Künstler scheut die Darstellung des menschlichen Fußes; denen zeigt Pichard eine ganz lange Nase.

Für PAULETTE war ich schon bereit, zumindest für die ersten Folgen eine ‚Unbedenklichkeitsbescheinigung‘ auszustellen: Es ist zwar Pin-up am laufenden Meter, den aber sehe ich mit einem Augenzwinkern und teils auch mit Gesellschaftskritik präsentiert.

GEORGES PICHARD: Paulette im Paradies; schlüpfrige Späße mit dem sprechenden Löwen.

 

Ab der vierten Folge jedoch wird es unangenehm:
Der Butler James scheuert Paulette eine; zudem frage ich mich, ob zwischen Bild 5 und 6 ein Geschlechtsakt stattgefunden haben soll. Die Bilder insinuieren dies, obwohl es nicht gezeigt wird. Keine Ahnung, ob hier gekürzt und die Seite neu zusammengesetzt wurde.
Natürlich eine üble Szene, in der Paulette noch Bewunderung für ihren Angreifer ausdrückt.

Auf Wikipedia heißt es: „In seinem [Pichards] Spätwerk finden sich alle Formen sexueller Dominanz und Aggression oder erotischen Konsums durch die Projektion des Begehrens über ein weibliches Subjekt, in denen sich Pichard scheinbar der Macht und Potenz seiner künstlerischen Vision versichert und einen kompromisslosen visuellen Diskurs über zahlreiche Tabus rund um Gewalt und Sexualität konstruiert.“

Ja, brich mir einen ab!
Nackte Weiber malt er!
Dralle Grazien, die nach Lust und Laune herumgeschubst werden:

GEORGES PICHARD: Das sexualisierte Rugby-Spiel, das zwei Seiten später noch eindeutiger ins Frauenfeindliche übergehen wird.

 

PAULETTE diskreditiert sich im Fortgang leider mit wiederholter Gewalt gegen Frauen und auch rassistisch angehauchter Darstellung nichtweißer Figuren, was mich auf meinen Anfangsverdacht zurückwirft:  Pichard muss ich trotz einiger charmanter Szenen doch als peinlichen Schmuddelkram werten.

Sexismus!

 

Es lassen sich die Comics dieser Jahre nicht mehr diskutieren, ohne auf ihren sexistischen Aspekt einzugehen. Schon die Titelbilder von SCHWERMETALL prunkten beinahe vom Start weg mit blanken Busen und nackten Hintern (übrigens eklatant häufiger als die Cover des Originals MÉTAL HURLANT).

Die orangefarbigen unterlegten Links zeigen Galerien beider Serien auf der Datenbank comics.org.

PILOT agiert hier zurückhaltender und verlässt sich auf plakative Bildmotive und knallige Farbgestaltung. Verdorben wird der positive Eindruck allerdings in späteren Ausgaben durch ‚verschärfte Titelbilder‘ plus ironisch gemeinter, aber peinlicher Werbezeilen wie „Auch diesmal wieder mit ein paar harmlosen Sex-Comics!“.

Der traurige Tiefpunkt in Sachen Titelbild-Sexismus: die Nr. 19, eine Illustration von Riverstone.

Ganz bewusst steuerte Raymond („Ich-hau-dich-raus-aus-der-Alltagslethargie“) Martin das zweite Jahr von PILOT (die Ausgaben 13 bis 26) in Richtung Sex, wie er im Vorwort der Nummer 14 selbstbewusst zugibt:

Wem PILOT zu sexistisch ist, der sollte vielleicht lieber SCHWERMETALL lesen … oder nein, das auch nicht, vielleicht U-COMIX, oder? Nein, da ist auch zu viel Sex drin
Ja, MAD, MAD oder TITANIC oder irgendsowas. Also wen da etwas stört, der sollte beruhigt etwas anderes lesen.
Ich werde das Heft jedenfalls nicht ändern
.“

In PILOT Nr. 22 offenbart uns Raymond Martin das „Marktgesetz“ des Comicverkaufs: „Hefte mit Sex drauf verkaufen 30% mehr als Hefte mit harmlosen Covern.“ Ich wage das zu bezweifeln, aber vielleicht war es in diesen Jahren tatsächlich so.

Nun war Raymond Martin kein Kind von Traurigkeit, dennoch stimmt es betrüblich, dass er glaubte, seine qualitativ hochwertig produzierten Magazine durch Sex pushen zu müssen.
Der Kampfruf lautete „Comics für Erwachsene!“, was seinerzeit leider zu oft ein Synonym für einseitige, heteronormative Erotik war.

Inhaltlich bestand der Zeitgeist auch munter auf Zurschaustellung der Frau.
Ich erinnere die gefühlte Endlosserie ZORA UND DIE HIBERNAUTEN aus SCHWERMETALL, in der sämtliche Seiten erschreckend redundant wirkten: halbnackte, kahlköpfige Weltraumamazonen räkeln sich in spanischer Science-Fiction-Ornamentalistik.
Das Weltall ist bekanntlich minus 273 Grad Celsius kalt, doch Frauen bewegen sich dort bevorzugt hüllenlos – so auch in den Comics von Denis Sire (noch dazu sind die Damen in seinen SCHWERMETALL-Beiträgen aufwendig frisiert).

Lauzier immerhin verhandelt in seinen Comics Sexualität, meint: Seine Figuren können zwar ihre Klamotten ablegen, doch nicht ihre Verhaltensmuster. Das treibt komische, weil krampfige Blüten und ist stets so verkopft, dass es gar nicht erst erotisch werden kann.

Zu Raymond Martins Ehrenrettung sei gesagt, dass ihm klar war, was er tat und auswählte: „Natürlich will ich nackte Mädels sehen, wie bei Loros SWEET DELICE. Auch das ist keine einfache Klamotte, die sich nur durch die Titten verkauft. Loro ist ein Mann der feinen Gags […] immer wieder für eine neue Blödelei gut.“

LORO: Delice entkommt halbnackt einer Irrenanstalt.

 

Aha, soso. Was ist dran an SWEET DELICE, feine Gags oder Blödelei? Wir lesen nach. Die Serie muss man im Genre der episodischen Erotik verbuchen, so wie BARBARELLA, LITTLE ANNIE FANNY, WICKED WANDA oder PHOEBE ZEIT-GEIST. Delice, eine hübsche Rothaarige im Sommerkleid, wird auf Schritt und Tritt von Männern begafft, verfolgt und angemacht.
Dabei ergeben sich situationskomische Szenen, die leider nicht allzu komisch sind, was weniger darin liegen mag, dass erneut Folgen in falscher Reihenfolge gedruckt wurden (Autsch!). Wahrscheinlicher scheint mir, dass SWEET DELICE auf nicht transportierbarem, französischen Sprachwitz beruht.

Das Artwork von Loro ist jedenfalls eigenartig in seiner kruden, aber poppigen Ausführung. Neben den als belanglos einzustufenden Abenteuern von SWEET DELICE steuerte der Zeichner in den späteren Ausgaben noch den Privatdetektiv Abel Knackmilch bei. Diese Arbeiten sind deutlich interessanter, weil ihr parodistischer Fokus klar ist: alte Hollywood-Krimis!

LORO: Schon die allerersten drei Panels finde ich ziemlich witzig: Ein Kunde schleppt sich ins Büro und verstirbt. Dazu eine quatschige Anleitung zum Spuren beseitigen.

 

Die in Schwarzweiß reproduzierte Serie REQUIEM FÜR EINEN PRIVATDETEKTIV kann nicht durch Farbgebung blenden, weiß allerdings durch qualitativeres Artwork zu punkten. Spezieller Clou dieser sechs Folgen: prominent in Szene gesetzte, laszive Diven. Leinwandgöttinnen, die in den Comic hinabgestiegen sind.
Mit seinem Standardspruch „Dacht‘ ich’s mir doch!“ stolpert der abgerissene Detektiv meist betrunken durch schräge Fälle wie seine verloren gegangene Bourbon-Lieferung, steckt tüchtig ein, sieht dazu Sternchen und Chandler-Zitate über sich aufgehen – aber kommt am Ende immer mit seiner Haut davon.

Niemand konnte damals ahnen, dass Jean-Marc Laureau alias Loro nur von Mitte der Siebziger bis Mitte der Achtziger im Comicbereich aktiv sein sollte. Der Zeichner schloss sich in den Neunzigern der extremen Rechten in Frankreich an und verstarb mit 55 Jahren an den Folgen von Hepatitis C.

LORO: Eine Diva schneit herein und lässt Knackmilch augenblicklich den Verstand verlieren.

 

Ein letztes As aus PILOT sind die grandiosen Beiträge von Max Cabanes, von dem fast nichts auf Deutsch veröffentlicht ist (es gab ein „Carlsen Lux“-Album, schreiber&leser vertreiben zwei seiner jüngeren Werke; weiter existiert ein rares Volksverlag-Album über ihn, wahrscheinlich mit den Sachen aus den hier besprochenen Heften).

Nach acht kurzen, in Schwarzweiß abgedruckten Episoden, die kauzige, nicht rationale Begebenheiten in einem Spannungsfeld aus französischem Mittelalter und heutiger Provinz schildern (und vom Ton ihres jenseitigen Humors munter zwischen Gotlib und Boucq changieren), beginnt in PILOT Nr. 21 sein farbig reproduzierter DER ANTI-JôL.

MAX CABANES: Der Zeitenpendler Arnaud kommt mit unsichtbarem Zug am Bahnhof an und tritt durch die Türe ins Mittelalter.

 

Jetzt wird es vollends kryptisch, denn  wir verfolgen zwei humanoide Mini-Äffchen namens Hans-Peter und Julia auf der Suche nach ihren Freunden, die sie auf ihrer Wanderung durch ein fremdes Land verloren haben. Ein Rukukun saugt ihnen die Seelen aus, wodurch sie in ein Schloss gelangen, in dem ein Anti-Jôl einen Menschen gefangen hält, der ihm andauernd Suppe kochen muss.
Die Okapi-artigen Anti-Jôls scheinen alle Wesen in ihrer Nähe in Dauerschlaf zu versetzen, es sei denn, diese halten sich durch stetiges Musizieren auf Maultrommeln wach.
Hans-Peter und Julia entkommen in ein verlassenes Dorf, wo sie sich mit dem Frechdachs anfreunden und weiter auf die Suche gehen. Weiter geht’s ins Land der Zümpfe, wo sie den großen Träumer aufsuchen, der vielleicht eine Lösung für ihr Problem hat.

MAX CABANES: Hans-Peter und Julia treffen auf den Jungen mit der Mundharmonika, äh, den Frechdachs mit der Maultrommel.

 

Ich gestehe, dass die Lektüre von Cabanes ein wenig frustrierend ist (weil man wirklich gar nichts checkt), aber der Künstler entschädigt mich mit atemberaubenden Zeichnungen, schrägem Personal, unvergleichlicher Beklopptheit und einem sich den Sehgewohnheiten widersetzendem Verständnis des Raums:
Seine kargen Landschaften und schiefen Häuschen nehmen von der Bedeutung denselben Rang ein wie seine Figuren. Das ist total irritierend, ich find’s spannend, hab das noch nirgendwo anders so empfunden. Hossa!

Raymond Martin Overdrive

 

Dies sind die Jahre, in denen der Volksverlag-Macher heißläuft: Neben SCHWERMTALL und PILOT pumpt er noch das zweimonatlich erscheinende VAMPIRELLA raus (Schluss nach acht Ausgaben). Die TITANIC urteilt schon im Sommer 1980: „Der viel zu umtriebige Raymond Martin vom viel zu viel produzierenden Volksverlagkennt keine Bremse.
Es folgen noch FOTO COMICS und WITZBOLD, alle dem baldigen Untergang geweiht. So kreiert Martin seine eigene ‚Blase‘; zudem ist er ja nicht der alleinige Comicverleger in Deutschland …

In einem Vorwort zu Nummer 6 bezeichnet Herausgeber Martin sein PILOT als „Juwel“, „es gibt wohl kein besseres Comic-Magazin auf dem deutschen Markt“, er persönlich sei Fan und Freund seiner Künstler.

Philippe Druillet erinnern wir natürlich aus SCHWERMETALL, wo er mit seinen Werken GAIL, SALAMMBO und KARTHAGO vertreten war. Doch in PILOT findet sich der Zyklus um LONE SLOANE und DELIRIUS, seine bekanntesten (und wahrscheinlich auch verträglichsten) Comics.

In originell-verrückten Episoden folgen wir dem Weltraum-Tramp Sloane durch fantastische Abenteuer. Druillet paart seine Science Fiction mit einer sehr persönlichen Fantasy und kreiert eine bis heute unnachahmlich detailreiche Phantastik. Manche nennen dies auch Phantasmagorien – Darstellungen an der Grenze unserer Wahrnehmungsfähigkeit.
Gut, diesen illustrativen Irrsinn wollte wahrscheinlich auch niemand kopieren.

Immer noch beeindruckend, ist LONE SLOANE ein Science Fantasy-Werk der Sonderklasse. PILOT-Leser erleben leider, dass DELIRIUS kurz nach der Hälfte abbricht (und in SCHWERMETALL zu Ende geführt wird). Im späteren Lauf des Heftes ist Druillet nicht mehr mit von der Partie, zu diesem Zeitpunkt war auch alles von ihm Verfügbare gedruckt.

          Erwachsenes Fazit

 

PILOT ist eine hübsche Wundertüte, die auch Anspruch präsentieren wollte. Nochmal Martin aus seinem Vorwort: „Einer der Hauptgründe, warum ich Erwachsenencomics mache […] ist Inhalte zu transportieren, an die bestimmte Bevölkerungsschichten sonst nicht rankommen. Ein großer Teil unserer Leser würde sich nie eine politische Broschüre kaufen, die über die Schweinereien berichtet, die die Amerikaner mit den Indianern gemacht haben. In einem Comic-Heft lesen sie es dann.“

Martin spricht von Luis Garcias CRAZY HORSE, einem Comic über die Massaker vom Wounded Knee. In PILOT veröffentlichten außerdem noch der Katalane Florenci Clavé (DIE INSEL DER HUNDE), Jean-Jacques Loup mit seiner Religionsspöttelei DIE BIBEL, und Carlos Giménez bekam einen U-COMIX Sonderband.
Es gab immer irgendwo einen ernsten Spanier.

LUIS GARCIA: Anklage gegen die Verbrechen an den Ureinwohnern Amerikas.

 

Politische Inhalte im Comic? Können wir das heute gelten lassen, womöglich unterschreiben? Ich denke, der Volksverlag hat bei allem Schmuddel, der dabei war, auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung an den Tag gelegt.

Das Schlusswort soll Raymond Martin gehören, der im Vorwort zu PILOT Nr. 12 auf Wiedersehen sagt (das Heft wird vorläufig eingestellt). Er spricht von einer katastrophalen Bilanz: einer Rücklaufquote von 50%, von 200.000 Remittenden auf Halde, von den höchsten Produktionskosten all seiner Magazine (aufgrund der meisten Farbseiten).
Sein Befund: „Die Stories waren zu harmlos: kaum Sex, kaum Gewalt und keine Drogengeschichten. Sie waren anspruchsvoll, intelligent und meist sehr künstlerisch.“

Ich danke ihm herzlichst genau dafür!

 

Insofern von mir ein Lob an den umtriebigen Verleger: PILOT bleibt lesenswert!