Tillmann liest: DRUUNA

„Are we living in a world where sex and horror are the new gods?“

Frankie goes to Hollywood

 

DRUUNA ist der wohl in Deutschland bekannteste Erotikcomic – weil er eine Zensurgeschichte hat! Die trug sich in den Achtzigerjahren zu, was ich damals nicht verfolgt habe. Ich versuche das heute nachzuzeichnen, auch wenn ich im Netz widersprüchliche Angaben finde und mir nicht sicher bin, wie oft und in welchen Editionen Alben der Reihe DRUUNA veröffentlicht wurden.

Zunächst muss man wissen, dass der Stoff seinerzeit unter dem Titel MORBUS GRAVIS kursierte (eigentlich der Auftakttitel des ersten Bandes). In der episodischen Veröffentlichung im Magazin SCHWERMETALL sind an einigen Stellen schwarze Zensurbalken zum Einsatz gekommen. Zur Abdeckung von Geschlechtsteilen oder Unkenntlichmachung blutiger Grausamkeiten.

Now you see it, now you don’t: Einmal schwingt der Schniedel frei, einmal ist er überdeckt.

 

Es folgte ein Album „Schwermetall präsentiert: Morbus Gravis“, zu welchem die Webseite „Schnittberichte“ anmerkt: „In Absprache mit dem Autor entfernte der Verlag eine Seite, kürzte zwei Seiten auf eine zusammen und gestaltete zwei Seiten des Bandes um! Die später erschienenen Fortsetzungen dieses Bandes wurden ebenso stark zensiert!“

Interessant ist, dass diese Zensuren nicht nur den Sex, sondern auch die Gewalt betreffen: abgerissene Köpfe, ein zerstückelter Körper und weitere Verstümmelungen wurden herausgeschnitten – sowie ein Blowjob unter Zwang.

Das oben ist die zensierte Fassung (leider nur in schlechter Auflösung verfügbar); wer mag, schaut sich die beiden unzensierten Seiten in unserer folgenden Minigalerie an.

 

 

Etwa um 1990 herum entschloss sich der Interessenverband Comic e.V. (ICOM) zur Herausgabe einer „Dokumentation der Zensur“. Ein Privatdruck von spärlichen 12 Seiten (!) zu einem teuren Preis (den ich leider nicht ermittelt bekomme).
Im Vorwort tönt es vollmundig:

„Das ist wohl einmalig … in der deutschen Comic-Branche. Da übt ein Comic-Verlag Selbstzensur, um einer drohenden Indizierung zu entgehen … Natürlich hätten sich die Wogen der Empörung über die redaktionelle Kürzung in der deutschen Comic-Szene im Laufe der Zeit gelegt. Es wäre Gras über die Sache gewachsen … Doch in diesem Fall sind auf Grund juristischer Bedingungen die Eingriffe so massiv und derart exemplarisch, dass der Interessenverband Comic (ICOM) einen Handlungsbedarf sah und sich zu einer Mitfinanzierung dieses Privatdrucks entschloss.
Wir haben uns zudiesem Schritt entschlossen, um jedem ein eigenes Urteil zu ermöglichen.
Um auch in der BRD zugänglich zu machen, was in Frankreich, Italien, Spanien usw. jedem Comic-Leser frei und ohne Einschränkung zugänglich ist.“

 

Ein Sammlerfreund von mir hat darüber nur gelacht und diesem abgefeimten Reibach applaudiert.

Wie dem auch sei: Mittlerweile ist in der Tat Gras über die Causa gewachsen, diese Hakeleien mit der Zensur sind eine Anekdote der deutschen Comicgeschichte.

Der Verlag Schreiber & Leser hat seit 2011 alle Druuna-Bände in mustergültig aufgemachten, hochwertigen und unzensierten Doppelalben unter dem Signet „Serpieri Collection“ herausgebracht.

Ich empfehle einen Blick auf den deutschen Wikipedia-Eintrag zu DRUUNA. Dort finden Sie Infos zur Handlung, den Personen wie auch zur internationalen Veröffentlichungsgeschichte.

Das alles klingt schrecklich und extrem und verabscheuungswürdig (und die DRUUNA-Reihe ist ein herber Comic), doch diese Neuausgabe ist ein Schmuckstück in Ihrem Comicregal. Das Artwork von Serpieri ist anbetungswürdig (es sei denn, sie verabscheuen es).
Schmutzig, unmoralisch, grausam – ja. Aber auch eine (zu Teilen!) originelle Horror-Science-Fantasy, die es zu entdecken gilt. Natürlich nur, wenn Sie diesem Genre etwas abgewinnen können.

Worum geht es? Handlung, bitte!

 

Eine junge Frau namens Druuna irrt durch eine apokalyptische Stadt. Ihr Liebhaber Shastar ist von einer furchtbaren Seuche befallen, die viele Einwohner in monströse Mutanten mit Tentakeln und Reißzähnen verwandelt. Sie möchte ihm Linderung mittels eines Serums verschaffen, was sie mit sexuellen Gefälligkeiten bezahlt.

Druunas Doktorspiele: Gegen Ausgabe der Medizin darf der Arzt mal ran. Der Fantasie des Lesers bleibt hier überlassen, was für eines Apparates sich der Mann da bedient …

 

Druuna begegnet einem ulkigen Zwerg sowie einen hermaphroditischen Mutanten, der ihr Weissagungen macht. Shastar bringt sie zu Lewis, dem Kommandeur der Stadt, die sich als computergesteurtes Raumschiff entpuppt, verloren im Weltall.

Das alles klingt rätselhaft und schlüpfrig und … ja, das ist es!
Es ist aber auch spannend, grotesk, geheimnisvoll, krass, brutal und unangenehm. Die ersten 60 Seiten dieses 8-Alben-Zyklus sind ein wüster Ritt von Erotik über Horror, Action-Fantasy bis hin zu Porno und Splatter!

Shastar, das Monster, zerfetzt einen von Druunas Peinigern. Krasse Splatter-Szene, die meines Wissens ebenfalls aus früheren Ausgaben rausgeschnitten wurde.

 

Und DRUUNA ist göttlich illustriert. Von einem Italiener namens Paolo Eleuteri Serpieri. Der Venezianer Serpieri arbeitete in den Achtzigerjahren im Westerncomic, ehe er die achtbändige Serie um Druuna von 1985 an gestaltete.

Die Hinterteile seiner Pferde übrigens konkurrieren Backe an Backe mit denen seiner weiblichen Charaktere. Der Zeichner gilt in der internationalen Szene nämlich als „Meister des Hinterns“. Seine Frauengestalten springen dem Leser sozusagen mit dem Hintern zuerst ins Gesicht.

(Gibt es nicht südamerikanische Kulturen, die den weiblichen Musculus gluteus maximus verehren?) Wir haben das für Sie natürlich knallhart recherchiert. In Sao Paulo, Brasilien, kürt man alljährlich die „Miss Bumbum“, den prallsten Hintern der südlichen Hemisphäre.

Apropos südliche Hemisphäre … aua, aua, Kalauer-Alarmstufe Rot! Der Meister lebt übrigens noch, ein YouTube-Clip zeigt ihn beim Zeichnen eines weiblichen Aktes.

Grafisch ist Serpieri absolut Zucker und steht in einer Linie mit Moebius, Manara und Bilal. Man darf diesen Zeichner durchaus wertschätzen, aber nicht ausblenden, was er inhaltlich für einen Kram abliefert.

Hohepriester des Hinterns

 

Die Persönlichkeit von Druuna ist die eines naiven Weibchens. Diese Figur verfügt über nahezu null Eigeninitiative und wird meist irgendwo hinbeordert, fremdgesteuert und herumgeschubst. Das ist bedauerlich und peinlich für ihren Schöpfer Serpieri.
Der wollte offenbar eine lupenreine Männerfantasie, die er mit seinen Strichen wie Wachs formen kann – und keine taffe Abenteurerin.
Wie schmissig könnte diese Serie sein, wenn Druuna nicht nur ein Dirndl füllen könnte (ha, Späßle gemacht, äh, Spätzle, nein Brüderle), sondern eine Kampfmontur.

Und, schwupp, da bin ich auf die eigene Denke reingefallen. DRUUNA will keine starke Frau präsentieren, sondern ein ansehnliches Stück Fleisch. DRUUNA ist eine altmodische Schauergeschichte im Gewand der italienischen fumetti vietati.

Schon die allererste Seite macht klar, worum es in DRUUNA geht.

 

Der Autor hetzt seine Protagonistin von einem Kerker zum nächsten, durch einen Parcours skurriler Begegnungen, eine Geisterbahn weiblicher Ängste – mal hat die ‚Heldin‘ einvernehmlichen Sex, oft aber nicht. Auf dem Weg lauern Mutanten, Energiewesen, Raumfahrer, Androiden, Milizsoldaten, Schläger, Sadisten, Folterweiber, lüsterne Ärzte und kriminelle Banden (die immer einen ganzen Sack voller Penisse mitführen). Entschuldigung.

In DRUUNA erleben wir eine Welt, in der Frauen ausschließlich Sexualobjekte sind. Das ist erschreckend, das jagt uns Lesern urzeitlichen Schrecken ein. Darin ist diese Serie radikal. Das ist auch ungewohnt für eine deutsche Leserschaft, die nie Berührung hatte mit den Ausgeburten der italienischen Comicindustrie (die noch zeitgleich zu Serpieri unbeschreiblich grausame Folterpornos produziert).
Aus italienischer Sicht hat Serpieri einen hochwertigen und künstlerischen Fumetto kreiert!

(Diejenigen Frauen übrigens, die in DRUUNA nicht Opfer sind, sind Täterinnen. Sie können sich über ‚das System‘ nur erheben, indem sie noch grausamer als die Männer zu Werke gehen: Sie foltern, töten und organisieren Vergewaltigungs-Gangbangs.)

Auszüge aus der „Orgien“-Szene in CREATURA. Dazwischen liegen zwei Seiten Kopulationen.

 

So schamlos wie er weibliche Blöße zelebriert, so schamlos bedient sich Serpieri bei Versatzstücken populärer Filme seiner Zeit: das Raumschiff unter Kontrolle eines irren Computers („2001), aus Menschen herausbrechende Killer-Kreaturen („Alien“), der schäbige Look dieser Zukunft aus „Star Wars“ und die triste Stimmung aus „Blade Runner“.

Die Plots der DRUUNA-Alben (man ahnt es bereits) taugen nicht viel: Sie wirken redundant, sind teils verschwafelt (Dialoge sind nicht Serpieris Metier) und geraten ab Band 3 (CREATURA) zu mystifiziert aufgeladener Science-Fantasy-Philosophie (was ist noch real, um Himmels willen?!). Stets mit unmotiviert eingestreuten Sexszenen.

In einem späten Interview hat Serpieri geäußert, er streue „nicht einfach so erotische Szenen“ ein, es brauche für ihn eine dramaturgische Rechtfertigung.
Das einzige Mal, dass ich bei der Recherche zu DRUUNA lachen musste!

Abseits aller Schweinigelei gelingen Serpieri ab und zu auch memorable Bilder der Phantastik. Ein monströses Auge späht durch die Räume des Raumschiffs – Fantasie oder Wirklichkeit?

 

Verweilen wir zum Schluss kurz auf den schrecklichen Dialogen, die immer an der Oberfläche bleiben, auch wenn Druuna betont:
„Bitte dring in mich ein … Ah, ah, tiefer, oh!“
Wahlweise: „Ich weiß, du möchtest mich von hinten nehmen … Tu es, sofort! … Ja, ah, tiefer, ja, gut …. Schön. Ja, ah, mehr, oh!“   – Pustekuchen.

Kitschige Liebesszenen am Strand illustrieren Druunas Flucht aus der tristen Realität; böses Erwachen vor dem Rechen-Gehirn des Raumschiffs.

 

Eine Frage der Ausstattung

 

20 Seiten Scans von ‚original art‘ sind das Bonusmaterial des ersten Bandes (MORBUS GRAVIS/ DELTA). Diese Reproduktionen sind nichts weniger als zum Niederknien, fast schon allein das Geld wert. Ich hänge Ihnen mal eine Beispielseite an.

 

Sehr enttäuscht war ich deshalb, dass Band 2 der „Serpieri Collection“ (CREATURA/ CARNIVORA) dies nicht wiederholt, sondern nur zwei großformatige Porno-Bonusbildchen präsentiert. Ein klares Eigentor, liebe Herausgeber …

Ich beende mein Studium von DRUUNA mit diesen 4 ersten Alben – man hat ja schon Besseres zu tun. Nur noch eine nette Anmerkung zum Schluss:

Nix ‚broken back pose‘ wie in US-Comics: Elegante Europäer wie Serpieri benutzen noch altmodisch einen Spiegel, um Druunas körperliche Vorzüge in einem Bild zu präsentieren!

 

Weitere Anmerkung:

DRUUNA ist Teil 4 unseres „Schweinepriester-Quartetts“ obskurer erotischer Comics. Daran diskutieren wir frei assoziierend Aspekte des Sexismus im Comic.

Teil 3 war Jordi Bernet und SARVAN.

Tillmann liest: SARVAN