Tillmann liest: DER NASSE FISCH

Erschien letzten Winter als hochwertige Hardcover-„Graphic Novel“ bei Carlsen und dürfte (neben Kleists NICK CAVE) der meistbeachtete deutsche Comic des letzen Jahres sein. War 2017 mit Zeichner Arne Jysch und Romanvorlagen-Autor Volker Kutscher auf Lesetour, tauchte in allen Feuilletons und einigen Bestenlisten auf. Kutschers 20er-Jahre Krimis um Kommissar Rath dienten nicht nur Jysch als Ausgangsmaterial, sondern auch der im Herbst gehypten TV-Serie BABYLON BERLIN.
Ich hab erst Weihnachten die Zeit und Lust gefunden, den Comic zu lesen (ich schaue Serien auch meist erst Jahre später auf DVD) – und muss sagen: Der taugt wirklich was.

Gut inszenierte Schießerei auf dem Baugerüst.

 

Man merkt, dass Jysch als Storyboarder beim Film arbeitet. DER NASSE FISCH hat ein exzellentes Timing, die Handlung rollt wie am Schnürchen ab, ist gut verstehbar, holt uns Leser auf perfekte Weise ab – und nimmt uns mit ins Vorkriegsberlin.

Jysch erstickt uns nicht in Text, sondern pickt tolle Szenen heraus, die den Stoff auf sinnfällige Weise vorantreiben (die Verfolgungsjagd mit dem falschen Kaiser zu Fuß, die Schießerei am Güterbahnhof, der Mord im Regen).

Seine Charaktere gestaltet er glaubhaft und sympathisch, seine Kamera ist immer in Bewegung; dieser Comic bedient sich aller klassischen Mittel, um ein cooles Serienfeeling rüberzubringen.  Eine Freude, wie sehr Jysch sein Handwerk versteht! Doch ich wäre nicht der Comic-Snob, wenn ich nicht was zu meckern hätte, das kommt gleich …

Das sind zwar nur ‚talking heads‘, aber unterhaltsam aufbereitet, ich liebe Raths lauschende Kopfhaltung im vorletzten Panel. Das transportiert Leichtigkeit und Charme.

 

Ich habe Jysch das Werk im Kölner Literaturhaus vorstellen hören und war schwer beeindruckt von dessen Recherchierwut: Jahrelang hat der Mann sich Bücher über das alte Berlin besorgt, Modejournale der Zeit gewälzt und Reklame und Ausstattung der Weimarer Republik studiert.

Da Comiczeichner nicht wirklich bezahlt werden für solche Mühen, äußerte Jysch, er tue sich so was bestimmt nicht nochmal an. In seinen Danksagungen am Ende des Buches spricht er von einer „schwierigen Zeit“ für seine Frau und die Kinder. Ich glaube, seine Eltern mussten Jysch zeitweise finanziell unterstützen. 210 Seiten haben den Mann ausgepowert. Das ist eine Schande und trauriger Beweis für das deutsche Comic-Prekariat.

Rath geht mit Kollegin Ritter ins Bett. Tolle Lichtsetzung auf dieser Seite.

 

Wer hierzulande einen Comic über Kurzgeschichtenlänge hinaus produziert, braucht vorab Finanzierung durch den internationalen Markt. Das erfordert agenturartige Vernetzung und einen Geschäftssinn, der parallel zum Kreativprozess laufen muss. Dass es manchmal gelingt, beweist die vorfinanzierte, deutsche Albenserie GUNG HO (s. Bericht und Interview in COMIXENE Nr. 124).

Doch zurück ins kalte Wasser: DER NASSE FISCH leidet meines Erachtens grafisch unter dem fehlenden Produktionsbudget. Das hinreißend ausgestaltete Titelbild verheißt eine Klasse, die im Innenteil nicht mehr geliefert wird. Schauen Sie auf Seite 58, die hab ich wahllos aufgeschlagen und die ist kein Einzelfall:

Rath gerät auf einen Kameradschaftsabend von Nationalisten.

 

In Panel 2 sieht der rechte Kopf nicht richtig aus, in Panel 3 ebenfalls, dazu irritiert die Halslinie beim linken Kopf. Mit der aufsteigenden Figur im letzten Panel stimmt auch was nicht. Das ist aber kein illustratives Unvermögen, das ist zu hastig aus der Hand gegeben.

Hätte man dem Zeichner 2.000 Euro in die Hand gedrückt und ihm so ein Vierteljahr Putzarbeit erkauft, müsste sich dieser Comic international nicht verstecken!

Rein subjektiv: Mir sticht das ins Herz. Eine schludrige Seite verdirbt meinen Gesamteindruck. Da bin ich Snob, da bin ich Gourmet. Übrigens auch der Grund, weshalb ich CORTO MALTESE nicht mag. Hugo Pratt macht so was auch (da wäre Jysch dann in bester Gesellschaft). Ist jetzt total ab vom Thema, aber ich wollte es einfach mal sagen!

(Es sei an dieser Stelle auch angemerkt, dass ich mir meine Comics nach Interessenlage KAUFE. Ich bekomme keine Presseexemplare, ich werde nicht mit Büchern beliefert. Was auf diesem Blog erscheint, wähle ich nach Gusto aus.
Die Auswahl ist deswegen oft nicht aktuell. Es geht mir darum, der geneigten Leserin/ dem geneigten Leser Aspekte des Mediums zu vermitteln: Produktionsbedingungen, Kontext, Comicgeschichte, Lesarten, Rezeption, auch untermalt durch meine persönlichen Schrullen.)

Also: DER NASSE FISCH ist wirklich gut, mich betrübt nur, dass die Grafik nicht ganz ausgearbeitet scheint.

Authentisch eingefangenes Lokalkolorit im Berlin der Spätzwanziger.