The League of Extraordinary Gentlemen

Letztens wiedergelesen, und mein Stoßseufzer von vor zwei Jahren bleibt derselbe:

Mein Gott, kann Alan Moore nicht mal nen SCHLECHTEN Comic schreiben?!
Na gut, sein FROM HELL war derart spröde (aber auch nicht schlecht), dass ich auf lange Jahre aufgehört hatte mit Alan Moore.
Umso elektrisierter war ich, als ich nun seine „League“ in der Vertigo-Omnibus-Edition nachzuholen begann. Auf 415 Softcoverseiten versammelt dieser Band die beiden ersten Abenteuer – plus zahlreicher Galerien mit Titelbildern, Bonusspäßen, einer Allan Quatermain-Textgeschichte sowie einem 50-seitigen „Traveller’s Almanac“ für Hardcore-Fans.

Dieser Comic ist absolut hinreißend!

 

Alan Moore in Bestform. Und die Zeichnungen von Kevin O’Neill (den ich schon seit MARSHAL LAW verehre) sind einfach göttlich – und kongenial gelungen. Was für ein herrliches Abenteuer, und das verlegt ins Großbritannien des Jahres 1898:
20 Jahre vor Einführung des dortigen Frauenwahlrechts ist Wilhelmina Murray die Anführerin einer zunächst desolat wirkenden Truppe von Männern mit besonderen Fähigkeiten. Der morphinsüchtige Senior Allan Quatermain, der geheimnisvolle Kapitän Nemo, der verschlagene Unsichtbare sowie der monströse Mr. Hyde.

Der Comic verleiht seinen Charakteren, die wir alle aus diversen Filmen kennen, eigene, tiefe, erschreckende Persönlichkeiten. Mina Murray ist tough, verdrängt jedoch ihr Dracula-Trauma. Quatermain ist ein zerschlagener Abenteurer, der mit einer Hassliebe auf Murray ringt. Nemo verachtet im Grunde die westliche Zivilisation und beteiligt sich mit Verve an den Zerstörungsaktionen. Der Unsichtbare ist gleich als Psychosoziopath angelegt, der jedermanns Verachtung auf sich zieht. Und der zarte Dr. Jekyll wandelt sich nicht nur in einen schlecht rasierten Lüstling, sondern sein Mr. Hyde ist ein tollwütiger Gorilla, der gerne Menschen zerfleischt.

Moores und O’Neills Meisterleistung besteht darin, diese Menagerie (wird auch im Text so bezeichnet) miteinander zwangsweise und teils widerwillig funktionieren zu lassen. Der Fokus liegt auf Situation und Personenzeichnung, niemals auf „Action“. Zeichner und Autor gelingt es sogar, die Aktion völlig unaufgeregt im Stil des „Fin de Siècle“ darzustellen (man bewegt sich in Kutschen fort!) und dennoch nervenaufreibende Spannung zu schüren.

Die Zeichnungen O’Neills bedienen sich fast ausschließlich einer distanzierten Perspektive, das ganze Oeuvre ist angelehnt an englische „story papers“ aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So kunstvoll wie köstlich. Mit Sex, Gewalt und Phantastik wird dabei nicht gespart.
Dieser Omnibus-Band vereint zwei Geschichten, die gemeinsam die erste Ära der „League“ beschreiben: Ein Komplott Moriartys gegen London und den Angriff marsianischer Invasoren, angelehnt an das bekannte „War of the Worlds“. Ein mutiges, kompromissloses Doppel-Abenteuer, in dem zwei der fünf Mitglieder der „League“ über die Klinge springen und der Verein vorläufig wieder aufgelöst wird!

Ich war restlos begeistert. Große Comic-Kunst, in meinen Augen. Dieses Werk werde ich garantiert noch ein drittes Mal lesen…

Aber Obacht: Alle Nachfolgebände, die Moore und O’Neill noch gemacht haben (BLACK DOSSIER, CENTURY, NEMO TRILOGY) kommen bei Weitem nicht mehr ran an diese beiden Auftaktgeschichten! Mein Tipp: Bleiben Sie bei den Frühwerken (die heißen spröderweise nur Volume One und Volume Two).

Für Kenner: Es gibt eine schwarz-weiße Artist’s Edition des ersten Abenteuers.

(Amazon England hat sie für knapp 100 Pfund, Amazon Deutschland ab 145 Euro, fragen Sie mal Comichändler, was noch im Keller liegt, mein Bonner Comicladen hatte letztes Jahr noch eine …)

Ich bin ja hin und weg von Kevin O’Neills Zeichenstil. Den mochte ich schon – wie erwähnt –  bei seinem ersten großen Wurf MARSHAL LAW von 1987. O’Neill arbeitet in diesem harten, kantigen, geraden Stil, der ohne Schwünge operiert und sich jeder Weichheit verweigert. Das war mal Mode in den 80er-Jahren (wie auch der teils neofuturistische Italiener Lorenzo Mattotti, der düstere Schwede Max Andersson, der schräge Belgier Philippe Foerster, der damals wahnsinnig hippe Österreicher Chris Scheuer).
Geschuldet dem Designgeschmack dieser Jahre. Macht heute keiner mehr, es war auf Dauer zu ‚hässlich‘. Außer O’Neill, der es geschafft hat, sich diese Zeichenphilosophie anzueignen, zu verfeinern und mit dazu  passender illustrativer Grafik zum Markenzeichen zu machen.

Und diese Härte passt hervorragend zum Sujet der brutalen Bande von Außenseitern. Die Welt der LEAGUE ist bleich und trostlos und erfüllt uns mit einem gewissen Grusel. Ein wohliger Grusel allerdings, denn die Ereignisse liegen 120 Jahre in der Vergangenheit, einer Epoche, die noch keine Flugzeuge kannte. Volume One schildert denn auch den Schrecken eines fliegenden Luftkampfschiffs, dem man auf der Erde schutzlos ausgeliefert ist. In Volume Two ist ein Wald bevölkert von Dr. Moreau und seinen Genexperimenten: Tiere, die halb menschlich sind und wahrlich wild und abgerissen aussehen.

Der Lesereiz an diesem Comic liegt auch in dieser nostalgischen Verkleidung des Terrors, der uns heute erschreckt. Zwielichtige Helden, die alles andere als moralisch sauber sind, retten zwar die Welt, doch die Welt wird auf ewig vernarbt bleiben. Mir kommt LEAGUE gerade wie ein Comic-Zwilling der Fernsehserie 24 vor. Der Terror kann uns jeden Tag überfallen, und das Beste, was uns gelingen kann, ist, ihn kurzzeitig zurückzudrängen – und das verbunden mit hohen Kosten und Opfern.
Das nennt man Fatalismus.

And now for something completely different – Hollywood!

Nach der Lektüre war ich neugierig, was vom Comic eigentlich in die unsäglich gefloppte Verfilmung von 2003 eingeflossen ist. Ein Film, der angeblich die Karriere von Sean Connery beendet hat (tatsächlich sein letzter Film!). Regisseur Stephen Norrington (BLADE) durfte nie wieder einen Film machen. Schöpfer Alan Moore distanzierte sich und begann hier, mit Verfilmungen seiner Werke allgemein zu hadern.

Das Drehbuch stammt von Jimmie Robinson (übrigens ein Comicautor und –Zeichner, BOMB QUEEN, AIRBOY) und der versteht sein Handwerk. Nur baut er das Ganze anders zusammen. Teamleiter ist Quatermain, nicht Murray. Quatermain (Connery natürlich) ist auch nicht opiumsüchtig, sondern nur alt und desillusioniert. Die Murray hingegen ist eine Vampirin, was eine schöne Überraschung ist und sie auf ganz eigene Weise qualifiziert. Jekyll/Hyde, Nemo und der Unsichtbare kommen dem Comic recht nahe, neu dabei ist Dorian Gray (mit der Gabe der Unverwundbarkeit und Unsterblichkeit). Fürs amerikanische Publikum hat man noch Tom Sawyer als „Special Agent“ eingebaut, der ist eigentlich ein junger Quatermain.

Der Bösewicht ist ein grotesker Versehrter namens Fantom, offenbar eine Anspielung auf den Backstage-Stalker der Oper, der zugleich eine Art langhaariger Hunne ist (und auch zunächst für einen Deutschen gehalten wird).

(Natürlich ist mir als Comicfan die Mooresche Konstellation lieber, aber wenn man ein Star-Vehikel für Connery stricken musste, hat Autor Robinson diesen Plot clever komponiert und eine hintergründig schwelende Ironie im Geiste Moores hinbekommen!)

Die Handlung spielt im Jahre 1899 und wartet mit hübschen Production Design auf (Steampunk ahoi!), das die nächsten Jahre vorwegnimmt (ein fettes Automobil, ein Erster-Weltkriegs-Tank, Maschinenpistolen, Flammenwerfer, GPS-Peilsender und … okay … auch Cruise Missiles).

Robinson gelingt auf den ersten 50 Minuten ein flottes Dialogbuch, das man durchaus genießen kann. Und nach einer Stunde bietet der Film mit der Enttarnung von M einen interessanten Twist.

Auch was Regisseur Norrington an Schauwerten aufbietet, ist gar nicht so übel wie man in Erinnerung hatte. Nemos „Nautilus“ ist nach heutigen Standards billige CGI und sieht nach Computerspiel aus. Die Autoraserei durch Venedig ist hanebüchen unglaubwürdig, aber womöglich die ärgerlichste Actionszene der Filmgeschichte (wir erwarten IHRE Einsendungen, knapp dahinter möchte ich aber jetzt schon das meiste aus INDIANA JONES UND DAS KÖNIGREICH DES KRISTALLSCHÄDELS nominieren).

Wer mag, ruft den folgenden Clip auf und staunt über den trickgewordenen Wahnsinn …

Ich muss gestehen, dass ich wider Willen einen gewissen Respekt vor dieser Verfilmung gewonnen habe. Das Buch ist eine vollgültige, eigene Interpretation dieses League-Stoffs (und opfert am Schluss auch zwei Mitglieder). Der Film ist höchst eigenwillig, pendelt zwischen Kitsch und Comedy, absurder Action und kuriosen Anflügen von Horror (man denke an die Schlusseinstellung: Der Medizinmann scheint einen Zombie aus dem Grab zu erwecken).

Ich kann diesem LEAGUE OF EXTRAORDINARY GENTLEMEN-Film nicht böse sein, er ist zu eigenartig und zu unterhaltsam. Er ist eine verrückte Ergänzung zum Comic, ein amoklaufendes Franchise. Wer diesen Film verdammt, hat keinen Humor und nicht verstanden, dass sich Robinson und Norrington richtig ins Zeug gehangen und eine liebevolle Hommage versucht haben.

Dass das Resultat schräg geraten ist, mag teils dem damals noch defizitären Stand der Tricktechnik geschuldet sein, teils aber auch dem per se schon durchgedrehten Sujet. Manche Comics sind zu freaky, um im Mainstream Erfolg zu haben – und das ist auch gut so!

Oha, dieser Filmtrick-Hyde sieht irgendwie falsch aus. Im Comic geht das an, aber auf der Leinwand ist es nur … weird!