Huch, da bin ich gerade mit der wunderlichen Welt dieses Comics warm geworden, da isser auch schon zu Ende.
Einer letzten Konfrontation der Beteiligten folgt ein abrupter Schluss, der viel offenlässt, aber auch zum eigenen Fantasieren einlädt.
Zunächst aber beginnt der Band mit zwei Aliens, die eine postapokalyptische Erde dokumentieren. Unten am Boden agiert Attis, oben im Weltraum überwacht die Operation Poena.
Was genau sie dort tun, wissen wir nicht, doch anscheinend arbeiten diese Archäologen seit Jahren an ihrer Datenbank.
(Ich zeige im Folgenden wie gewohnt Einzelseiten dieses Softcover-Büchleins, obwohl Zeichner Ben Stenbeck für ein Doppelseitenformat komponiert hat. Das bekomme ich weder ordentlich gescannt noch fotografiert, nur für Ihren Hinterkopf: Im Gesamtblick entfaltet sich die Grafik noch schöner!)


Attis hat ein reges Interesse an der Menschheit und auch Kontakt mit überlebenden Endzeitmenschen aufgenommen (womöglich gegen seine Befehle).
Später sehen wir ihn nämlich Menschen mit Trackern chippen – im Austausch gegen Nahrung für diese Hungerleider-Menschheit, die aus umherziehenden Clans auf der Suche nach Ressourcen besteht.
Parallel zu Attis stellt man uns das wilde Kind vor, einen pubertären Jungen, auch „Zwerg“ gerufen. Diese Figur kennt keine Sprache, hat weder eine Familie noch einen Stamm, und überfällt Clans aus dem Hinterhalt, um ihnen zum Beispiel Wasser zu rauben.


„Mad Max“ ohne Motoren
Gegenspieler des Jungen sind fast ausschließlich männliche Kampfgruppen, die sich gegenseitig bekriegen oder auch mal einen Handel vereinbaren.
Hier sehen wir den Deal zweier Banden, die den „kleinen Mistkerl“ zur Strecke bringen wollen.
Der eine Clan (vier Brüder und eine Mutter, wenn ich es recht verstehe) zieht los und wird in einer blutigen Sequenz von über 20 Seiten von unserem wilden Helden angegriffen und aufgerieben.
Diese Bilder zeige ich im Reel, ich möchte hier lieber auf das Design von Autor und Zeichner Ben Stenbeck eingehen.
Der ist seit fast 20 Jahren als Mignola-Epigone im HELLBOY-Universum tätig und legt mit OUR BONES DUST seine erste Soloarbeit vor.


Ich bin beeindruckt von der Ausgestaltung seiner Apokalypse. Alle Figuren sind filigran charakterisiert durch ihre Körper und ihre Kleidung, natürlich auch durch ihr Auftreten.
Der eine Warlord schaut aus wie ein Wikinger, der andere wie ein Surfer. Beide sind des Weiteren definiert durch Accessoires wie Messer, Brillen, Hackebeile, Körperschmuck.
Das hat viel von „Mad Max“, es wird jedoch nur zu Fuß gegangen. Das australische Filmfranchise verliert sich doch gerne in seinem Motorfetisch, der uns hier erspart bleibt.
OUR BONES DUST präsentiert sich in seiner Action realistisch, obwohl die Parallelhandlung ins Gegenteil kippt.
Alien vs. Predator
Damit sind wir zurück bei dem Alien Attis, das erst einem Massaker an Menschen auf die Spur kommt, dann dessen Ursache begegnet:
Eine amoklaufende künstliche Intelligenz mit formwandlerischen Eigenschaften, die sich als Agent von „Cornerstoneglobal“ bezeichnet – und offensichtlich ein überholtes Programm zur Ressourcen-Gewinnung abspult.
Es kommt zu einem bombastischen Kampf, dem zufällig der wilde Junge beiwohnt:


Attis kann das Monstrum zunächst besiegen, nimmt aber irreparablen Schaden und muss seine Hülle verlassen.
Als schwebendes Tentakelwesen fusioniert Attis mit dem ebenfalls schwerverletzten Jungen und rettet sich in eine Menschensiedlung, die es vor Jahren bereits kartographiert hat.


Kurzer Zwischenstopp zur Würdigung des Alien-Designs: Auch das ist ein Hammer, wie ich finde. Stenbeck kreiert ein Wesen, das wirklich originell ist.
Der schlanke Rumpf mit den überlangen Armen und Beinen (die Hände können sich noch verzweigen) wirkt elegant und anpassungsfähig. Der Kopf ist teils Schnecke, teils Stier, teils Katzenschnauze und verfügt augenscheinlich über ein ausgeklügeltes Sensorium.
Der zylinderförmige Rucksack in Schulterhöhe dient als Sammelbehältnis und Speicher für alle möglichen Dinge. Weil das so cool ist, hier Attis in Aktion:


Attis analysiert eine Pflanze und entnimmt Proben, aber ohne das Gewächs zu zerstören!
Zum Finale spendiert uns Stenbeck einen weiteren Kampf gegen das formwandelnde Scheusal, das in neuer Gestalt wiederkehrt und diesmal beinahe androide Züge angenommen hat.
Mit einem halb verwesten Menschenkörper und einem Bösewichter-Umhang ausstaffiert, greift es mit eisernen Klauen an – trifft jedoch auf einen wilden Jungen, der zwar immer noch nicht spricht, aber magische Elektrokräfte von Attis aufgesogen hat:


Postapokalypse-Potpourri
In diesem kompakten, abgeschlossenen Comic von 140 Seiten (30 davon Bonusmaterial) bleibt alles im Ungefähren.
Wer sind diese Aliens? Schleierhaft. Was ist mit der Menschheit passiert? Schleierhaft. Was ist die Geschichte des wilden Jungen? Schleierhaft. Woher bezieht das Cornerstoneglobal-Monster seine Kräfte? Schleierhaft.
Schon der Titel OUR BONES DUST ist schleierhaft, ich weiß ihn nicht zu übersetzen. In einer Sprechblase heißt es einmal „Gedärm zu Gedärm, Knochen zu Staub“.
Ich sehe es als Verballhornung der Beerdigungsformel „Asche zu Asche, Staub zu Staub“.
Dieser Comic erklärt uns nix, aber vertraut darauf, dass wir popkulturell erfahren genug sind, um uns einen Reim drauf zu machen. Das kann man frech nennen, das kann man kreativ finden.
Ich will mich da gar nicht festlegen, sondern sage bloß: Ich liebe Stenbecks Erfindungen, ich mag seine klare Grafik, ich war bestens unterhalten.
Auf dieser Doppelseite findet der Junge in der letzten, noch funktionalen Siedlung (geleitet von Evlin, die Frau neben ihm auf der linken Seite) ein Zuhause – ist aber noch so unbeherrscht, die Zuchtfische roh verschlingen zu müssen.


Das hat Stenbeck auf zwei Seiten einfach so dahingeworfen, vermittelt uns aber eine Menge. OUR BONES DUST beherrscht die Kunst der Anspielung. Sie werden bei der Lektüre (ebenso wie ich) andere Comics assoziieren (auch Filme oder Serien).
Das ist so beabsichtigt und soll uns einen größeren Kontext von Science-Fiction imaginieren lassen. Dieser Comic ersetzt das Verstehen durch ein nachsichtiges Kenn-ich-doch-Gefühl.
Und ehe Ihr Gehirn einrostet oder Ihre Knochen verstauben, können Sie sich auf der Crosscult-Homepage weiter informieren oder auf Instagram ein Reel von mir dazu anschauen.
(Normalerweise linke ich das hier, aber Instagram will plötzlich eine Authentifizierung meines Kontos, die sie aber selber nicht hinbekommen, weil der Code, den ich eingebe, nicht funktioniert. Ihr blöden F***pim***!)
Ah, beim nächsten Login haben sie den Quatsch bleiben lassen, HIER her, bitteschön.