OBLOMOWA – Dösen für den Frieden!

Es ist mir ein Rätsel, weshalb dieser Comic (der bereits im Februar 2024 erschienen ist!) kein Echo in den Medien gefunden hat. Denn er passt perfekt auf unsere Zeit und bespiegelt ironisch die heute waltende allgemeine Ratlosigkeit bei gleichzeitigem Aktivismus.

Ist es wegen der Russen?
Ist es, weil Tina Brenneisens Graphic Novel Figuren mit russischen Namen auftreten lässt, sich auf den Literaturklassiker „Oblomow“ bezieht und ihn auf aktuelle Verhältnisse umdichtet?

Ist es, weil momentan niemand mit russischer Kultur im weitesten Sinne zu tun haben möchte?

Dabei sind die Figuren aus OBLOMOWA ganz offensichtlich keine Russen, sondern die Berliner Comic-Clique der Autorin, die ihre Freunde mit russischen Namen ausstaffiert, um so ihre Lifestyle-Komödie vor dem Hintergrund des literarischen Vorbilds zu inszenieren.

© für alle Abbildungen: Tina Brenneisen / Parallelallee

Ich behaupte jetzt einfach mal, die Hauptfigur (Ilonotschka Oblomowa) ist Tina Brenneisen selbst, natürlich nicht Eins zu Eins. Würde sie jemals so einen pastellgelben Hausanzug tragen?

Ilonotschka, die Oblomowa, stilisiert und ironisiert sich als Denkerin auf dem Bettsofa, die keine Ruhe findet, weil andauernd Leute schellen, in ihre Wohnung eindringen und sie bequatschen, doch mal rauszugehen und aktiv zu werden.

Die umtriebige Irina ist die erste Störenfriedin, deren Anliegen der Kampf gegen den allgegenwärtigen Sexismus ist.
Die Oblomowa aber bleibt gelassen, soll doch jede/r lesen, was persönlich gefällt. Außerdem seien Brüste etwas Schönes und Irina könne ja künstlerisch kontern, indem sie Comics über alte Säcke zeichnet, denen „die Säcke bis zum Boden hängen“.

Mit dieser Mischung aus Gelassenheit und Mutterwitz behält die Oblomowa ihre Nerven und schleicht sich zurück zum Bettsofa, um kurz Kraft zu tanken.

Die Person in Schwarz ist Oblomowas Mitbewohnerin Anna Katharina, die den gemeinsamen Haushalt führt und eine Art Sekretärinnen-Funktion einnimmt.

Anna empfängt die Gäste, bereitet Tee zu, erinnert an Termine und erduldet ihre träge Kumpanin, weil sie kostenfrei logieren darf. Denn die Oblomowa lebt von finanziellen Zuwendungen ihrer Eltern – obwohl ein Brief eintrudelt, der die Beendigung dieses Arrangements anzudrohen scheint.

Gerne würde die Oblomowa sich darum kümmern, aber es treffen am laufenden Band Bekannte aus der Comicszene ein …

Oben im Bild der Kollege Miesowitsch, dessen sprechender Name seine Laune offenbart. Der ist auf YouTube unterwegs und möchte sein Umfeld von finsteren Machenschaften der Regierung überzeugen.

In die Parade fährt ihm Irina, die vom digitalen Detoxen zu schwärmen beginnt und die Oblomowa wie einen Schwarm Fliegen bedrängt.
(Die ist übrigens nicht auf den Mund gefallen, schauen Sie mal zurück auf ihren spitzzüngigen Vergleich mit dem Artwork des Avantgardisten.)

Doch unsere Protagonistin weiß die Lösung: Ein Nickerchen hat noch niemandem geschadet und dient garantiert der Kontemplation und Reflexion!

Augen schließen oder verschließen?

Die Oblomowa kämpft um ihre Ruhe und stellt jeden Aktivismus, der ihr präsentiert wird, durch eine gewisse Ignoranz in Frage.

Sicherlich keine Haltung, um durchs ganze Leben zu gehen. Aber mitunter ist ein Zuhören oder Schweigen konstruktiver, als aufgeregt mitzudiskutieren.

Im Dialog mit Irina sahen Sie die alleinerziehende Mutter Katjuscha, deren Sohn Sascha (nicht in dieser Passage) durch die Wohnung tobt, sich schlecht benimmt und um Handyzeiten bettelt.

Katjuscha flüchtet zum Rauchen auf den Balkon und philosophiert mit dem coolen Single Stefanowitsch über die Parallelen zwischen „Graphic Novels“ und dem „Burn-out-Syndrom“: So wie Graphic Novels ein „Marketing-Instrument sind, um depressive Comics aus der Stigma-Ecke zu holen“, so ist ein Burnout ein „Checker-Begriff, um aus einer faulen Du-bist-da-reingerutscht-Störung“ einen „Ausweis von zu viel Leistungswillen“ zu prägen.

Fein gemein, sehr lustig.

Running Gag von OBLOMOWA ist das „Comicfrühstück“, zu dem alle eigentlich hinwollen, sich aber dann doch bei der Oblomowa treffen.

Ich weiß nicht, ob es ein solches in Berlin gibt, finde diese Anspielung aber höchst charmant. So bindet Brenneisen „über Bande“ den Gontscharow an die Neunte Kunst an.

Widerstand durch Phlegma

Irina kabbelt sich mit Svenja Ekatarina, einem Teil der „Geschwister Radikalinski“ (der andere ist Miesowitsch). Zum Thema Veganismus kontra Fleischessen fliegen bald die Wortfetzen von „Faschistin“ bis „Mörderin“, die Situation eskaliert.

Doch die Oblomowa steht gelassen daneben. Aufgefordert, ihre Meinung kundzutun, sagt sie bloß, sie bewege sich nicht mehr auf sozialen Medien. Sie wundere sich nur, wie ihre beiden Freundinnen noch befreundet sein können, wenn sie ihre Anwürfe ernst meinen.

Das nimmt den Dampf aus der Debatte und alle erkennen, dass man besser einen kühlen Kopf behält anstatt sich anzugreifen, nur um Recht zu behalten.

Dieses Hin und Her von Argumenten geht volle 250 Seiten lang so. Dank ihres wunderbaren Dialogwitzes schafft Brenneisen es, den Stoff nicht langweilig werden zu lassen.

Der Künstlerin war bewusst, dass sie im Grunde nur sprechende Köpfe zu illustrieren hatte. Daher lässt sie die Szenen zerfließen und benutzt das Papier als leere Bühne, um jede Begegnung zu einem grafischen Tanz zu machen.

Die Wohnung der Oblomowa bekommen wir niemals zu sehen. Dieser Comic verzichtet auf konventionelle Räumlichkeit. Die Rede der Figuren katapultiert diese in fantastische Settings, in denen sie sich verbal duellieren können.

Mir gefallen Brenneisens fluide Zeichnungen in ihren offenen Layouts sehr gut, es ist beinahe ein Funny-Comic, den sie uns da präsentiert.

Und komisch ist es ja, wie ernst wir uns heute alle nehmen. Wir haben das Lachen über uns selbst verlernt, es ist uns irgendwann in den letzten Jahren abhanden gekommen.

Das will uns OBLOMOWA vermitteln. Dabei ist das Lachen noch da. Schauen Sie mal nach, eventuell liegt es unter dem Sofa!

Ich finde es nahezu peinlich, dass bei Publikation des Werks nur eine Zeitung und ein Radiosender berichtet haben, ich selber erfuhr von OBLOMOWA erst diesen Frühsommer, groteskerweise aus dem Infoteil des Nostalgiemagazins „Sprechblase“.

Gut, ich bin nicht der König der Netzrecherche und vergesse womöglich auch eine Neuerscheinung, aber dieser Comic hat mehr Aufmerksamkeit verdient.

Was ich hiermit leisten möchte.

Es folgen noch der Link zur Verlagsseite sowie mein übliches Geblätter auf Instagram, natürlich vom Sofa aus gefilmt.

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