Kriegsverbrechen mal anders. Dieser Comic handelt nicht von militärischen Gräueltaten, sondern von bankräuberischen Aktivitäten:
Als die Wehrmacht im Sommer 1940 Frankreich überrollt, bringt die französische Staatsbank ihre Goldreserven in Sicherheit – vergisst jedoch, einen Lagerraum zu leeren:


Und so stellt man uns die Figur des Gendarmen Labeyrie vor. Das Kreativteam um die Autoren Xavier Dorison und Fabien Nury sowie den Zeichner Laurent Astier inszeniert den Stoff zügig und mit Humor.
Labeyrie nämlich informiert prompt seinen Kumpel, den verkrachten Boxer Franck Propp, der wiederum kontaktiert den Mafiosi Sambionetti.
NARRENGOLD erzählt in schnellen, griffigen Szenen, wie sich ein Team von Galgenvögeln formiert, das dem Panzerwagen folgen und ihn überfallen will.
Hier sehen wir die drei Drahtzieher bei der Planung der Aktion:

Mit von der Partie sind noch die Safeknackerin Ninon und der Chauffeur Kurt, ein Deutscher, der die Nazis verachtet.
Diese bunt zusammengewürfelte Bande begibt sich frohgemut auf große Fahrt, ahnt allerdings nicht, dass noch ein weiterer Krimineller ein Auge auf den Goldtransport geworfen hat.
Was die Truppe ebenfalls nicht in Rechnung gestellt hat: Krieg ist Chaos und macht ein verlässliches Planen unmöglich.
Das begreifen unsere Freunde, als Sturzkampfflieger der Luftwaffe den Konvoi mit dem Gold und den Verfolgern (und Hunderten von Flüchtenden) unter Beschuss nehmen.



Ich habe gleich drei Seiten gezeigt, die auf schöne Weise die unberechenbare Gewalt und die Unwägbarkeit der Ereignisse verdichten.
Jetzt haben unsere Bankräuber nicht nur Zivilisten am Hals, sondern auch noch versprengte Reste der französischen Armee, die das Kommando übernehmen wollen.
Diese erste Etappe der Flucht/ Verfolgung kulminiert in einer filmreifen Sequenz an einer verminten Brücke, die die Franzosen gerne sprengen möchten, um den deutschen Vormarsch aufzuhalten.
Während der Panzerwagen mit dem Gold sich gerade durchschleusen kann, stehen unsere Protagonisten plötzlich den anrückenden Nazis gegenüber.

Auch sonst läuft alles mehr und mehr aus dem Ruder: Im Goldtransport kann Mitverschwörer Labeyrie seinen Kollegen nicht wie geplant das Schlafmittel verabreichen – und es kommt zur offenen Konfrontation der Gangster mit der Polizei.
Für den Moment will ich nicht mehr verraten, denn es geschieht noch einiges, was für echten Alarm sorgt (Stichwort: Infiltration eines Nazi-Schlosses mit spektakulärem Shoot-out).
Dieses in sich abgeschlossene Album beweist, wie wunderbar man die Genres Krieg und Crime vermischen kann, denn beide Sujets behandeln menschliches Verhalten in Extremsituationen.
Wie weit verfolgt man sein Ziel? Welche Mittel setzt man dazu ein? Wo überschreitet man Grenzen? Welchen Preis nimmt man dafür in Kauf?

Da freue ich mich doch über meine Spürnase, die mich diesen Comic aus dem aktuellen Programm von schreiber&leser herauspicken ließ.
Ein knalliger Krimi, angesiedelt im Zweiten Weltkrieg – mit allem, was dazugehört.
NARRENGOLD behandelt sein Thema übrigens auch mit dem gebührenden Ernst.
Die Farce, die es anfangs zu sein scheint, kippt bald ins Bittere, wenn erste Figuren sterben. Darunter auch solche, um die es uns leid tut – mais c’est la guerre, n’est-ce pas?
Narrenkritik
Ich finde, den Zeichnungen hätte mehr Realismus gut getan. Illustrator Laurent Astier pflegt einen halbabstrakten Strich an der Grenze zum Semifunny. Der ist für sich auch ganz schick, doch für einen Krimi (auch noch historisch im Zweiten Weltkrieg verortet) wäre mir ein deutlicher Realismus lieber gewesen.
(Stellen Sie sich mal vor, NARRENGOLD sei von Philippe Xavier („TANGO“) oder Belén Ortega („MILLENNIUM“) gestaltet worden.)
Andererseits muss ich zugeben, dass Astier mit seinem Stil eine gewisse Komik und Ironie in die Actionsequenzen implantiert – auch nicht zu verachten.

Allerdings hatte ich auf einigen Seiten Schwierigkeiten, auf den ersten Blick zu verstehen, was los ist oder wer gerade agiert.
Eklatant in einer Szene gegen Ende, wenn Sambio und Kurt sich als Nazis verkleiden, in ein Dorf marschieren und dort ein Fahrzeug beschlagnahmen wollen.
Sambio erwähnt auf der Seite zuvor, einen Plan zu haben, aber dann schneiden wir ansatzlos zum Eintreffen zweier Deutscher vor dem Rathaus. Dort brüllt der Nazi-Offizier in deutschen Phrasen solange herum, bis ihm die Franzosen gehorchen.
Erst eine weitere Seite später ging mir auf (und ich habe zur Überprüfung zurückgeblättert), dass die beiden Deutschen Sambio und Kurt in Verkleidung sind.

So etwas wäre im Film nicht passiert. Das ist grafisch nicht klar genug gelöst. Man hätte zum Beispiel ein Panel einfügen können, in dem Sambio und Kurt einen Garderobenwechsel vornehmen.
Gut, das hätte die Überraschung kaputtgemacht (der Plan ist der Garderobenwechsel), wäre aber eindeutig gewesen und hätte mir kein Fragzeichen über den Kopf gesetzt.
Jedenfalls möchte ich zum Abschluss betonen, dass NARRENGOLD nichtsdestotrotz exzellent funktioniert und sich auf 110 Seiten als temporeicher Thriller präsentiert.
Bei mir wurden Assoziationen an Tarantinos „Ingluorious Basterds“ wach. Will sagen: Das ist bitteschön nicht als Geschichtscomic zu lesen, sondern als wüste Gangsterplotte auf historischer Folie. Ein dunkler Spaß, wenn man so will.
(In einer Epilog-Szene, die im Juni 1944 spielt, sehen wir die Landung der Alliierten in der Normandie und können dort über einen sarkastischen Gag lachen, der auch Tarantino gefallen würde …)
Nicht zufrieden bin ich jedoch mit dem deutschen Titel: NARRENGOLD, wieso?
Im französischen Original (schon zehn Jahre alt!) heißt das Werk COMMENT FAIRE FORTUNE EN JUIN 40 (etwa „Wie man im Juni 40 ein Vermögen macht“) und hat den ironischen Unterton, den NARRENGOLD vermitteln möchte, aber nicht erreicht.
Ich hätte es RIFIFI IM BLITZKRIEG genannt.

Noch eine Fußnote:
Das Skript für diesen Comic ist ein adaptierter Roman des hierzulande unbekannten Spannungsautoren Pierre Siniac, der dem Stoff den Titel „Sous l’aile noire des rapaces“ gab.
(Dessen Biografie ist auf gruselige Weise unterhaltsam, wie ich bei der Recherche feststelle. Unter dem Link findet sich auch der Hinweis, dass Siniac als Alternativtitel den Begriff „L’or des fous“ verwendet hat, daher also!)
Den Credit für das Szenario teilen sich zwei wohlbekannte Comicschreiber, nämlich Xavier Dorison (UNDERTAKER, SCHLOSS DER TIERE, GOLDORAK) und Fabien Nury (THE DEATH OF STALIN, TYLER CROSS, KATANGA, DER MANN DER CHRIS KYLE ERSCHOSS).
Beide haben schon vor 20 Jahren am Western W.E.S.T. kollaboriert.
Solche Kollaborationen sieht man selten im Comicbereich (und ich wüsste gerne, wie sie sich die Arbeit aufgeteilt haben). Vielleicht haben sie sich gegenseitig Schlafmittel verbreicht und wer gerade wach war, hat am Skript geschrieben, höhöhö.
Ich bleibe auf jeden Fall wach, um Ihnen noch ein Reel zum Werk anzubieten.