Ein Subgenre der Historien-Comics ist der … wie soll man ihn nennen? … der Städte-Comic.
In Frankreich hat man den Markt dafür längst erkannt, der Verlag „Petit à Petit“ produziert der Reihe nach für nahezu jede französische Stadt einen oder mehrere Comics, professionell recherchiert und umgesetzt von einem ganzen Team von Kreativen – die sich auch lokalen Input holen von Menschen, die dem Konzept aus Begeisterung zuarbeiten.
Hierzulande beschränkt sich die Veröffentlichung von Städte-Comics auf kleine Förderprojekte, liebevolle Hommagen von Künstlerkollektiven oder den merkantilen Versuch einiger Einzelgänger.
An der Uni Hamburg gibt es einen Comicworkshop zur Geschichte der Stadt, das Kieler Comickollektiv PURE FRUIT hat ein Magazin zur Historie des Ortes Heide gestaltet und in meiner Wahlheimat Köln hat ein ganzer Haufen Comicschaffender gleich zwei Werke herausgegeben, die auf Verkaufbarkeit eines solchen Comics abzielen.
Da sind zum einen DIE DOMSPITZEN, erschaffen vom Tandem Martin Cordemann (Text) und Ralf Paul (Zeichnungen), zum anderen der Episodenband MIT COMICS DURCH KÖLN, herausgegeben vom Dozent und Zeichner Leo Leowald, angefüllt mit kölschen Impressionen.
Doch beginnen wir bei der größten Kirche der Welt, äh, oder Europas, äh, oder Kölns auf jeden Fall: dem Dom!
(MIT COMICS DURCH KÖLN übrigens verzichtet ganz bewusst auf die Thematisierung und Darstellung des Doms, um der Köln-Perspektive einen frischen Anstrich zu geben.)
In DIE DOMSPITZEN setzen sich Cordemann und Paul jedoch wortwörtlich auf den Dom und möchten somit ein Mitnahmeobjekt für Touristen und Kölnfans kreieren, was ihnen auch aufs Schönste gelungen ist.
Protagonisten ihres Werks sind die beiden Domgespenster Rudi und Leo, deren Job es ist, das Bauwerk zu beschützen und für seine endgültige Fertigstellung zu sorgen.
Running Gag der Story ist natürlich, dass der Kölner Dom quasi nie fertig wird, ist oder bleibt. Das war (fiktiv) die Schuld von Rudi und Leo, die unbeabsichtigt eine erste Baustufe abfackelten – real schleppte sich der Bau nämlich über 600 Jahre dahin, irgendwas fehlte immer noch bzw. musste dann schon wieder renoviert werden.
In cleverer Dramaturgie packt der Comic hier 300 Jahre auf eine einzige Seite. Die auch noch unterhaltsam ist und nebenher historische Fakten einfließen lässt. Cordemanns Gespür für Pointen und Timing setzt Paul zielsicher und gekonnt um.
Die Domgespenster erzählen uns (sowie einer Brieftaube, die auf der Suche nach Prinz Karneval ist), wie die Vollendung des Kölner Doms schließlich bewältigt wurde.
Als es im 19. Jahrhundert endlich weitergehen sollte, fehlten erst die Baupläne, dann diverse Genehmigungen und Finanzierungshilfen.
Auch dokumentieren DIE DOMSPITZEN die Beschädigungen durch zwei Weltkriege, wiederum auf eine atmosphärisch stimmige Einzelseite komprimiert.
Man achte auf den unheilvollen Wiederholungsgag („Sind das Flugzeuge?“) sowie Rudi und Leos grafisch rührende Bombenabwehr-Versuche mit Schmetterlingsnetzen und Regenschirmen!
Nicht fehlen dürfen natürlich auch die Legende von den Heinzelmännchen sowie Gastro-Spezialitäten wie der „halve Hahn“ und das obergärige „Kölsch“-Bier.
Als Bonus präsentiert Zeichner Ralf Paul handgezeichnete Stadtpläne sowie ein schmuckes DOMSPITZEN-Miniposter (beigelegte Reproduktion des Titelbilds).
Paul übrigens ist kein Unbekannter in der deutschen Comiclandschaft, sondern war um die Millenniums-Wende gefeierter Starzeichner der Fantasyserien HELDEN und DORN. Der Mann hatte einen atemberaubenden frühen Image-Style à la Todd McFarlane drauf.
Der tragische Tod seines Bruders (zugleich sein Kreativpartner und Agent) und weitere Projekte haben sein Comicschaffen ausgebremst.
Eine gute Nachricht gibt es: den DOMSPITZEN von 2007 folgte 2022 DIE DOMSPITZEN Band 2, sträflich lange in der Mache. Autor Cordemann, der erneut das Skript lieferte, glaubte schon nicht mehr an eine Realisierung. Doch Ralf Paul erwies sich als langatmig und liefert eine Fortsetzung ab, die sich sehen lassen kann.
Es sei mal prinzipiell festgehalten, dass dieser Comickünstler auch einen wunderbaren Semifunny meistert! Seine Figuren Rudi und Leo erinnern nicht von ungefähr an die Lokalmatadoren Tünnes und Schäl. Sie verkörpern in subtiler Weise rheinische Phänotypen, denen man auf der Straße begegnen könnte.
DIE DOMSPITZEN Band 2, untertitelt „Kölle, Kreesch & Karneval“ überschneiden sich in manchen Punkten mit dem Vorläuferband (der Dom ist halt für einen touristischen Comic unerlässlich), doch Hauptaugenmerk liegt auf einer Stadtführung.
Rudi und Leo zeigen ihre Stadt einer japanischen Vogelfamilie und flanieren dabei durch die gesamte Innenstadt (wiederum mit Stadtplänen und einem Poster zum Aufhängen). Kölsche Anekdoten gibt es schließlich genug und Cordemann und Paul gelingt ein sympathisches Sequel, an dessen Ende es für die geplagten Geister ein Feierabendbier gibt.
Schnell zusammengefasst: DIE DOMSPITZEN Band 1 handeln von der Domgeschichte sowie Exkursen zur kölschen Kultur, Gastronomie und Lebensart. Band 2 bietet mehr Folklore und vertieft Themen wie französische Besatzungen, Napoleon, Kölner Legenden und natürlich Karneval (Sie haben es oben gesehen), serviert mit ironischer Distanz.
Nochmal „Willkommen in Köln“
Ein anderes Kaliber (und eine schöne Ergänzung) ist MIT COMICS DURCH KÖLN, ein Kollektivprojekt aus dem Jahr 2021, erschienen im lokal ansässigen Emons-Verlag. Leo Leowald hat in der Kölner Illustrationsszene 24 Beiträge von jeweils fünf Seiten Länge rekrutiert.
Weitere Voraussetzung: Der Dom darf nicht in den Geschichten vorkommen!
Dafür soll sich jeder Beitrag an einem anderen Ort in Köln orientieren. Die Wahl der Zeichnerinnen und Zeichner fiel auf gewisse Straßen, Parks, Museen, Lokalitäten sowie auf die Hügellandschaften „Herkulesberg“ und „Kalkberg“. Also zum Teil schön obskur.
Herausgekommen ist ein kunterbuntes Sammelsurium diversester Zeichenstile, was in sich schon eine Schau ist.
Es wäre unfair, auf eine bestimmte Geschichte hinzuweisen. Zum Glück ist dieser Comic auf YouTube präsent: Er wird in der „ComicTalk“-Folge 26 besprochen!
Der Clip eröffnet mit einer Buchvorstellung, die die Beiträge fast aller Comicschaffenden ins Bild rückt.
MIT COMICS DURCH KÖLN ist (im Unterschied zu den DOMSPITZEN) ein Buch, das Menschen anspricht, die in Köln leben. Da bin auch ich gemeint und durfte bei der Lektüre in Erinnerungen schwelgen, wo ich überall schon gewesen bin: Das Rodenkirchener Rheinufer, wo ich allerdings nur einmal meine Beine gekühlt habe.
Der Jugendpark, durch den eine kuriose Schmalspurbahn fährt. Das Japanische Kulturinstitut, dem ein nettes Café angegliedert ist. Die Punkkneipe „Sonic Ballroom“, die ich für einen Kindergarten für alte Männer halte. Und auf den Herkulesberg schaut übrigens Martin Cordemann, der Autor der DOMSPITZEN – Zufall?! Total.
Beide Comics beleuchten die Stadt Köln auf ihre eigene Weise und sollten (so sie im Buchhandel vorrätig sind) Longseller sein, die kaum an Aktualität verlieren und immer wieder nachströmende Zielgruppen zum Kauf animieren und für den Ort werben!
Das merkantile Potenzial von Städte-Comics ist in der Theorie höher als das sonstiger Genrecomics (die in Deutschland Pi mal Daumen um die 2.000 Exemplare verkaufen und dann ist Feierabend). Aber wie sieht es in der Praxis aus?
Ich habe konkret mal nachgefragt bei den Autoren Cordemann und Leowald:
- Wie ist die Präsenz von DOMSPITZEN bzw. MIT COMICS DURCH KÖLN in Buchhandel und Tourismusbüro?
- Wisst ihr etwas über die Verkaufszahlen und Druckauflagen?
- Was hat euch diese Arbeit finanziell eingebracht? Gibt es Tantiemen?
Hier einige Befunde und Rückmeldungen:
Der „KölnShop“ im Tourismusbüro am Dom hat ASTERIX OP KÖLSCH vorrätig, aber keine weiteren Comics.
Die Bahnhofsbuchhandlung führt ebenfalls nur den Mundart-ASTERIX.
Die dominierende Meyersche Buchhandlung am Neumarkt bietet dasselbe Bild: ASTERIX dominiert.
DIE DOMSPITZEN sind seinerzeit mit einer Auflage von 10.000 Stück gestartet (zusätzlich einer englischen Fassung von 6.000 Exemplaren!). Zeichner Paul verkauft seine beiden Comics seit Jahren persönlich auf dem Weihnachtsmarkt in der Kölner Altstadt.
Offensichtlich erfreut sich der Comic auf diesem Vertriebsweg immer noch großer Beliebtheit und wird seitdem stetig nachgedruckt. Zum Finanziellen mag Autor Cordemann allerdings nichts sagen.
MIT COMICS DURCH KÖLN sind, so Leowald, in 3.000er-Auflage gedruckt worden. Alle Beteiligten hätten ein Honorar von 50 Euro bekommen (plus drei Freiexemplare), insgesamt gab es 1.200 Euro für diesen Regionalcomic (geteilt durch 24 ergibt das 50 Euro pro Kapitel, Sie lesen richtig!).
Es habe noch eine kleine Tantiemenzahlung gegeben, die jedoch so überschaubar gewesen sei, dass alle Beteiligten auf eine individuelle Ausschüttung verzichtet hätten (die Summe verblieb für künftige Projekte bei Leowald).
Die Kooperation mit dem Verlag Emons sei grundsätzlich sehr gut gewesen: „Dass die eigentlich kein Comicverlag sind, hatte für uns den Vorteil, dass wir in fast allen inhaltlichen und gestalterischen Bereichen freie Hand hatten“, resümiert Leowald.
Zwei Jahre nach Veröffentlichung erreichte das Kollektiv dennoch folgende, bittere Note:
„Sehr geehrter Herr Leowald, die Verkaufszahlen des Titels MIT COMICS DURCH KÖLN sind leider so stark zurückgegangen, dass wir uns gezwungen sehen, den Titel an das Moderne Antiquariat abzugeben. Wir werden den offiziellen Ladenpreis zum 10.08.2023 aufheben.
Als Autorin haben Sie die Möglichkeit zum Kauf der Bücher zum Preis von 2,50 € / Exemplar. Wir bitten Sie uns bis zum 03.08.2023 mitzuteilen, ob, und wenn ja, welche Stückzahlen Sie vom Restbestand der 1.482 Exemplare übernehmen wollen. Herzliche Grüße“
Tschä. Willkommen in Köln. Willkommen in Comicdeutschland.
Dennoch ist Herausgeber Leowald nicht unglücklich über sein Unternehmen: Die Anthologie habe viele Leute zusammengebracht und sei in Köln sehr positiv auf- und wahrgenommen worden. Als Folge seien weitere kleine Projekte entstanden.
Sein Fazit: „Finanziell furchtbar, ideell ziemlich fruchtbar.“
So isses. Mit Comics in Deutschland. Amen und dreimal Selbstausbeutung … Alaaf, alaaf, alaaf!