ENDZEIT:  Comic und Film

Es soll hier nicht darum gehen, welche Fassung „besser“ ist; ich möchte lediglich ein paar Aspekte beleuchten. Eins aber vorab: Ich habe mit Menschen gesprochen, die nur den Film kennen – und die waren ziemlich sauer. Doch der Reihe nach.

Olivia Viewegs Comic erschien 2018 bei Carlsen und war mehr als nur ein Achtungserfolg im Grenzbereich zum Manga. Der Film „Endzeit“ kam Ende August 2019 in (ausgewählte) deutsche Kinos, das Drehbuch stammt von Olivia Vieweg!

Ich habe ENDZEIT bei Erscheinen für COMIXENE porträtiert („Von der Poesie der Apokalypse“) und war richtig heiß auf den Film, auf den ich lange gewartet habe.

Der Comic nämlich ist auf geniale Weise reduziert und schickt zwei ungleiche Frauen auf eine Suche nach sich selbst durch einen magisch-schönen Sommer in Ostdeutschland.

Sie sehen schon am Look, der in keinster Weise realistisch ist, dass der Film völlig anders vorgehen muss (wenn er kein Zeichentrick sein will).

Dem Team um Carolina Hellsgård (Regie), Leah Striker (Kamera) und Ruth Schönegge/ Julia Oehring (Schnitt) gelingt eine packende und faszinierende Atmosphäre, die gekonnt auf dem Grat zwischen traumatischem Alltagsdrama und sensationsbewusster Apokalypse wandelt.

Vivi (Gro Swantje Kohlhof) und Eva (Maja Lehrer).

Naturfilm mit Zombies

Äußerst relevant ist jedoch die Gewichtung: „Endzeit“ ist zuerst ein Werk voller Naturmystik, in dem letzte Menschen herumirren. Nebenher ist es noch Zombieapokalypse, die aber nie erklärt wird. Es gibt auch nur sechs (sehr kurze!) Konfrontationen mit Untoten, die jeden Zombiefan enttäuschen werden.

Ich persönlich fand alle sechs Szenen toll gemacht, sehr stimmig und auch spannend – aber für die Splatter-Gourmets dürften das nur Horsd’œuvres sein.

Ganz kurz meine weiteren Wertungen: Die ängstliche Vivi (Gro Swantje Kohlhof) und die taffe Eva (Maja Lehrer) geben ein gutes Realfilmgespann ab und funktionieren in ihren Rollen.
Die Heimleiterin (Barbara Philipp) bekommt eine kleinere Rolle als im Comic, ähnliches gilt für die ‚Gärtnerin‘ (Trine Dyrholm) – eine Frau, die halb Mensch, halb Zombie ist und eine neue Evolutionsstufe darzustellen scheint.
Im Comic repräsentieren beide Figuren unterschiedliche Weltmodelle (es schwingen sowohl hier als auch da sogar Vertreibung-aus-dem-Paradies-Andeutungen mit).
Im Film geht dieser Widerspruch unter; den Auftritt der ‚Gärtnerin‘ empfand ich als Schwachpunkt des Films, weil er ‚zeigefingrig‘ daherkommt und die Hierarchie unter den Zombies nicht klärt.

Alle Zombies sind gleich. Manche sind gleicher.

Im Comic kann die ‚Gärtnerin‘ über die tumberen Zombies gebieten, sie erscheint als Lichtgestalt, als Königin einer neuen Menschenrasse. Im Film steht sie im Gewächshaus zwischen Tomaten und predigt Ökofundamentalismus. Noch dazu hat sie Gestrüpp im Gesicht, das ausschaut wie die Aufmachung zur „Ü 30 Blumenkinder“-Mottoparty.

Das war jetzt gemein. Aber die Maske (die bei den Angriffszombies durchaus effektiv aussieht), scheint sich hier zu bremsen, um die Darstellerin bloß nicht hässlich wirken zu lassen. Schwerer Fehler. Im Comic nämlich sieht die Gärtnerin furchteinflößend aus.

Also: Der Film funktioniert, wenn man den Comic kennt und mag. Mich störte allerdings das nicht richtig entwickelte (und falsch in Maske gesetzte) Thema der Zombie-Evolution. Die Hoffnung bei ENDZEIT liegt im radikalen Neubeginn von uns Menschen als ‚Naturgeister‘ – wenn man so will.

Nochmal betont sei der für mich zentrale Aspekt der Naturmystik.

Das Titelbild des Comics fängt den Gehalt von ENDZEIT perfekt ein: Die beiden Frauen staunen über die bestirnte Natur, während sich aus dem Boden pflanzenartig Hände recken.

(Und es ist mir erst aufgefallen, nachdem ich den Film gesehen und den Comic ein zweites Mal gelesen habe! Ich hatte den Comic aber zunächst nur digital, das heißt er lag nicht als Buch neben dem Computer und starrte mich tagelang an!)

 

Bei Olivia Vieweg geht der Mensch eine neuartige Symbiose mit der Natur ein. Wie die konkret aussieht, deutet die Künstlerin nur an. Das lässt Raum für unsere Fantasie, das macht ENDZEIT so besonders, so schwebend, so poetisch.

Dieser Comic bewegt sich tatsächlich im „Hier und Jetzt“.

Wir erfahren nie, woher die Seuche kommt oder wie genau sie sich fortpflanzt und auswirkt. Sie ist einfach da.
Deal with it.
Wir verstehen nie, was mit der Gärtnerin passiert ist, wie sie in diesen fortentwickelten Zustand geraten ist oder warum sie Macht über andere Zombies hat. Sie lebt einfach ihr Leben.
Deal with it.
Auch was am Ende mit den beiden Frauen geschieht, ist mehr als offen. Werden sie zu tumben Zombies oder schaffen sie den Sprung zum denkenden Superzombie? Begründen sie eine neue Gesellschaftsform?

Nur eine Sache macht der Film deutlicher als der Comic. Jena, die Sehnsuchtsstadt, zu der man hoffnungsvoll flüchten wollte, taucht im Comic als leuchtendes, greifbar nahes Ziel auf.

Im Film schien mir Jena in kalte, weite Ferne gerückt, unbeleckt von Sonnenschein. Die Stadt schien grau, industrielle Geräusche schienen aus ihr zu dröhnen. Klarer Marker dafür, dass diese städtische Kultur der Vergangenheit angehört. Von dort kommt keine Hoffnung mehr.
Also kehren die beiden Frauen Hand in Hand zurück auf hügelige Wiesen; ein bisschen musste ich an den Schluss von „Casablanca“ denken.

Neue Gretas braucht das Land

ENDZEIT können wir lesen und schauen als „Fridays for Future“-Feature. Ha!
Die korrupte, kapitalistische Welt ist (allen Gretas zum Trotz) zum Teufel gegangen. Die Natur radiert den Menschen aus. Doch neue Gretas gehen aus der Apokalypse hervor und machen sich auf den Weg, endlich ihre Welt zu errichten.

Per aspera ad astra.

Die Zombiebraut / der Brautzombie streift durch die Gegend.

 

Viewegs Vision (wenn sie wirklich so düster ist, wir können nicht in ihren Kopf schauen) räumt gründlich mit der Menschheit auf. Je mehr ich über ihren Stoff nachdenke, desto abgründiger wird er, gesprenkelt mit tiefstschwarzem Humor.

(Sie hat mir erzählt, sie schätzt die Horrormangas von Hideshi Hino und war sehr beeindruckt von „Jenseits“ – was ich gerne als „kindliche Erinnerungen auf dem Todesmarsch“ beschreibe.)

Umso mehr flasht es mich grad wieder, dass ENDZEIT (der Comic) so hell und locker daherkommt.

„Endzeit“ (der Film) ist naturgemäß präziser in der Darstellung, aber verfehlt für mich die Tiefe des Comics. So gelungen ich die eingebundene Naturmystik finde (die Kamera ruht auf Blättern, Insekten, Spinnweben, Nebel usw.), so wenig Spielraum lässt sie für Spekulation.

In diesem charmant verwahrlosten Haus begegnet Vivi gleich dem blinden Zombie!

 

Sie sehen: Ich ringe weiter mit diesem Werk. Und bin beeindruckt, dass ich immer weitere Nuancen entdecke.

ENDZEIT ist zu Unrecht nicht in den Jahresbestenlisten der „Comics 2018“ aufgetaucht. Halt, halt, halt: Die kompetente „Tagesspiegel“-Redaktion hat ihn in den Top Ten geführt. Immerhin.

Dann darf ich hier noch sagen, dass ich Viewegs Comic zu den besten des Jahrzehnts zählen möchte!

„Endzeit“ (der Film) hingegen bleibt vielleicht nur eine interessante ‚Zweitverwertung‘ für die Fans des Comics. Wer ins Kino stolpert und einen Horrorfilm erwartet, wird womöglich so vor den Kopf gestoßen wie mein Freund und Cineastenkollege „Cinemoenti“, der den Film gehasst hat (s. Link).
(Er kannte aber auch den Comic nicht.)

Zu wenig Zombies für einen Zombiefilm?