Die MAD-Schule der Satire: HOWDY DOOIT

Es ist mir ein Anliegen, einmal ausführlich die revolutionäre Wirkung des MAD-Magazins aufzuzeigen – anhand einer einzigen Geschichte aus dem Jahr 1954.
Ich rede hier vom US-amerikanischen Original, das im Herbst 1952 aus der Taufe gehoben wurde.

Der bald darauf in Verruf geraten werdende (Futur II, juhu) Verlag Entertaining Comics nahm mit MAD ein wirklich komisches „Comic“-Heft in sein Portfolio (neben Horror-, Kriegs- und Science-Fiction-Titeln).

Ein Heft, das die amerikanische Gesellschaft prägen und zu dem wird, was man gemeinhin als „Institution“ bezeichnet. Denn hier konnten junge Menschen lernen, was Satire bedeutet (so auch ich mit dem deutschen MAD): die Verspottung von Personen, Ereignissen und Zuständen, indem mit den Stilmitteln der Übertreibung und des Perspektivwechsels eine komische und kritische Fallhöhe zum Status quo hergestellt wird.

Erfinder, Redakteur und Autor von MAD ist der talentierte Harvey Kurtzman. Schon in Ausgabe Nr. 4 wird Superman köstlich durch den Kakao gezogen, es folgen Parodien auf Tarzan, King Kong, Sherlock Holmes, Western und Science Fiction. Zeitgenössische Radio- und Fernsehshows werden satirisch überhöht und als schamlose Kommerzveranstaltungen bloßgestellt.

So auch in unserem Musterbeispiel, Kurtzmans Skript für HOWDY DOOIT. Es zeichnet Will Elder, der hier mit „Bill Elder“ signiert, ein damals 24-jähriges Talent aus dem EC-Stall, der andere Zeichenstile wunderbar nachahmen konnte, hier jedoch seine eigene Kunstfertigkeit bis zum Anschlag ausfährt.

In MAD Nr. 18 vom Dezember 1954 attackieren Kurtzman und Elder die beliebte Fünfzigerjahre-Kindersendung „Howdy Doody“, in der der trappermäßig gekleidete „Buffalo Bill“ die Marionette Howdy Doody führt. (Schauen Sie sich unbedingt die Fotos und Infos im Link an!)

Oder schauen Sie sich erst die Splashpage der MAD-Satire an, die mit einem farbigen Panel beginnt: Wir befinden uns in einem Wohnzimmer und schauen auf das Fernsehgerät, auf dem in Schwarzweiß eine Folge von „Howdy Doody“ anläuft.

Beachten Sie erstens, dass der Titel des Programms zu HOWDY DOOIT verballhornt wurde (auf Deutsch etwa „Wie man’s anstellt“, bereits ein Meta-Verweis auf die Message dieser Comicparodie).
Zweitens ein erster Gag im Eröffnungsbild: Eine protestierende Micky Maus wird aus dem Bild gezerrt, die Einspruch gegen das strahlenförmige Howdy-Logo geltend macht. Ein Hinweis auf „copyright infringement“ also, die Macher der Sendung haben sich in der Aufmachung bei Disney bedient.


Ich finde übrigens die Darstellung der Mickey Mouse schon wunderbar despektierlich: Disneys Vorzeigefigur tritt als Neidhammel in Erscheinung und kreischt uns ein umgangssprachliches „I wannit back“ entgegen. Wenig vorbildhaft.

Jetzt springen wir ins Fernsehgerät und tauchen live ein in die Sendung, wo Buffalo Bill sein Kinderpublikum mit dem Introspruch „Hey, Kids, what time is it?“ – „Howdy Dooit time!begrüßt und aufwärmt.

Elder, der König der komischen Hintergrundeffekte, zeichnet 27 Kinder ins Studio: glotzend, nasebohrend, heftchenlesend, fratzenschneidend, winkend – zwei scheinen den Moderator mit einem Spielzeuggewehr sowie einem Frosch beworfen zu haben!

Die frechen Blagen aber verweigern sich dem „Howdy Dooit time“-Recall, sondern stellen sich (bewusst?) dumm oder reagieren patzig: „Ich hab keine Uhr, Mister.“

Im Vordergrund flirtet ein Pärchen sogar.

Die folgenden sieben Panels werden von Reihe zu Reihe und Bild zu Bild immer kleiner – und chaotischer! Buffalo Bill heizt sein Publikum an, immer lauter zu schreien.
Dann entgleitet die Situation und die Kinder beginnen zu randalieren.

Am Ende schaltet die Regie in eine Werbepause und hinter dem Hinweisschild bekommt Buffalo Bill womöglich eins auf die Mütze.

Doch mit der Werbepause erleben wir jetzt den Auftritt des „Stars“, der Marionette Howdy, die im linken Panel brav die zuschauenden Kinder adressiert und sie auffordert, ihre Mütter vors Gerät zu holen.

Dann ein Bruch zu Panel 2: Die Kamera ist bedrohlich nah an Howdys Gesicht herangefahren, alle Freundlichkeit fällt von der Puppe ab. Mit diabolischem Unterlicht angestrahlt, zischt sie eine Drohung und schüttelt die Faust dazu: Wird’s bald, hol die Mutti ran, ehe ich böse werde!

Dieser Einfall ist so jenseits der Fernsehwirklichkeit, dass er eine tolle Fallhöhe generiert. Kurtzman und Elder machen uns klar, dass es bei dieser Show weniger um Unterhaltung gehen könnte als um Marketinginteressen der Werbewirtschaft.

Die nächsten drei Bilder offerieren uns nun die Werbebotschaft, die völlig skurril ist: Ein albern benamstes Produkt namens „Bupgoo“ soll Kindern vorgaukeln, sie bekämen ein Bier zu trinken, dabei ist es nur aufschäumende und gefärbte Milch.

Elders Komik inszeniert die Szene in einem Fass voller Bupgoo, die (immer noch agitierten) Studiokinder bewerfen Howdy dafür mit faulen Tomaten!

Jetzt ist dieser erste Werbeblock abgehakt und wir schneiden um zum in der Tat lädierten Buffalo Bill (markiert durch komische Bildchiffren wie Pflaster im Gesicht, einen Armverband sowie einen Lolli, der im Haar festklebt).

Der begrüßt nun seine regulären Studiogäste, nämlich das Indianer-Klischee Chief Thunderthud (hier zu Thudamelvin verbogen) und den Clown,  der tatsächlich Clarabell hieß (damit machen sie gleich noch einen Gag).

(Anmerkung: Ehe Alfred E. Neuman zum MAD-Maskottchen wurde, fand die Redaktion es lustig, mit dem wiederkehrenden Vornamen „Melvin“ zu operieren.)

Und hier kommt der Gag mit Clarabell/ Clarabella: MAD fragt stellvertretend für uns alle, weshalb der Clown einen Frauennamen trägt.
Die Lösung wissen wir nicht, doch der Mann in der Maske jagt Buffalo Bill und Chief Thudamelvin durchs Studio und treibt sie im Publikum in die Enge.

Dort versuchen sie offenbar, die Kinder als lebende Schutzschilde vor der Attacke des Clowns zu benutzen. Und wo es gerade kritisch wird, da schalten wir in den nächsten Werbeblock!

Howdys scheinheiliges „Huch, was mag da wohl passieren?!betont den Cliffhanger-Aspekt und die Frustration durch diese Unterbrechung.

In aller Seelenruhe präsentiert uns die Puppe eine perfide Konsumstrategie: Die zuschauenden Kinder werden gebeten, das Produkt (ein nährstoffarmes Weißbrot) in den Einkaufswagen der Mutter zu schmuggeln.

Am besten ganz nach unten, wo es erst an der Kasse auffällt oder (noch raffinierter) beim Auflegen der Ware ein richtiges Brot gegen ein „Skwushy`s“ auszutauschen!

Elder macht die Mutter zu einer alten Bilderbuch-Hexe mit Katze auf der Schulter, die hauptsächlich Reisigbesen einkauft. Typische MAD-Übersprungs-Pointe, die eigentlich die Szene untergräbt, denn die Hexe gehört hier nicht hin.

Aber wer MAD liest, lässt sich gern von solchen Absurditäten überraschen. Es mag auch eine Hommage an die Horrorhefte des Verlags sein, die zu diesem Zeitpunkt unter öffentlichem Beschuss stehen und sehr bald eingestellt werden.

Nun erwartet uns die Auflösung, was Clown Clarabella wohl angestellt hat:

Das linke Bild dürfen wir als „Freeze Frame“ betrachten. Die Handlung war eingefroren und setzt exakt da ein, wo wir sie verlassen haben. Das aber ist Unsinn, denn während Howdys Durchsage ist ja Zeit vergangen!

Haben sich die beiden Männer diese Minute lang an den Kindern festgekrallt?!

Nein, denn der Comic offenbart sich als Comic: Das Panel ist mit allen Hintergrunddetails und der Sprechblase kopiert von der vorigen Seite.

Und nun geschieht ein „Jump Cut“ zur rechten Bild. Die Zeit ist vorgespult worden und wir sehen Buffalo Bill und Chief Thundamelvin an Longdrinks nuckeln, die ihnen Clarabella zubereitet hat!

Sie können einwenden, das sei doch der normalste Vorgang im Comic. Vom einen Bild zum nächsten vergehe eben Zeit im Panelzwischenraum (dem „Gutter“).

Mir scheint der Zeitsprung recht groß und ich vermute, dass Kurtzman und Elder damit auf die Meta-Ebene des Comicmachens verweisen. Egal.

Sicher ist, dass die Comicmacher auf jeden Fall den Slapstick mit der Spritzwasserflasche des Clowns verweigern – und sich die Darsteller mit dem Schuss Sprudel lieber einen steifen Drink genehmigen (natürlich nicht korrekt in einer Kindersendung).

Und – schwupp – übernimmt wieder Howdy die Regie. Die Marionette scheint überhaupt nur als Werbeträger zu fungieren:

Erneut schult Howdy die Kinder darin, wie sie ihre Mütter terrorisieren können. Nun soll das Frühstückflocken-Produkt „Phud“ an den Mann gebracht werden.
„Und so, liebe Kinder, bringt ihr Mutti dazu, euch Phud zu kaufen.

Schreit einfach „Ich will’s, ich will’s, ich will’s!“. Wenn das nicht reicht, werft euch auf den Boden und beginnt, wild herum zu zucken.

Reicht auch das nicht, könnt ihr noch den Atem anhalten, bis ihr blau anlauft!

Sie sehen, wie Elder drei Bilder lang die Raserei von Howdy steigert, bis er erschöpft, aber glücklich sein Phud gereicht bekommt (und einen Oscar für die beste Schauspielleistung!).

Kurtzmans Text enthält hier Pointen, die für sich noch strahlen: In der obigen Sequenz vergleicht Howdy sein Phud mit anderen Cerealien: „Phud ist nicht kernig, knackig oder knusprig – es klebt einfach in der Schüssel.

Noch dazu ist Phud nicht das „Frühstück der Champions / The Breakfast of Champions“ (geflügelte Phrase in den USA, Werbemotto der Marke „Wheaties“), sondern „The Breakfast of Chimpanzees“ (Wortwitz) sowie „ein sanftes Waschmittel“ – steht auf der Packung.

Zurück zu Buffalo Bill und seinem Kinderpublikum, der „Peewee Gallery“:

Buffalo Bill betont, wie nett und brav die jungen Leute doch sind (Elder zeichnet Schafe und betende Hände in den Hintergrund), da zieht die Kamera dummerweise auf – und wir entdecken im Bildabseits einen Folterknecht mit Peitsche, der anscheinend schon zuschlagen musste (hinten hocken zwei Jungs mit blutigen Köpfen).

Der trägt ein sinnlos-quatschiges Tattoo mit der Inschrift „Weniger Arbeit für Mutter“ auf dem Oberarm.

Es folgen weitere Plauschs mit Kindern, die alle das „Was willst du denn mal werden?“-Muster unterlaufen.
Eine erstaunlich kleine Göre mit nur einem Zahn im Mund faselt in einem fort, wie groß (in Zentimetern) sie werden möchte, bis Buffalo Bill sie hinter sich ins Off schiebt.
Ein kleiner Junge mit Daumen im Mund fragt schüchtern, ob er mal austreten könne. Wir dürfen uns hineininterpretieren, dass er dem TV-Host ans Bein gepinkelt hat …

Schließlich trifft Buffalo Bill auf einen nächsten Jungen, den er mit Standard-Berufswünschen wie Polizist, Feuerwehrmann und Pilot animieren will.

Doch dieser Bub maßregelt den Erwachsenen zunächst für seine kindischen Vorschläge und entpuppt sich als ausgebuffter Karriereplaner: Investment-Banker möchte er werden, der aufs Kohlemachen aus ist.

Der Junge wird zum gierigen Teufel, der sein Verlangen nach Mäuse, Kohlen, Zaster zum Ausdruck bringt, wie Howdy eben. Ein Gauner, Schwindler, Gelderschleicher. (Nutte des Werbefernsehens, möchte ich hinzufügen.) Das sei sein Vorbild!

Der Moderator schaut verzweifelt und appelliert an den Jungen, in Howdy keinen Gauner zu sehen. Howdy verbreite nichts als Glück und Freude und habe keinen Sinn für Geld.
Der Junge glaubt ihm nicht und wischt dessen Beteuerungen mit wedelnden Handbewegungen fort.

Daraufhin lässt Buffalo Bill plötzlich seine Maske fallen und grinst, Howdy sei in der Tat kein Gauner, der auf Geld aus sei. Das sei vielmehr er selber, Buffalo Bill!

Somit offenbart uns Buffalo Bill den Sinn von Fernsehen, woraufhin der Junge ihn mit einer Schere attackiert. Es kommt Leben in die bis dahin statische Bilderreihe:
Bill, der Junge und zwei Kameramänner springen uns entgegen. Dramatischer Effekt.

Im Schlussbild läuft ein entsetzter Howdy Dowdy auf die Szene und stellt fest, dass der Junge Buffalo Bills Fäden durchtrennt hat.
Der Moderator liegt leblos und verdreht wie eine Puppe am Boden – er war die ganze Zeit die Marionette!

Das ist von der Botschaft fast ein bisschen dicke, aber ein toller Dreh und für das Jahr 1954 revolutionär.(Schön an dieser Geschichte ist auch, dass es Kinder sind, die hier als „Systemsprenger“ agieren!)

Vielleicht verstehen Sie nun, wie MAD seinen Lesern einen anderen Blickwinkel auf die Wirklichkeit eröffnet und mit dieser Form der Satire die Saat der Subversion unters Volk gestreut hat.  

Dokumentiert ist, dass die Hefte von EC Einfluss nahmen auf Künstler wie Steven Spielberg, George Lucas und Stephen King, die wiederum als Geeks und Nerds unsere moderne Popkultur bestimmt haben.

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