Das war SCHWERMETALL

Die Comiceinflüsse meiner Jugend waren ZACK, das DEUTSCHE MAD und die Barksschen Donald-Geschichten in MICKY MAUS – immer vergessen tue ich bei dieser Aufzählung das 80er-Jahre-Magazin SCHWERMETALL, auch wenn ich nur die ersten 15 Ausgaben besessen habe.

SCHWERMETALL war seinerzeit eine Sensation, denn es präsentierte das moderne, wilde Zeug aus Frankreich. Nicht die Klassiker wie Giraud, Franquin, Hermann, Uderzo und Morris, sondern die drogenbefeuerten Sex- und Fantasystoffe von Moebius, Druillet, Caza, Bilal und Corben.

Ein neues Sachbuch will daran erinnern und die Publikationshistorie aufrollen: „Das war SCHWERMETALL“ widmet sich den ersten 99 Heften (von insgesamt 220, die letzten 28 davon „Doppelausgaben“), erschienen zwischen 1980 und 1988. Verfasst hat es Achim Schnurrer, deutsches Comic-Urgestein und zeitweiliger Chefredakteur und Herausgeber des besagten Magazins.

Auf dem Comicsalon in Erlangen war das Werk am Stand der Edition Alfons  erhältlich – und prompt hörte ich, wie Fachleute erste Kritik verlautbaren ließen.
Schnurrer habe ein comic-historisches Faktum zur Erstausgabe offenbar nicht mitbekommen: Diese Nummer (und nur diese) erschien nämlich in einer zweiten Auflage (in der es Änderungen am Layout und bei den Textzuweisungen gab, es wurden schlicht einige Fehler korrigiert).

Weiter: Für den stolzen Preis von 24,95 Euro für 240 Seiten hätte es aber bitteschön ein Hardcover sein können und etwas größer. „Das war SCHWERMETALL“ sei ein etwas lumpig geratenes Softcover im Handbuchformat. Hätte wertiger sein müssen!

Flatsch! Ein Softcover – lieblos aufgeschlagen.

 

Was mich allerdings nicht stört, ich bin so einer, der Bücher liest und mit ihnen arbeitet. Aufmachung und Look rangieren bei mir auf den hinteren Plätzen.
WAS mich stört, ist, dass dieses Buch zwar viele Illustrationen bietet, die jedoch  oft zu klein sind, zu wahllos serviert werden (und das OHNE Bildunterschriften, man weiß manchmal nicht, aus welcher Geschichte die Abbildung stammt!) – und vor allem: den ganzseitig präsentierten Titelbildern mangelt es an Auflösung.

Keine Ahnung, wo Schnurrer die her hat: Sind es Foto-Repros, sind es JPEGs aus dem Netz? Es hätte zwei Minuten pro Bild gekostet, das betreffende Heft auf den Scanner zu klatschen, einen 600-dpi-Abzug zu machen und die Chose kurz zu photoshoppen. Ein Jammer! Das wären crispe, körnige Hingucker geworden!

Achim Schnurrers Lieblingstitelbild.

Auch kein Wort fällt (wo wir grad bei „Hinguckern“ sind) zum wüsten Sexismus der deutschen Titelbilder, die – im Gegensatz  zur amerikanischen Lizenz HEAVY METAL wie auch zum Mutterblatt METAL HURLANT ! – fast ausschließlich mit blanken Busen und prallen Hintern aufwarten.
Doch, es fällt ein Wort – zur Verteidigung derselben!
Ein nackter, eingeseifter Frauenhintern ziert die Ausgabe Nr. 46 und Schnurrer schwärmt:
Eines der besten Titelbilder, die SCHWERMETALL je hatte.

An anderer Stelle erteilt Schnurrer einen Freibrief zur Freiheit der Kunst, egal wer dabei unter die Räder kommt. Auf Seite 55 führt er aus, dass Sex und Gewalt im Comic ja nur Fiktion sei, diese nicht beschönigt dargestellt werde (das wär ja auch noch schöner) und überhaupt an erster Stelle Kunst sei. Weil draußen in der Welt böse Dinge geschähen, dürfe Kunst „niemals allein auf die seichte Verharmlosung der Wirklichkeit abzielen“.

Auf Seite 49 behauptet er in einem Exkurs flott: „Einige Feministinnen werden zwar aufheulen, aber eingebettet in den zeitgeschichtlichen Kontext halte ich BARBARELLA für einen kaum minder wichtigen Impuls für die Emanzipation der Frau wie Simone de Beauvoirs ‚Das andere Geschlecht‘“.
Das mag noch diskutabel sein (bis auf die aufheulenden Feministinnen), aber wer (auf derselben Seite)  dem Geheimagenten James Bond einen „ironisch gebrochenen Machismo“ attestiert, hat den Ernst der Lage nicht erkannt, denn James Bond (z. B. der Connery-Bond der Filme) vergewaltigt Frauen.

Schnurrer zeigt offen, wes Geistes Kind er ist, ein alter Hippie, ja, aber die waren ziemliche Machos. Das meine ich überhaupt nicht böse, wir alle schätzen und lieben Achim Schnurrer. Ich lese seine Artikel wirklich gerne (er schreibt ja auch für COMIXENE), denn dieser Kauz ist einer der wenigen, die auch mal eine Meinung raushauen.
Da fühle ich mich geistesverwandt, auch wenn ich in Sachen Gender sehr dazu lernen musste. Wollte. Und habe.

Mal ehrlich: Ich finde es bodenlos peinlich, dass die deutschen Herausgeber diese Comicreihe mit ‚sex sells‘ bis zum Anschlag gefahren haben.

Die Inhaltsaufzählung kommt ohne Seitenangaben daher.

Mit der Kritik bin ich hiermit noch nicht am Ende, auch wenn alles Weitere dagegen Pipifax ist – zum Beispiel dass Schnurrer zu den Inhaltsangaben der Hefte noch die Seitenanzahl der jeweiligen Beiträge hätte dazupacken können.
So ist die Gewichtung völlig unklar, eine Füllerseite nimmt denselben Rang ein wie ein Kurzcomic oder der Auszug eines Albums.

Nun gut, einen Kritikbrocken haben wir noch vor uns, und das ist der zentrale und schwerste: das Konzept dieses Sachbuchs.
Es gibt eins, das funktioniert aber nicht. Nicht so richtig jedenfalls, nur hingebogen auf Schnurrer-Weise.

Ausgabe für Ausgabe wird mit Titelbild, Inhaltsangaben und meist einem Panel aus dem Innenteil (oder einem Künstlerfoto oder einer Verlagswerbung) vorgestellt.
Jetzt könnte man denken: Super, hier wird ein spannendes Magazin in seiner Trendfunktion ausgeleuchtet, werden damals neue Entwicklungen im Comic nachgezeichnet. Weit gefehlt!

Da in der Regel nur zwei Seiten pro Heft zur Verfügung stehen, ist der Platz für Text eng bemessen – und höchst selten wird dabei auf den Inhalt der Geschichten eingegangen!
Oft wird dafür erwähnt, welche Serie neu startet oder endet, welcher Künstler zum ersten Mal auftaucht (dann auch mit einer Kurzbiografie), dass Schnurrer die Ausgabe willkürlich befüllt findet, dass Raymond Martin wieder mal in seinem obligatorischen Vorwort herumspinnt, welche parallelen Projekte des Volksverlags lanciert wurden.

 

Manchmal gibt es auch nur eine Seite zur ‚Besprechung‘ eines Heftes.

 

Wenig Bewertung der Kreativen und ihres Artworks, nahezu gar keine inhaltlichen Tendenzen werden aufgespürt, geschweige denn analysiert. Über das bahnbrechende ARZACH von Moebius heißt es dürr: „Die zweite ARZACH-Folge, mit der dieses Heft startete, wartete direkt mit einer Überraschung auf. Jetzt hieß die Serie auf einmal HARZAK.“ (Seite 36)

Schnurrer fährt fort: „Ansonsten verzichtete Moebius in ihr wie schon in SCHWERMETALL Nr. 1 auf Worte. Erst ganz am Schluss, als er das grandiose stumme Abenteuer abschloss, griff er zur Schriftsprache.“
[…] Wo und wann genau, bitte? Es fehlen jegliche Angaben. […]
Moebius umging damit das künstlerische Problem, in Schubladen gesteckt zu werden, etwa der, dass man ARZACH als einen Comic ohne Worte klassifiziert hätte, eine eigene Gattung innerhalb der Neunten Kunst.“

Hmm, das ist Moebius‘ kleinstes Problem, würde ich mal sagen. Zudem ist mir unklar, was Schnurrer hier hervorheben will. Dass ARZACH fast ein pantomimischer Comic gewesen wäre? Moebius deswegen der Schublade „Künstler ohne Worte“ entkommen sei? (In welcher er aber aufgrund seines restlichen Werkes sowieso nie gelandet wäre.)
Dass pantomimische Comics vielleicht zu wenig beachtet werden und in Schnurrers Augen eine „eigene Gattung“ darstellen? Ich verstehe die Betonung dieses Aspektes nicht.

ARZACH gehört meiner Meinung nach hervorgehoben als opulentes, bonbonbuntes Mini-Fantasy-Drama, das mit den Konventionen und Sehgewohnheiten der Zeit bricht und einen erfrischenden Dadaismus ins Genre spült (hier wäre zu untersuchen, ob Moebius auf SCHWERMETALL-Kollegen Auswirkungen genommen hat, z.B. auf den frühen Jacques Tardi, der wenige Hefte später eine für ihn herrlich untypische, weil quietschbunte Quatschgeschichte über eine Schießerei im Weltraum abliefert). Diese Story stellt Schnurrer zu Recht aus und nennt es ein „Comicjuwel“, ich hätte nur gerne noch mehr dazu gehört!

Hier ist Schnurrer auf der inhaltlich richtigen Konzept-Fährte, doch stattdessen streunt er zurück ins Dickicht der Verlagsgeschichte und seiner Animosität gegenüber dem Volksverlag-Gründer und Blattmacher Raymond Martin.

Was mir auffiel: Immer wieder stichelt Schnurrer gegen Martin und malt ihn uns aus als hippiesken Brausekopf, den man keine herausgeberischen und finanziellen Entscheidungen treffen lassen sollte. Das hätte an ein oder zwei Stellen im Buch seine Berechtigung gehabt, gerne auch ausführlich, aber dieses Trommelfeuer des Spottes bekommt einen Ruch von persönlicher Vendetta bzw. Kränkung – der offenbar schon immer stets über allem stehende Martin hat trotzdem ein Vorwort beigesteuert. Coole Sau, kann man sagen was man will …

 

Immerhin ein schöner Bonus: Vier Seiten über das Indizierungsverfahren gegen den „Erwachsenencomic“ BORNEO JO von 1984, in der Schnurrer eine Spottrede gegen Zensur unterbringt.

 

Mein Fazit zu „Das war SCHWERMETALL“:

 

Nicht das Buch, das man erwartet hat. Sperrig, fahrig, schwer zugänglich.
Andererseits anekdotenreich, fachkundig, stellenweise amüsant, mehr Spiegel seines Autors als Beschäftigung mit den Inhalten des Magazins SCHWERMETALL. Hintergründig im doppelten  Sinne.
Ich musste in die Lektüre hineinfinden, hatte dann aber zum Teil meinen Spaß und wieder Lust auf SCHWERMETALL bekommen! Ich muss unbedingt reinschauen in diese ersten 15 Ausgaben, die noch in meinem Archivschrank schlummern. Und womöglich noch ein paar weitere besorgen.

Denn ich erinnerte mich an Künstler, die ich komplett vergessen hatte: Alain Voss, Sergio Macedo, Jeronaton, Denis Sire, Fernando Fernandez. Gut, die hatte man vergessen, weil sie aufgepimptes Mittelmaß waren und nichts zu sagen hatten.
Andere hingegen tauchen aus dem Dunkel auf und könnten eine Wiederentdeckung wert sein: Chantal Montellier, Nicole Claveloux, Francis Masse.

So. „Das war SCHWERMETALL“ müsste eigentlich „Das waren SCHNURRERS 80er“ heißen. Aber jeder, der meckert, soll erst mal selber ein Buch schreiben! Ich hab’s noch vor mir …

Infos und Leseprobe zum Buch auf der Webseite der Edition Alfons.