Hoo-ha. Dagegen ist Frank Millers DARK KNIGHT aber ein Spaziergang im Sonnenschein. Düsterer als BATMAN DAMNED ist nicht möglich.
Und ich meine nicht nur die Farbgebung, nicht nur den erschreckend fotorealistischen Zeichenstil, sondern vor allem die Handlung. Doch erst mal ein paar Eindrücke von der Grafik: Lee Bermejos Artwork haut einen aus den Socken. So überwältigt war ich im Genre Superhelden noch nie!
Das liegt nicht mal so sehr an der Detailliertheit der Zeichnungen und auch nicht nur am Zauber der apokalyptischen Kolorierung, sondern hauptsächlich an Bermejos ‚Kamera‘. Er liebt es erstens, seine Figuren aus nächster Nähe, in schockierender Nahaufnahme zu porträtieren. Und zweitens nimmt seine Kamera fast nie eine neutrale Perspektive der Totalen oder Halbtotalen ein.
Bermejo wählt Bilder aus extremer Froschperspektive, schaut mit Blicken von halb unten oder halb oben, lässt uns über Schultern oder durch Beine schauen.
Das ist penetrante grafische Trickserei – aber sie funktioniert bombig!
Ich habe mit angehaltenem Atem durch dieses Buch geblättert.
Das ist kein Artwork mehr, das ist In-your-face-Work.
Atemlos ist auch der Auftakt von BATMAN DAMNED: eine Fahrt im Krankenwagen, aus welchem Batman sehr schnell heraus ’explodieren‘ wird, um sich hernach auf einer nassen Straße zu wälzen. Das ist cineastisch inspirierte und inszenierte Action, wie sie dramatischer nicht sein könnte.
Ich zeige das mal schnell im Instagram-Video:
Szene für Szene ist dermaßen atemberaubend, dass ich einfach bloß ehrfürchtig schauen möchte. Und ‚Schauwert‘ ist Lee Bermejos zweiter Vorname.
(Isses nich, sagt man nur so.)
Der gute Mann zeichnet (oder malt) seit 20 Jahren, hat (ebenfalls mit Azzarello) schon die Miniserien LEX LUTHOR: MAN OF STEEL, JOKER und BEFORE WATCHMEN: RORSCHACH abgeliefert. 2011 produzierte er im Alleingang noch die Graphic Novel BATMAN: NOëL.
Autor Brian Azzarello ist ein wenig länger im Geschäft und machte Eindruck mit einigen HELLBLAZERS, 100 BULLETS und dem Lauf von WONDER WOMAN in den Jahren 2011-14.
BATMAN DAMNED hat auch inhaltlich tolle Ideen: The Spectre ist ein Penner, Etrigan ist ein Rapper, Zatanna eine Hütchenspielerin. Coole Interpretationen, die Autor Brian Azzarello sich hier gönnt. Das Swamp Thing kommt noch vor, Harley Quinn, Boston Brand (Deadman) und die dämonische Enchantress. Heimliche Hauptfigur ist jedoch HELLBLAZER-Star John Constantine – der übrigens den Erzähler des Ganzen gibt!
Artwork hui, Handlung pfui?
Damit kommen wir zur Handlung und den Problemen dieser Umsetzung. Erst mal muss man erkennen können, wer die Typen sind. Da hat auch mir Wikipedia geholfen (linke ich weiter unten noch). The Spectre hätte ich nie im Leben erkannt, dabei habe ich ein bisschen was von Spectre gelesen! Es sieht so Anti-Spectre aus (und tritt so Spectre-untypisch auf), das es mich noch immer irritiert.
Nächstes Problem: Die Figuren Etrigan, Swamp Thing, Boston Brand, Harley Quinn sind für den Handlungsfortgang von BATMAN DAMNED verzichtbar! Sie tauchen auf, weil sie es können. Nicht, weil sie die Story voranbrächten. Cameo-Auftritte sozusagen, die uns applaudieren lassen; dieser Comic ist auch eine honigumsmaulschmierige Revue von DC-Charakteren.
Apropos: Wo steckt eigentlich Robin, die Pfeife? Ha! Merke: Die besten Batman-Comics verschweigen Robins Existenz. Hähähähä.
Größtes Problem: Die Handlung springt wild umher und macht fast keinen Sinn. Ich habe eine krude Theorie, was passiert. Doch diese Theorie ist so mottenzerfressen vor Erklärungslöchern, dass ich sie zwar kurz präsentiere, aber zugleich auf die Fragezeichen hinweise.
(Nächste Abschnitte sind Spoiler. Wer mag, springt zur nächsten Zwischenüberschrift.)
Batman und Joker kämpfen auf der Brücke. Batman wird todbringend mit dem Messer verletzt. Der Joker stürzt (mit Batmans Billigung!) zu Tode. Jetzt sind wir im Krankenwagen (Eröffnungsszene). Der sterbende Batman springt aus dem Wagen und schleppt sich in die dunkle Gasse.
Dort findet ihn Constantine und heilt ihn mit Magie (wird nirgendwo gesagt, aber scheint so zu sein, denn der Bat-Computer findet ja zu Batmans Erstaunen keine Stichwunden). Batman macht sich auf die Suche nach dem Joker, dessen Tod er nicht glauben mag. Magisch geheilt, aber totaler Blackout, der Mann.
Jetzt läuft er die Stationen der Revue ab: Spectre, Zatanna; Boston Brand erscheint ihm mehrfach und warnt ihn vor einer „Verschwörung“. Die Verschwörung scheint darin zu bestehen, dass Enchantress seine Seele holen will (pure Mutmaßung meinerseits). Wir erleben beunruhigende Flashbacks in Batmans Jugend. Enchantress hat einen Pakt mit dem jungen Bruce Wayne geschlossen. Sie macht ihn zu Batman, er opfert ihr seine Menschlichkeit.
Show must go on: Revuenummern mit Etrigan, nochmal Spectre, dann Harley Quinn. Üble Szene: angedeutete Vergewaltigung oder Lustmord an Harley Quinn! Wird nie erklärt. Dann erscheint noch das Swamp Thing, es gibt ein Duell mit Enchantress, eine Séance mit Zatanna und Constantine erlöst Batman von dem Bösen.
Der aber (geh nicht, Batman!) geht ins Leichenschauhaus, um dort den Joker zu suchen. Spectre erwartet ihn und hält ihm eine Gardinenpredigt dafür, dass er den Joker umgebracht hat. Batman bereut und sagt unvorsichtigerweise: „Ich wünschte, er wäre noch am Leben.“ Da das Spectre gottgleiche Fähigkeiten hat, wird der Wunsch Wirklichkeit – und Batman tauscht die Rollen mit dem Joker: Batman landet als Opfer in der Leichenschublade, der Joker lebt wieder und klettert lachend aus dem Fluss.
Siehe Anfang.
Seltsam? So steht es geschrieben.
Meine Deutung, die nicht befriedigend ist. Jetzt kommen die Lücken:
Warum treibt sich das Spectre auf der Brücke rum?
Flieht dann vor Batman? Und entkommt ihm?
Was soll die Szene in der Kirche? Da sind Priester entführt worden? Wo sind die?
Wie kommt Batman in den Sarg auf dem Friedhof?
Weshalb kann sich Batman überhaupt an nix erinnern?
(Amnesie ist der abgegriffenstste Spannungsplot der Popkultur, Herrschaften!)
Aber essenzielles Fragezeichen: Wer zum Teufel ist der Tote, der auf der Brücke zurückbleibt?
Relativierung des größten Problems
Dass die Handlung wild umherspringt und wenig Sinn ergibt, macht tatsächlich nicht viel aus. Bermejos Artwork hat mich längst zur willigen Geisel genommen.
Stockholm-Syndrom, wie ich vermute.
Alle Infos zu BATMAN DAMNED finden Sie toll gebündelt auf dieser Wikipediaseite (englisch).
Hier erfahren Sie alles über die Publikationsgeschichte, der Start des „Black Label“, die komplette Handlung (hier wird alles verspoilert, obwohl die Geschichte so wirr ist, dass man meiner Meinung nach kaum von ‚Spoilern‘ reden kann).
Und ja, es kommt auch die Sache mit Batmans Penis zur Sprache.
Das ist ja der Gipfel: kein Zipfel!
Im ersten Einzelheft zeichnete Bermejo seinem dunklen Ritter, als der sich (nackt) vom Computer auf Verletzungen scannen lässt, einen Penis. In allen Sammelbänden und späteren Nachdrucken (auch in meiner englischen Hardcover-Gesamtausgabe) ist der Bat-Zipfel verschattet. Ist mir gar nicht aufgefallen, ist auch völlig irrelevant, mir ehrlich wurscht (sic!).
Gab aber ein Riesengeschrei in Sachen „Zensur!“, „Familientauglichkeit!“ usw.
(s. Wikipedia-Eintrag). Ich rede nicht weiter drüber, weil es echt Pipifax ist.
(Und wieder fünf Euro in die Wortspielkasse …)
Noch erwähnt sei der beste Gag des Albums: John Constantine hat Batmans Utility-Belt abgegriffen – und zum Zigarettenschachtelhalter umfunktioniert!
Weltklasse-Pointe! We love you, Johnny.
Jetzt doch noch die Deutung!
Die Sache ließ mir keine Ruhe. Ich also ans Telefon und die Nummer mit dem Durchblick gewählt: Der Übersetzer bei Panini, Josef Rother, war so freundlich, mir mit seiner Deutung auszuhelfen.
Achtung, weitere Spoiler!
Der Tote auf der Brücke ist Batman. Batman ist gestorben, das Buch beginnt schließlich auch mit einer Flatline. Im Krankenwagen erwacht Batman in sein Jenseits hinein!
Fortan irrt er als Geist durch seine Vorstellung von Gotham, trifft Gestalten aus seiner Vergangenheit und durchlebt sein „persönliches Purgatorium“.
Im Tod noch mit schlechtem Gewissen behaftet (Joker sterben lassen), plagen ihn Visionen der Kindheit sowie Fantasien von Schuld und Sühne. Fraglich ist, ob Batman seine Begegnungen tatsächlich erlebt oder es alles nur Konstrukte seines gemarterten Geistes sind.
Das Spectre steht hierbei für die himmlischen Mächte, Enchantress ist die Verkörperung der Hölle. John Constantine ist Batmans ‚Seelenführer‘, so wie der Dichter Vergil den Autoren Dante auf seine Reportage durchs Inferno begleitet.
Soweit Josef.
Das ergibt tatsächlich viel Sinn! Den meisten jedenfalls. Bisher. So ist es nicht verwunderlich, dass Figuren auftauchen, die dann weiter nicht viel zu tun haben. So kann Batman auch von Ort zu Ort ‚beamen‘, auch mal in einem Sarg auf dem Friedhof erwachen. Er durchleidet fiebrige, höllische, peinigende Situationen.
TILLMAN DAMNED. Ich war nah dran …
Aber Moment, Moment, Mohohohoment!
Wieso ist denn dann John Constantine der Erzähler, vom ersten Bild an?
Dann ist Constantine in der Tat Vergil, der uns die Höllenfahrt des dunklen Ritters schildert!
Damit spiele ich auf Dantes „Göttliche Komödie“ an, wo es heißt: „Die zehn Kreise der Hölle (die Vorhölle und neun Kreise) sind die Orte, Standpunkte, Horizonte oder Charaktere, in und wegen derer sich die Buße und Läuterung der Sünder, die das Gut des Intellekts verloren haben, vollzieht.“
Ist ja irre – der Fledermausmann ist totgegangen.
Dingdong, Azzarello calling.
BATMAN DAMNED bleibt ein überschäumend fantastisches Werk, trotz aller Erklärungen und Deutungsversuche. Azzarello und Bermejo jagen uns durch eine Menge ‚mentaler Fahrgeschäfte‘. Die große DC-Comic-Kirmes ist in der Stadt.
Dieses Werk ist das intellektuelle Äquivalent eines Tages im Phantasialand.
(Für außerrheinische Leser: Europa-Park Rust, Freizeit-Land Geiselwind, Heide-Park Soltau oder El Dorado Templin. El Dorado Templin?! El Dorado Templin!
„Kiekma, Rönni, El Dörado war die ganze Zeit hier, in Templin“.)
„Sensationen im Sessel“, wie mal eine Kolumne des Journalisten Ben Witter in der ZEIT geheißen hat. (Das war 1983, Gott, ich bin alt, ich weiß langsam zu viel.)
Darum lieben wir Comics:
Sie überraschen uns mit Dingen, die wir nie für möglich gehalten hätten.
Panini bringt BATMAN DAMNED auf Deutsch in drei Bänden, der letzte müsste dieser Tage erscheinen. Halt, Andi von deinantiheld.de sagte mir letztens, es würde Dezember.
Wer englisch liest, versteht vielleicht nicht alles (manches bleibt mir kryptisch), spart aber Geld. Ich habe für mein schönes Hardcover 24 Euro bezahlt, ein deutscher Band kostet schon 13 Euro.