Bizarr, ergreifend, märchenhaft: JUNKYARD JOE

Ich verstehe nicht ganz, welch verrückten Superhelden-Kosmos uns Autor Geoff Johns und Zeichner Gary Frank (beide schon verantwortlich für das überkomplizierte DOOMSDAY CLOCK) da präsentieren wollen, aber ihre zweite Figuren-Erfindung nach GEIGER ist ihnen abermals prächtig gelungen.

JUNKYARD JOE heißt der Titelheld der gleichnamigen Serie, die als Tradepaperback auch schon bei CrossCult auf Deutsch vorliegt. Dieser Joe, der vom „Schrottplatz“ zu kommen scheint, ist ein Kriegsroboter, der zum Pazifisten wird!

Damit hab ich zwar schon etwas verraten, aber das darf ich – denn es geht nicht um diesen Twist, sondern um die Traumata des Krieges (und was sie mit den betroffenen Menschen anstellen).

Exemplifiziert mal wieder an der US-amerikanischen Intervention in Vietnam. Der übliche, brutale Dschungelkrieg wird aber mit Heft 1 (von 6) abgehakt und dient nur zur Etablierung der beiden Hauptfiguren.

Das ist neben Joe der Soldat Muddy Davis, der bei einem Einsatz als Einziger seiner Einheit überlebt, gerettet durch Joe, der als tödliche und unverwundbare Maschine im Alleingang die Angreifer umbringt.

Nach dem Massaker erkennt Joe, dass seine Aktionen Leid über die Menschen bringen und er verschont eine Mutter mit Kind. Joe entwaffnet sich selber und schaltet sich ab, sehr zum Verdruss der Militärs, die ihn ferngesteuert haben.
Offenbar ist Joe der Prototyp für eine neue Kriegsführung, die aber vorerst wieder auf Eis gelegt wird.

Muddy Davis, der Überlebende, landet verletzt und verwirrt im Hospital, wo man ihm einredet, es gebe keine Kriegsroboter. Davis will keinen Ärger, verdrängt die Begegnung mit Joe und zieht sich ins zivile Leben zurück.

Er wird Comiczeichner und reüssiert mit einem Zeitungsstrip namens „Junkyard Joe“, der (im Funny-Stil gezeichnet) den Alltag einer Rekrutenausbildung in der US Army zum Inhalt hat. Davis porträtiert sich selber, seine gefallenen Kameraden und stellt ihnen einen Roboter im Soldaten-Outfit zur Seite, um daraus Gags zu schlagen.

Unbewusst also begleitet ihn Joe durch sein Künstlerleben …

Vorbild dieses Strips dürfte der real existierende Comic BEETLE BAILEY sein. Somit haben Johns und Frank eine nette Verbeugung vor der Comichistorie eingeflochten – und eröffnen ihren JUNKYARD JOE sogar damit!

Wiederholt und betont: Heft 1 beginnt nicht mit Vietnam, sondern mit dieser oben abgebildeten Seite. Dann wird der Comic schwarz und wir knattern mit dem Hubschrauber über dem Vietnam des Jahres 1972.

Die Kriegsepisode ist wie gesagt nur Flashback-Kapitel, dann springen wir ins „Heute“: Davis hat seine Serie nach jahrzehntelanger Laufzeit eingestellt. Er lebt als Witwer einsam auf dem verschneiten Land und hat seinen Lebensmut verloren.

Da ziehen ins Nachbarhaus neue Mieter ein – ein weiterer Witwer mit seinen drei Kindern:

Die chaotische, mutterlose Familie sorgt für amüsante Gegensätze, zudem ist Tochter Emily ebenfalls Zeichnerin und bekommt heraus, dass ihr griesgrämiger Nachbar ein gefeierter Cartoonist ist.

Und während die Familie den alten Künstler mit Nettigkeiten behelligt, taucht wie aus dem Nichts auf Davis‘ Türschwelle der Kriegsroboter Joe auf!
Der sieht aus wie früher, kann jedoch weiterhin nicht sprechen, macht sich aber durch Gesten verständlich.

Ready to robot-rumble

Jetzt haben wir unser Personal aufgestellt: zwei Männer, die viel verloren haben; drei quirlige Teenager und einen Roboter auf der Suche nach einer Heimat.
Was fehlt? Die Gefahr!

Die stellt sich ein in Gestalt eines gespenstischen alten Wissenschaftlers in Robot-Maske, der sich „seine Maschine“ wiederholen möchte. Er hatte seinerzeit den Prototyp entwickelt, der nach der pazifistischen Anwandlung in die Abstellkammer des Pentagon verräumt worden war.
Jetzt endlich möchte er an seiner „Unit Beta“, wie er Joe nennt, weiterschrauben und sie zum perfekten Killer machen.

Doch Joe widersetzt sich und erfährt hierbei Unterstützung nicht nur durch Davis und die Familie, sondern auch durch die Fan-Community des Städtchens, die ihren Roboter und dessen künstlerischen Schöpfer bedingungslos lieben.

Dinge geraten in Bewegung, die Verhältnisse beginnen zu tanzen: Die wiedergewonnene Freundschaft zu Joe lässt bei Davis Verkrustungen aufbrechen; die Kindern erleben in der Provinz wilde Abenteuer; der verwitwete Vater kann sich beweisenund Joe findet seinen Platz unter den Menschen.

Mein GEIGER-Artikel hieß „Sinnlos, knallig, wunderbar“, meine Besprechung zu JUNKYARD JOE lautet „Bizarr, ergreifend, märchenhaft“.
Denn natürlich ist das Ganze kompletter Unfug!
Einen menschenähnlichen Kampfroboter wie Joe (der auch noch denken und fühlen kann!) gibt es nicht und wird es niemals geben. Die Titelfigur ist also null glaubwürdig, aber Kunst verfügt über eine Magie namens „Suspension of Disbelief“, zu Deutsch: „Willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit“.

Wir akzeptieren fantastische Prämissen, um uns in Geschichten entführen zu lassen, die uns unsere eigene Gesellschaft spiegeln.

Aber Sie hatten sich nicht mal gewundert, oder?
Kampfmaschinen mit pazifistischer Einstellung? Wissenschaftler, die nicht in Rente gehen wollen?? Comiczeichner, die Geld verdienen???

Zurück zu JUNKYARD JOE:

Dieses Werk entpuppt sich im Lauf der Handlung als sympathischer Feelgood-Comic, der nichts neu erfindet, aber alles richtig macht und Drama, Spannung, Schauwerte fein getaktet präsentiert und uns bei der Lektüre wohlig schauern lässt.

Das saubere und realistische Artwork von Gary Frank ist wieder mal ein Hingucker – und wir dürfen gespannt sein, ob er auch weitere Figuren entwerfen wird.

Denn wie eingangs angedeutet, plant Autor Johns einen Kosmos von insgesamt sieben Figuren, die er „The Unnamed“ nennt. Der Name ist schwer enttäuschend, das Konzept aber wird mir langsam klar.

Er scheint sieben Figuren auf sieben neuralgische Punkte der US-amerikanischen Geschichte zu platzieren. Seine erste Kreation (GEIGER) ist dabei die Ausnahme, denn hier spielt er mit dystopischer Fantasy.

JUNKYARD JOE bedient „Vietnam und die Folgen“, ein gewisser REDCOAT taucht zur Zeit der amerikanischen Unabhängigkeit auf. THE NORTHERNER gehört zum „Civil War“, THE MONSTER ans Ende des Zweiten Weltkriegs.
Bleiben noch AMERICAN WIDOW X, die ins Jahr 1997 verlegt ist und ein FIRST GHOST, der „in der Gegenwart“ auftreten soll.

Vielleicht hält sich Johns hier was offen … die Geschichte schlägt derzeit ja Purzelbäume.

Ich war bestens unterhalten und kann den Comic allen, die diesen Stil und dieses Sujet mögen, ans Herz legen. Aber schauen Sie doch für 90 Sekunden in mein Insta-Reel … für weitere Eindrücke.

https://www.instagram.com/p/DEpUZXksUCQ

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