Das gibt’s doch nicht: Eine Frau als Polizeikommissarin einer US-Großstadt im Jahr 1949?! Und dann hat diese Sebastiana Blank auch noch lateinamerikanische Wurzeln?!
Kommt mir unglaubwürdig vor, aber erstens (Recherche!) gab es schon 1943 einen weiblichen Police Captain in New Hampshire, und zweitens … wer sagt denn, dass wir es beim Comic „1949“ mit unserer Realität zu tun haben?
Denn was uns Autor und Zeichner Dustin Weaver hier serviert, ist zwar altmodisches Schwarzweiß (sogar mit klassischen Halbtonraster-Effekten), aber ist diese Stadt, sind diese Fahrzeuge nicht zu futuristisch?


Detective Blank spürt einem Serienmörder hinterher, der seine verstümmelten Opfer in einer Pfütze aus grauem Blut zurücklässt.
Das FBI stellt ihr zur Verstärkung Agent Jameson an die Seite und gemeinsam ermitteln sie, dass der Killer zu wissen scheint, dass seine Opfer alle todkrank waren.
Besitzt er dieses Wissen, weil er eventuell aus der Zukunft kommt?
Blank nämlich hat im Schlaf Visionen von einer Welt in 200 Jahren, in der sie als Zeitreiseagentin tätig ist. Hier erleben wir sie bei einem Plausch mit ihrem Partner Nino:


Träum ich oder werde ich geträumt?
Die Frage ist nur: Lebt Blank im Jahr 1949 und hat schräge Träume?
Oder lebt sie im Jahr 2200 und wird zu zeitreiserelevanten Aufgaben in die Vergangenheit geschickt?
Doch zunächst wird sie von dem gesuchten Täter angeschossen und ins Koma befördert.

So springt der Comic hin und her zwischen den Zeitlinien und wir rätseln mit der Hauptfigur mit. Was ist los mit uns? Wohin gehören wir – temporal gesehen?
Woher kommen die seltsamen Ahnungen, die uns heimsuchen?
Stimmt prinzipiell etwas nicht mit den Dingen, so wie wir sie wahrnehmen?

Und was bedeutet es, wenn unsere Intuition stimmt?
Dass es einen Täter gibt, der auf beiden Zeitebenen operiert?

Damit verrate ich zwar schon etwas, aber es geht in „1949“ nicht um den „Whodunit“, nicht um das Auffinden des Täters.
Sebastiana muss dem Mysterium der eigenen Existenz auf die Spur kommen, denn sie ist kein Mensch wie ich und du.
Dieses Ringen mit sich selbst kleidet Autor und Zeichner Weaver in atemberaubende Szenen aus Zukunft und Vergangenheit.
Jetzt darf ich wirklich nichts weiter zum Inhalt schreiben, will aber noch zwei fantastische Seiten präsentieren, die die Zukunfts-Sebastiana im Gespräch mit einer personalisierten Datenbank zeigen.
Ich applaudiere der märchenhaften Umsetzung, die eigentlich nicht zum Rest der Geschichte passt – aber gerade darum diesen Comic zu einem visuellen Erlebnis macht.


Ich finde Weavers Artwork umwerfend schön, es evoziert das Chiaoscuro eines Frank Miller und den Retrochic eines Howard Chaykin genau so sehr wie den eleganten Futurismus eines J.H. Williams IIII oder die bunte Traumpoesie eines Philippe Cazaumayou alias Caza.
Die schwarzweißen Passagen sind noch dazu vom Layout strenger und gedrängter komponiert als die farbigen Seiten, die in der Zukunft spielen.
„1949“ ist letzten Sommer als schickes Hardcover bei Image Comics erschienen.
Als Zeichner ist Weaver in den Panini-Serien AVENGERS, INFINITY und STAR WARS vertreten, eine deutsche Lizenz seines eigenen Projekts „1949“ ist mir nicht bekannt.
Was soll ich sagen? Wer Fremdsprachen lesen kann, ist klar im Vorteil. Ich blättere für Sie hinein in das Werk und gebe noch einen Tipp:
Jedes Smartphone hat die Google-Lens-Funktion, damit führen Sie das Gerät über die fremdsprachige Sprechblase und wie von Zauberhand erscheint eine deutsche Übersetzung. Was da herauskommt, ist nicht fehlerfrei, erlaubt aber ein schnelles Textverständnis.