Tillmann schaut: THE YOUNG POPE

Circa 10-stündige Serie um einen wundertätigen Papst, der die Welt vor den Kopf stößt. Wunder? Das größte Wunder ist, dass dieses Werk überhaupt zustande kam! Eine „Inside Vatican“-Dokufiction mit Jude Law als amerikanischem Papst? Zehn Stunden geballter Katholizismus?? Gestaltet von einem italienischen Kunstfilmer???

Jo. Das isses. Paolo Sorrentino hat THE YOUNG POPE fast im Alleingang verantwortet, und er ist sich treu geblieben. Der Neapolitaner hat in den letzten Jahren die Filme LA GRANDE BELLEZZA sowie EWIGE JUGEND abgeliefert. Beides keine schlechten Filme, aber hochartifiziell und vielen dramaturgischen Gewohnheiten konträr. Hello, Arthouse!

Die beiden ersten Episoden von YOUNG POPE sind dermaßen traumartig und verkünstelt inszeniert, dass ich dachte, wir schauen der Fantasie eines Priesters zu! Alles nur ein Traum! Was durchaus auch funktioniert hätte: Ein frustrierter Katholik erträumt sich das Papsttum und läuft damit Amok. (Wieso muss ich gerade an Christoph Schlingensief denken?)

Sorrentino aber schlägt dann doch die „ernste“ Variante ein. Überraschend wird ein Außenseiter zum Papst gekrönt: John Belardo, ein ca. 50-jähriger Sunnyboy aus den USA („Ich weiß, ich sehe fantastisch gut aus“). Den gibt Jude Law mit sichtlichem Vergnügen, kann er doch alle Facetten seiner Arroganz ausstellen.

Dieser Papst Pius XIII. verweigert sich sofort allen Gepflogenheiten: Er tritt nicht auf, er zeigt sich nicht der Presse, er lässt kein Merchandise von sich herstellen, er ist ein Kaiser, der in seinem Palast lauert und brütet. Er demütigt seine Kardinäle, agiert launisch, offenbart abstruse und fundamentalistische Ideen. Keine Homosexuellen mehr in der Kirche, keine Abtreibungen, kein Rangeschmeiße an den Zeitgeist.
Dieser (für einen Papst) junge Mann ist ein Hardcore-Katholik, der die Menschen durch seine schroffe Art irritiert. Kirche, Glaube und Gott sollen von jedem erkämpft werden.

Und es macht großen Spaß, dabei zuzusehen! Dieses Gedankenspiel eines „Backlashs“ der katholischen Kirche ist interessant und wirft Fragen auf: Hat dieser Papst eventuell recht? Braucht unsere Gesellschaft einen mittelalterlichen Spiegel, um sich über ihre Prinzipien klar zu werden? Brauchen wir als Individuen die Gewissheit eines höheren Wesens, um verantwortlich miteinander umzugehen?

Unbezahlbar komisch ist das Entsetzen im Umfeld des „Jungpapstes“, wo sich gestandene Vatikan-Funktionäre die Haare raufen und machtlos zusehen müssen, wie ihre Pfründe davonschwimmen. Hervorzuheben ist der Gegenspieler Belardos, Kardinal Voiello, der mächtige Staatssekretär. Den spielt Silvio Orlando mit einer herrlich platzierten, fiesen Warze im Gesicht und einem wunderbar weichen Englisch (im Original schauen!).

Voiello ist jedoch kein Finsterling, sondern ein aufrechter Politiker, der daheim einen schwerstbehinderten Jungen pflegt und gerne im Dress des FC Neapel herumläuft. Tätige Nächstenliebe und Fußballfanatismus sind die „Drogen“, die ihm sein Leben erträglich machen.

Silvio Orlando als Kardinal Voiello, Foto: Gianni Fiorito.

 

Denn darum geht es. Schöpfer Sorrentino hat erklärt, er habe eine Serie über „die Einsamkeit des Menschen“ gedreht. Mit der katholische Priester und Nonnen am meisten zu ringen haben, da sie ja dem Zölibat verpflichtet sind. Das wird auch (in der Regel) eingehalten, Belardo, unser YOUNG POPE, besitzt die Kraft, Wunder zu wirken, obwohl – jetzt kommt der Clou der Serie – er gar nicht an Gott glaubt.

Wie dieser Papst Pius XIII. damit auf diesem Posten umgeht, wie er ein Kindheitstrauma aufarbeitet (von den Hippie-Eltern zur Adoption fortgegeben), wie er am Ende seinen Frieden macht, das ist der essenzielle Plot von THE YOUNG POPE.

Wie aber setzt Sorrentino seinen Stoff um? Nicht straff genug, wie ich finde, ein wenig Wischiwaschi. (Oh, Wischiwaschi ist toll, haben wir jahrelang nicht mehr gehört, oder?)

Hier greift das Kunstfilmer-Syndrom: Der Auteur verliebt sich in eine Figur oder einen Handlungsstrang, kann diese aber nicht ausreichend bedienen und jenen nicht zielführend zu einem konsequenten Schluss bringen.
Beispiel Sister Mary, eine alte Nonne (Diane Keaton): Belardos Ersatzmutter folgt ihm als rechte Hand in den Vatikan, hat jedoch bald nicht mehr viel zu tun und rutscht fast aus der Serie hinaus.
Beispiel Kardinal Spencer, der ältliche Mentor, der selber Papst werden wollte (James Cromwell): Immer wenn er auftritt, hatte man ihn schon wieder vergessen, nimmt nicht den Raum ein, den er sollte.
Beispiel Kardinal Dussolier, Belardos ebenfalls jugendlich wirkender bester Freund: Wird in den Vatikan geholt, da aber nicht gebraucht, also wieder in die Welt geschickt, kommt kurz zurück und verschwindet dann wieder. Ohne dass ich da dramaturgische Konsequenzen entdeckt hätte!
So was ist selbstverliebte Spielerei mit Phänomenen am Rande, die mehr nach Füllsel aussehen als nach notwendigen Erzählmodulen.

Die märchenhafte Parallelwelt des Vatikan ist, was THE YOUNG POPE auszeichnet und sehenswert macht. Ich war völlig geplättet von der Ausstattung und dem Set Design. Die Kostüme, Landschaften und Räume – YOUNG POPE wirkt, als wäre es tatsächlich im Vatikan gefilmt worden (ist es?). Hab es nicht ermitteln können. Die Kammern, die Gänge, die Grüfte, die Säle, die Terrassen, der Petersdom, die Gärten, die Brunnen, die Straßen, das Heli-Pad für die Hubschrauberlandungen. Berauschend! Atemberaubend! Erschlagend!

Für Nicht-Katholiken ist die Begegnung mit solch unfassbarem Pomp und Prunk womöglich ein Schock. Die drei Folgen, die großteils außerhalb des Vatikan spielen (USA, Afrika, Lateinamerika) passen für mich darum nicht ins Konzept der Serie und wirken wie Fremdkörper.

Also, Fazit YOUNG POPE, was können wir sagen?
Drei Stunden zu lang. Nur was für Kunstfilm-Fans (Arthouse-Alarm!). Abgefeimt. Brillante Dialoge. Bedeutungsvolle Blicke. Ruhe, Ruhe, Zeit für Bilder. Schmerzlich schön. Religiöse Meditation. Vielleicht auch bös gemeinte Abrechnung mit gläubigen Menschen, denn Sorrentino hat ein Händchen dafür, seine Kamera über Laiendarsteller mit Kirchentagsgesichtern zu schwenken – und das ist gruseliger als so mancher Zombiefilm!

Und Jude Law sieht immer mehr aus wie John Boy Walton, nur diesmal mit Tiara.