Tillmann schaut: ELEMENTARY

Alle Welt schwärmt vom britischen SHERLOCK mit dem Feingeist Benedict Cumberbatch. Ich möchte mal Partei ergreifen für seinen wenig beachteten Gegenentwurf: den amerikanischen Holmes!

Die US-Serie ELEMENTARY wagt eine freche Variante. Der heroinsüchtige Sherlock Holmes ist aus London in die Vereinigten Staaten geflohen – um dort, nach erfolgreichem Entzug, als Berater für das New York Police Department tätig zu sein. Sherlock in Manhattan!
Sein Watson ist eine Frau. Joan Watson beginnt als persönliche Suchttherapie-Assistentin an seiner Seite und wird von Holmes zur Spürnase ausgebildet. Beide knacken gemeinsam die unmöglichsten Fälle, flankiert von Detective Bell und dem knurrigen Captain Gregson.

Die Cops von ELEMENTARY: Detective Bell und Captain Gregson (Jon Michael Hill und Aidan Quinn).

 

Der britische SHERLOCK glänzt durch die kunstvollen Skripte von Steven Moffat und Mark Gatiss. Ich behaupte frech: Das hätte keinen Cumberbatch gebraucht. Die Engländer verfügen über so viele exzellente Schauspielerinnen und Schauspieler, das hätte auch mit anderer Besetzung funktioniert. ELEMENTARY jedoch hängt an seinem Hauptdarsteller wie Holmes an der Nadel.

Jonny Lee Miller ist die Schau!

 

Wer? Jonny Lee Miller. Hat zuvor nicht viel gemacht, viele kleine Auftritte in vielen kleinen Serien, aber er war der „Sick Boy“ in den TRAINSPOTTING-Filmen. Miller personifiziert einen Holmes, der nicht nur kauzig, sondern der skurril ist!

Ungelenk, aber alert im Leichenschauhaus: Miller als Holmes.

Angefangen bei der Garderobe. Dieser Holmes trägt seltsam körperbetonte Stehkragenhemden und Jacken, Hipsterhosen und feines Schuhwerk. Ein drahtiges, tätowiertes, sozialautistisches Männchen, das sich eines grotesk literarischen Englischs bedient.
ELEMENTARY unbedingt im Original schauen, auf Deutsch funktioniert die Figur nicht!!!

Schauen Sie zum Beweis bitte diesen 30-Sekunden-Clip auf Deutsch, in dem Holmes nur zwei Sätze hat, die aber schon irre plastikartig wirken.

Danach gönnen Sie sich diesen Clip, der sehr gut in Staffel 1 einführt (auf Englisch, so wie es sein sollte). Hier wird auch der unterschwellige Humor der Serie gut eingefangen.

Dieser Holmes stakst kurios durch die Gegend, immer in eckigen Bewegungen, fixiert seine Gesprächspartner mit Adleraugen und wirft sich oft auf den Boden, um per Nase oder Zunge Proben am Tatort zu nehmen! Miller macht daraus jedoch keine Comedy, sondern präsentiert uns einen geplagten Genius, gefangen in einer banalen Welt, die ihn befremdet und oft auch abstößt. Dieser Holmes ringt mit seinen Mitmenschen wie auch mit seiner Drogensucht und lernt dank Watson, sich besser in die Gesellschaft zu integrieren.

Der oder besser DIE Watson wird gespielt von Lucy Liu, die man hoffentlich nicht vorzustellen braucht. Ich mag Liu und finde, sie liefert einen kompetenten, warmen, aber auch kritischen Konterpart. Eine starke und moderne Frau, die nicht hinter dem berühmten Mastermind zurücksteht. Kollege Cordemann findet sie „schmollig“, was ich so nicht teile.

Natürlich tauchen auch weitere Charaktere aus dem Holmes-Kosmos in ELEMENTARY auf: Moriarty, Irene Adler, Mycroft, Lestrade – sämtlich originell interpretiert, wie ich finde. Ich verrate nichts, war jedoch sehr angetan von den Sichtweisen der Autoren und der Grundidee zur Serie überhaupt (ein gewisser Robert Doherty, credit where credit is due).

Sherlock Holmes vertieft sich in schlaflosen Nächten in Beweismaterial.

Mit Krimis tue ich mich im Allgemeinen schwer. Was momentan läuft, ist mir oft zu brutal (CRIMINAL MINDS, HANNIBAL, DEXTER). Vieles andere ist mir zu glatt und fließbandartig produziert (das CSI-Franchise sei erwähnt) und interessiert mich nicht. Aber ELEMENTARY hat mein Herz und Hirn gewonnen.

Ich hab drei Staffeln gesehen, drei weitere gibt es schon. Die erste hat mich komplett geflasht, schaue ich auf jeden Fall nochmal. Die zweite plätschert ein wenig dahin, es gibt einen Bogen um den angeschossenen Detective Bell, den ich verzichtbar fand, die Autoren konstruieren mehr und mehr aberwitzige Handlungen, die sich mehrfach drehen und nur der reinen Cleverness des Plottens entstanden zu sein scheinen.
Das törnt ab.
Staffel drei krankt teils auch daran, bietet aber über die halbe Distanz einen hinreißenden Bogen um die neue Assistentin Kitty (Ophelia Lovibond, die Darstellerin aus HOOTEN AND THE LADY, als patzige Watson-Kontrahentin).

Die Frauen von ELEMENTARY: Watson und Kitty (aus Staffel 3).

 

Und zum Schluss mal rein rechnerisch: Wie viele Folgen gibt es von SHERLOCK. Häh?!
Lausige 15, Mr. Ich-kreiere-Fernsehkunst-für-die-Ewigkeit-Moffat!
ELEMENTARY hingegen wartet mit satten 120 Episoden auf.
Bäm! In your face! Ist doch wahr …

Der enervierende Mr. Holmes: Sherlock und Watson unterbrechen frech die Vorstandssitzung eines Großkonzerns.